Das Gymnasium Heidberg ist eine Eliteschule des Fußballs und ermöglicht den HSV-Jungstars Kim Kulig und Sören Bertram das Abitur.

Hamburg. Sören Bertram ist Zweikämpfe gewohnt. Warum er denn schon wieder unbedingt zu diesem Fußball-Länderspiel fahren müsse, anstatt in den Unterricht zu kommen, wurde der deutsche Junioren-Nationalspieler vom HSV jüngst von einer jungen Referendarin gefragt. "Was können Sie denn besonders gut?", konterte der Schüler des Gymnasiums Heidberg. "Flöte spielen", bekam er von seiner damaligen Lehrerin zur Antwort. "Dann stellen Sie sich vor, Sie bekämen eine Einladung, zusammen mit den zehn besten Flötistinnen in Deutschland aufzutreten. Da würden Sie doch auch alles dafür geben, um dort mitspielen zu können. Oder?"

Sören Bertram weiß nicht recht, ob die junge Pädagogin ihn damals verstanden hat. Der 19 Jahre alte Fußballer erzählt diese Geschichte auch eher beiläufig. Dabei verdeutlicht dieser kurze Wortwechsel sehr anschaulich, wo die Probleme liegen, wenn es um Eliteförderung an deutschen Schulen geht. Was muss Schule heute leisten, wenn sie es mit Ausnahmetalenten zu tun hat? Welche Hürden sind zu überwinden, wenn eingetretene Pfade verlassen werden? Und wo sind die neuen pädagogischen Wege, damit Eliteschüler ihre außerschulischen Ziele verfolgen können und nicht auf der Strecke bleiben?

Bei Sören Bertram geht es zunächst einmal um einen sehr konkreten Konflikt. Der schlaksige Schüler ist nämlich ab Sommer mit einem dreijährigen Profivertrag beim HSV recht komfortabel ausgestattet - will zuvor aber unbedingt sein Abitur machen. Die Reifeprüfung auf dem Rasen hat er, wenn man so will, mit einem Kurzeinsatz im Dezember im Europa-League-Spiel gegen Rapid Wien beim 2:0-Sieg des HSV vor 46 000 Zuschauern in der Nordbank-Arena bestanden.

Doch als er nach seinem Profi-Debüt vor der Frage stand, mit ins einwöchige HSV-Trainingslager in die Türkei zu fahren oder lieber daheim für die schriftlichen Abiturarbeiten in Deutsch, Sport und Mathe zu büffeln, entschied sich der schnelle Mittelfeldmann mit dem starken linken Fuß für die Schulbank. Und damit gegen die verlockende Vorstellung, vielleicht schon in der Rückrunde den Sprung zu den Profis zu schaffen. "Auch Frank Rost und Marcell Jansen haben mir geraten, auf jeden Fall das Abitur zu machen. Damit ich etwas in der Hand habe, falls es mit dem Profifußball nicht klappt", sagt er. Außerdem wollte er den Lehrern zeigen, dass er es ernst meint mit dem Abschluss.

Für Kim Kulig - Prüfungsfächer: Sport, Französisch, Mathe sowie Erdkunde - ist das Abitur im Grunde noch wichtiger. Denn die 17-fache Nationalspielerin, die mit den HSV-Damen in der Bundesliga spielt, weiß, dass Fußballerinnen in Deutschland während ihrer Karriere kein allzu großes Vermögen anhäufen können. Selbst wenn sie Europameister sind. So wie die 20-Jährige, die vor zwei Jahren aus Sindelfingen nach Hamburg gekommen ist und zum grandiosen 6:2-Finalsieg über England im September 2009 in Finnland sogar einen Treffer beigesteuert hat.

Kim Kulig und Sören Bertram sind nicht zufällig in Heidberg. Denn das Gymnasium ist nicht nur seit 2006 Partnerschule des Leistungssports, sondern jetzt auch "Eliteschule des Fußballs". Eines von 28 in Deutschland, unterstützt vom Deutschen Fußball-Bund (siehe Kasten unten) und mit dem HSV als starken Partner an der Seite.

Unter den rund 200 Schülern, die im Sommer ihr Abitur machen, sind etwa 20 sogenannte Kadersportler. Darunter sind sechs Fußballer und fünf Volleyballer. Der Trampolinspringer Daniel Schmidt ist vor zehn Tagen zweifacher Europameister im bulgarischen Warna geworden. "Wir müssen diese Kinder anders betrachten", sagt Simone Krohn-Fröschle. "Wenn man sich der Idee verschrieben hat, dass Jugendliche ihre großen sportlichen Ambitionen mit der Schule vereinbaren können, dann ist man auch in der Verantwortung, dass sie das bei uns schaffen", lautet das Credo der lebhaften Direktorin, wenn es im Kollegium mal wieder um Fehlzeiten und Abwesenheit geht. Und darum, wie man denn bitte einen Schüler bewerten soll, der drei Wochen gar nicht in der Klasse war, weil er Turniere, Meisterschaften oder Trainingslager dem Unterricht vorgezogen hat.

Ihr wichtigster Helfer dabei ist Knut Rettig. Der 48-Jährige hat bis 2003 zehn Jahre lang die Volleyball-Bundesligadamen von Fischbek trainiert und weiß, wie sich Leidenschaft für den Sport anfühlt. Er unterrichtet Sport, Gemeinschaftskunde und Geschichte. Und ist Leistungssportkoordinator, was in die Praxis übersetzt heißt: "Er kümmert sich enorm, regelt Dinge mit anderen Lehrern und hält den Kopf für uns hin", sagt Kim. Knut Rettig sagt, dass er Kontakt zu den Vereinstrainern hält, bei Kollegen um Verständnis wirbt, wenn seine Sport-Asse mal wieder verplant sind, und sie aber gleichzeitig auch in die Pflicht nimmt, wenn die schulische Situation mal brenzlig wird.

"Um solchen Schülern gerecht zu werden, müssen wir neu nachdenken", sagt Rettig. Über Crashkurse am Wochenende zum Beispiel, um Versäumtes nachzuholen. Bereits jetzt gibt es Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe und flexible Klausurtermine: montags nie. Sonnabends nachschreiben um 8 Uhr morgens schon. Es gibt Training am Vormittag, regen Mail-Kontakt bei längerer Abwesenheit - und immer wieder intensive Gespräche.

Ob aus den Schülern später Weltmeister oder Olympiasieger werden, ist nicht so wichtig. "Natürlich würden wir uns riesig freuen und sagen, wir haben einen kleinen Teil dazu beigetragen", sagt Simone Krohn-Fröschle. Sicher sei eines, sagt Rettig: "Jedes Unternehmen kann froh sein, solche Schulabgänger zu bekommen. Sie sind total belastbar, absolut verlässlich und haben ein Top-Zeitmanagement."

Am 4. Juni erfolgt die offizielle Ernennung zur Eliteschule. Und dann wird Simone Krohn-Fröschle den Damen und Herren vom DFB und der Schulbehörde vielleicht die Geschichte von Sören Bertram und der jungen Referendarin erzählen.