Zum 65. Jahrestag der Befreiung kamen 80 Zeitzeugen nach Hamburg, um Schülern zu berichten

"Ich hatte eine glückliche Kindheit. Antisemitische Vorurteile gab es schon, aber nicht so schlimm", erzählt Livia Fränkel. Zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester Hedi wuchs sie in der rumänischen Stadt Sighet auf. An dem Tag, an dem Adolf Hitler an die Macht kam, änderte sich alles. Andere Kinder riefen ihr "Saujude. Du sollst zurückkehren in deine Heimat" hinterher. Die damals Sechsjährige konnte nicht ahnen, dass ihr beschauliches Leben bald ein Ende haben wird. Die heute 82-Jährige ist eine der Zeitzeugen, die gestern in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von ihren Erlebnissen berichteten.

Zum 65. Jahrestag der Befreiung aus den Konzentrationslagern sind rund 80 Überlebende gekommen. "Dass heute an diesem Ort ein würdiges Gedenken möglich ist, verdanken wir den Überlebenden und ihren Angehörigen", sagte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bei der Gedenkveranstaltung: "Für Sie muss die Rückkehr an diesen Ort des Schreckens besonders schmerzhaft sein. Es ist ein historischer Auftrag an uns alle, um das 'Gedächtnis der Stadt' gemeinsam wachzuhalten."

Livia Fränkel erzählt den Schülern, wie Hitler an die Macht kam, ein Bündnis mit Ungarn einging und wie die ersten antijüdischen Gesetze in Kraft traten. "Plötzlich musste ich mein Fahrrad abgeben, wir durften auch kein Radio mehr hören", sagt die ältere Dame mit den kurzen, braunen Haaren und der dunklen Brille. Später musste die Familie den gelben Stern tragen, wurde in ein Getto gesperrt und im Mai 1944 mit Viehwagen ins KZ Auschwitz transportiert. "Da hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass diese Reise mit dem Tod enden wird", sagt sie, und ihre Stimme stockt. Ihren Vater sieht sie das letzte Mal, als die Gruppe an der Rampe in Männer und Frauen aufgeteilt wird. Später werden die beiden Mädchen - Livia ist 16 - auch von der Mutter getrennt. Livia und ihre Schwester sind kräftig genug, um zu arbeiten. Sie werden weitertransportiert in ein Außenlager des KZ Neuengamme nach Eidelstedt, wo sie dann Behelfswohnheime bauen müssen.

Der erste Besuch in Neuengamme sei ihr noch schwergefallen, sagt Fränkel, die in Schweden lebt. "Es ist wichtig, dass die junge Generation die Zeitzeugen hört", meint sie. Ob sie noch Kontakt zu anderen Lagerhäftlingen habe, will ein Schüler wissen. "Die meisten sind nach Israel oder in die USA ausgewandert", sagt sie. Am Ende gibt es lang anhaltenden Beifall. "Wir haben viel über die Judenverfolgung in der Schule gelernt. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn man eine Überlebende trifft", meint die 14-jährige Linnea.