Hamburg. Schwerer Unfall auf der Köhlbrandbrücke. Der Tacho blieb bei 135 Kilometern pro Stunde stehen. Was ein Verkehrspsychologe sagt.

Auf der Köhlbrandbrücke in Hamburg endete ein mutmaßlich illegales Autorennen mit einem tödlichen Unfall: Bei einem mutmaßlichen Duell zweier Autofahrer hat ein 22-Jähriger am Montagabend seinen Bruder (24) totgefahren. Er starb als Beifahrer, nachdem ein von seinem jüngeren Bruder gesteuerter Audi A7 außer Kontrolle geraten war.

Die Polizei stellte später fest, dass der Tacho bei Tempo 135 stehen geblieben war – in dem Moment, als das Fahrzeug mit zwei Lastern und der Betonbegrenzung der Brücke kollidierte. Der Polizei gelang es, auch den mutmaßlichen Kontrahenten bei dem Rennen zu ermitteln, einen 26 Jahre alten BMW-Fahrer. Gegen beide Fahrer sind Strafverfahren eingeleitet worden.

22-Jähriger verlor auf der Köhlbrandbrücke die Kontrolle

Gegen 22:20 Uhr waren der Audi A7 und der BMW 135i bereits auf der Finkenwerder Straße aufgefallen. Zeugen berichteten, dass die Fahrer Deja C. (22) und Jason C. (26) immer wieder die Motoren aufheulen ließen. „Beide sind außerdem durch mehrmalige Fahrstreifenwechsel mit überhöhter Geschwindigkeit und lautes Beschleunigen aufgefallen“, so die Polizei. Fünf Minuten später rasten die Wagen die Köhlbrandbrücke hinauf. Da verlor der 22-Jährige die Kontrolle über den Audi, der dann einen Laster touchierte, gegen die Seitenwand der Brücke und schließlich gegen einen zweiten Lastwagen geschleudert wurde. Dabei wurde die Beifahrerseite des Audi zerfetzt, der Bruder des Unfallfahrers in den Trümmern eingeklemmt.

„Der eingeklemmte Beifahrer konnte schnell befreit und an den Rettungsdienst übergeben werden“, sagt Feuerwehrsprecher Torsten Wesselly. „Trotz intensivster rettungsdienstlicher Versorgung erlag der Patient an der Einsatzstelle seinen schweren Kopfverletzungen.“ Der Bruder des Toten blieb nach seiner Versorgung zunächst an der Unfallstelle. Er hatte einen Schock und leichtere Verletzungen erlitten. Auch den Fahrer des BMW trafen die Beamte am Unfallort an. Beide Männer, so stellte die Polizei fest, standen zum Unfallzeitpunkt weder unter Alkohol- noch Drogeneinfluss.

Während Feuerwehrleute damit begannen, den Diesel abzustreuen, der aus dem beschädigten Tank eines der beteiligten Lastwagen lief, tauchten Angehörige auf – ein weiterer Bruder und die Eltern des Unfallopfers. Sie gaben zunächst den beteiligten Lkw-Fahrern die Schuld am Tod ihres Sohnes.

Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams bedroht

Als die Familie später in ihrer Wohnung (Wilhelmsburg) zurückkehrte, eskalierte die Situation abermals. Ein vierter Bruder verlor völlig die Kontrolle und bedrohte Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams, das die Familie betreuen wollte. Folge: Die Polizei rückte an, die Helfer brachen ihren Einsatz ab. Auf der Köhlbrandbrücke sicherte die Polizei eine Vielzahl von Spuren und setzte auch einen 3D-Scanner zur Vermessung der Unfallstelle ein. Illegale Autorennen im öffentlichen Straßenverkehr gibt es in Hamburg immer wieder. Auch besonders rasante Fahrten ohne „Gegner“ stuft die Polizei als illegale Rennen ein. Allein die Kontrollgruppe „Autoposer“ stoppte im März zwei Raser, die in diese Kategorie fallen: eine betrunkene 21-Jährige, die über die Bergedorfer Straße gerast war und einen 26-Jährigen, der in einem Mercedes C43 AMG mit 200 statt der erlaubten 120 km/ h über die A7 fuhr. Dabei nötigte und gefährdete er weitere Fahrer. Der Führerschein wurde in beiden Fällen eingezogen.

Bodenhaftung verloren

Was Autofahrer dazu treibt, sehenden Auges in ihr Unglück zu rasen, beschäftigt Dr. Karl-Friedrich Voss in der täglichen Arbeit. Die Raser, die sich illegale Autorennen liefern, verlören typischerweise in Episoden die Bodenhaftung, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes niedergelassener Verkehrspsychologen mit eigener Praxis in Hannover. Zunächst hielten sie sich noch an Verkehrsregeln, stoppten etwa vor roten Ampeln. Sobald aber ein Rivale diese buchstäblich rote Linie überschreite, spielten die Regeln künftig keine Rolle mehr. „Es ist ein Prozess, es schaukelt sich auf“, so Voss. Es gehe einzig und allein ums Gewinnen. Dass sie selbst Schaden nehmen könnten, sei zweitrangig. Akteure der lebensmüden Kopf-an-Kopf-Rennen seien vor allem junge Männer unter 30 Jahren. Häufig befänden sie sich in ungefestigten Strukturen, hätten wenig Rückhalt in der Familie, eine unzureichende berufliche Qualifikation oder wenig Erfolg im Job. Das Auto werde da „zur Selbstverwirklichung“ genutzt.

Wo andere Männer sich im sportlichen Wettkampf oder im Job messen, definierten sie über die Rennen eine „neue Art der Leistung“. Diese Duelle seien für sie häufig die einzige Chance, sich zu profilieren. In einem anderen Umfeld gelänge ihnen das kaum oder gar nicht. Was also tun? Die Raser-Szene selbst ließe sich nur schwer zum Umdenken bewegen, sagt Voss. „Es klingt banal, aber die Polizei muss durch Tempokontrollen einen hohen Druck aufbauen.“

Mehr stationäre Blitzeranlagen

Die Stadt hat in den vergangenen Jahren ihr Kontingent an stationären Blitzeranlagen schon stark aufgestockt. Allein 2018 kamen sechs Messgeräte hinzu, es sind zurzeit 34. Zudem hat die Polizei die mobile Überwachung deutlich ausgeweitet. 2018 stieg die Zahl der Anzeigen von 181.000 (2017) auf 260.000 – ein Plus von fast 44 Prozent.