Barmbek. Elke W. ist eine Frau, die es nicht einfach hat im Alter von 78 Jahren. Sie muss von 600 Euro Rente existieren und ist so arm, dass sie Flaschen sammelt. Aber auch wenn Elke W. keinen Cent übrig hat – ihr gutes Recht ist der 78-Jährigen trotzdem teuer. Weil Elke W. einem Strafbefehl über 800 Euro, trotz aller finanziellen Risiken, widersprochen hat, steht sie am Donnerstag als Angeklagte vor dem Amtsgericht Barmbek. Ein Prozess, der das Zeug zur Posse hat.
Elke W. soll Anfang Januar 2014 einen dunkelhäutigen Jungen rassistisch bepöbelt und verprügelt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Beleidigung und Körperverletzung des elf Jahre alten John vor. Am 9. Januar fuhr Elke W. mit ihrem Rad die Berner Chaussee hoch, als ihr John den Weg versperrte. Laut Anklage beleidigte sie den Jungen mit den Worten „Neger, du stehst im Weg, geh mal in dein Land zurück, bleib lieber nicht in Deutschland“, verpasste ihm zwei Ohrfeigen, einen Faustschlag ins Gesicht und einen Tritt gegen das Schienbein.
Soweit die Anklage, ganz anders die Version von Elke W. Von Weitem habe sie geklingelt, als sie gesehen habe, dass der Junge stocksteif auf dem Fahrradweg stand. Und er rief: „Du Nutte, was willst du?!“, sagt Elke W. Sie will ihn darauf zur Rede gestellt haben, worauf John rotzfrech entgegnet habAMtse: „Ich darf stehen, wo ich will.“ Da sei ihr der „Neger“ über die Lippen gerutscht, sie habe sich sofort dafür entschuldigt.
Man muss das verstehen, sagt ihr Verteidiger später, Elke W. sei in einer Zeit aufgewachsen, als das Unwort einen anderen Zungenschlag hatte als heute und von Autoren wie Astrid Lindgren ganz arglos benutzt wurde – eben nicht in diskriminierender Absicht. Elke W. habe aber ihre Wortwahl gleich überdacht und bereut.
An das Wort „Neger“ kann sich der Junge gar nicht erinnern. Auch nicht an die Schläge, erst auf Nachfrage der Richterin fällt dem Zeugen ein, dass Elke W. ihm ja „zwei Klatschen“ gegeben habe. „Geh in dein Land zurück“, daran erinnere er sich noch, sagt der Junge, den Blick gesenkt. Er habe sich mit den Worten „Geh weg, hässliche alte Frau“ gewehrt. Aber das Wort „Nutte“ sei nicht gefallen, sagt der Junge unter den strengen Blicken seiner Mutter. „Neger“ hatte auch sein Kumpel Raven, 13, nicht gehört, der ebenfalls als Zeuge aussagt. Vielmehr habe John die alte Dame zuerst beleidigt, und „Nutte“ sei durchaus ein für seinen Freund gebräuchliches Wort. Und die Schläge? Fehlanzeige. Schließlich sagt auch noch ein Polizist aus, der an jenem Tag bei John keine Verletzungsspuren, aber Dreck an der Hose gesehen haben will – dann doch ein Beleg für die Tritte?
Klar ist am Ende: nichts. Das konzediert selbst die Staatsanwältin, die von einem „Durcheinander“ spricht. Wie Elke W.s Verteidiger fordert sie Freispruch. Nur sieht die Amtsrichterin das anders und verurteilt Elke W. zu 100 Euro Geldstrafe: Das Wort „Neger“ sei eine Beleidigung, so schwerwiegend, dass sie auch durch eine Schmähung des Jungen nicht „gerechtfertigt“ sei. Und selbst wenn der Junge sie „Nutte“ genannt hätte – John sei doch ein Kind. Nach dem Urteil steht die alte, hagere Dame mit ihrem Verteidiger vor dem Gericht. Ihr Anwalt interpretiert das Urteil so: „Kinder dürfen also alte Leute beleidigen?!“
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