Die Polizei warnt vor Ganoven, die sich bei Senioren als Enkel ausgeben und dann Geld verlangen. Einer wurde nun festgenommen.

Hamburg. "Was die kann, kann ich schon lange", habe sie sich gedacht und ihrem Lebensgefährten, der bereits neugierig aufschaute, vom Telefon aus wortlos einen Zettel rübergeschoben. "Polizei" stand darauf, mehr nicht. Doch ihr Partner verstand sofort. "Ich hatte gleich den Verdacht, dass etwas nicht stimmt", sagt Elfriede Stuhlmacher später in ihrer Genossenschaftswohnung am Hohenzollernring. Dank ihrer Geistesgegenwart haben Fahnder des Landeskriminalamts einen 43 Jahre alten Enkeltrickbetrüger festgenommen. 25 000 Euro hatten sich er und seine Hintermänner erhofft. Dass die 76-Jährige den Spieß umdrehen würde, damit rechneten sie nicht.

Undeutlich und mit osteuropäischem Akzent habe die Anruferin gesprochen, erinnert sich Stuhlmacher: "Hallo Omi, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin's!" Dass da keine ihrer beiden Enkeltöchter sprach, war ihr sofort klar. Dass sie eine Trickbetrügerin am anderen Ende der Leitung hatte, auch. Zum Glück für die Ermittler legte die 76-Jährige nicht einfach auf. "Ich beschloss mitzuspielen. Und irgendwann kam ich aus der Sache nicht mehr raus."

Hunderte Rentner werden täglich in Hamburg von Enkeltrickbetrügern angerufen - die wenigsten reagieren so wie Stuhlmacher. Knapp 150 000 Euro erbeutete eine mittlerweile gefasste Bande bei fünf Rentnerinnen allein in der ersten Novemberwoche dieses Jahres. Das ist so viel, wie im gesamten Jahr 2009 bei der Polizei angezeigt wurde. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei fast 200 versuchte und 13 vollendete Enkeltrickbetrugsfälle.

Für dieses Jahr zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: Die Zahl der versuchten oder unvollendeten Taten soll weiter gestiegen sein, teilte die Polizeipressestelle bereits mit. Doch es gibt Hoffnung: Die Täter haben tendenziell immer weniger Erfolg mit ihrer Masche. Laut Polizei hat sich die Zahl der vollendeten Taten im zweiten Halbjahr 2011 im Vergleich zu den ersten sechs Monaten halbiert - möglicherweise die ersten positiven Folgen einer im März gestarteten Kampagne, mit der Polizei, Banken und Seniorenbeirat vor Enkeltrickbetrügern warnen.

Auch Elfriede Stuhlmacher wusste von diesen Betrügereien aus dem Magazin ihrer Sparkasse. Sie behielt die Nerven und die Anruferin am Telefon, während Max Heymann über Handy den Notruf wählte. "Wir haben uns immer Zeichen gegeben." Ihre Pseudo-Enkelin ahnte nichts und kam sofort zur Sache: In einem Autohaus sei sie, habe sich für einen Mercedes entschieden. Der Haken daran: "Omi" müsse mit einer Finanzspritze aushelfen, sonst reiche es nicht für den Wagen. Und da Freitagnachmittag sei, müsse sich Stuhlmacher beeilen - Banken und Autohaus würden bald schließen.

Wie viel Bargeld sie im Haus habe, will die Anruferin von der 76-Jährigen wissen. Als die zum Schein 2000 Euro anbietet, legt die Anruferin nach: 20 000 Euro müssten es schon sein. "Ich muss aber erst zur Sparkasse. Komm doch übermorgen zum Kaffee vorbei, dann gebe ich dir das Geld", bietet Stuhlmacher an, was zufrieden aufgenommen wird. Allerdings: Da zudem Mehrwertsteuer anfalle, solle Stuhlmacher gleich 25 000 Euro abheben.

Während sich Stuhlmacher und ihr Partner mit der Polizei absprechen, macht die vermeintliche Enkelin Druck, ruft immer wieder an, fragt nach, ob sie das Geld schon habe. "Sie hat mir überhaupt keine Zeit gelassen. Wahrscheinlich sollte ich gar nicht erst zum Nachdenken kommen. Das gehört wohl zur Taktik", so Stuhlmacher.

Der Fall ist klassisch. Ob Autokauf, Immobiliengeschäft oder drohende Kündigung - oft ist es eine angebliche finanzielle Notlage, die die Betrüger vorgeben, um an das Ersparte ihrer Opfer zu gelangen. Die "Enkel in Not" sitzen dabei häufig gut organisiert in polnischen Callcentern, Hunderte Kilometer vom Angerufenen entfernt. Nur die Geldübergabe erledigen Mittelsmänner vor Ort. Ihre Opfer finden sie im Telefonbuch, wo sie gezielt nach altmodisch klingenden Vornamen suchen.

Was für Stuhlmacher folgt, könnte aus einem Kriminalroman stammen: Ein Taxi bringt die Seniorin zur nächsten Sparkassenfiliale, in der Tasche hat sie ihr altes Sparbuch, längst außer Dienst. "Die Angestellten waren durch die Polizei eingeweiht. Ich sollte mich ganz normal in die Schlange einreihen. Man wusste ja nicht, ob mich die Betrüger beobachten werden."

Zwei Beamte in Zivil warten schon am Auszahlschalter, überreichen ihr ein Kuvert. Darin ist nur Papier. Als sie nach Hause kommt, klingelt das Telefon bereits. Ob sie das Geld habe? Und: Aus Zeitgründen werde nicht sie selbst, sondern ein Vertreter des Autohauses das Geld abholen. Stuhlmacher macht sich auf zum vereinbarten Treffpunkt, der längst von der Polizei observiert wird. "Herr Braun vom Autohaus" wartet schon.

"Die Übergabe ging ganz schnell. Zum Glück hat er nicht geschaut, was in dem Umschlag ist", sagt die 76-Jährige. Der Geldbote kommt nicht weit, wird vor Ort festgenommen. Die Anruferin selbst kann trotz der nachfolgenden Ermittlungen leider nicht gefasst werden. "Ich hätte die Frau gern geschnappt", sagt Elfriede Stuhlmacher. Dass einsame Leute um ihr Erspartes gebracht werden, nur weil sie sich über jeden Kontakt freuen, sei grausam. "Mit mir haben sie jedoch die Falsche erwischt."