Bluttat im Drogenmilieu: Ein 32-Jähriger muss sich seit gestern wegen Mordes in Hamburg vor Gericht verantworten. War Habgier das Motiv?

Hamburg. Auf den ersten Blick sah alles nach einem tragischen Unfall aus. Am Dobbelersweg war ein Mercedes gegen einen Baum gerast. Ali Ch., 28, lag tot hinter dem Steuer.

Bei der routinemäßigen Obduktion der Leiche kamen die Rechtsmediziner jedoch einem Verbrechen auf die Spur: Ali Ch. war während der Fahrt durch einen Schuss in die Brust getötet worden. Ernes I., sein mutmaßlicher Mörder, steht seit gestern vor dem Landgericht.

Für die erschütterten Angehörigen, die als Nebenkläger auftreten, ist der Prozess die Hölle. Völlig ausdruckslos, beinahe gelangweilt, folgt der wegen Mordes angeklagte 32-Jährige dem Geschehen im Gerichtssaal - als liefe vor seinen Augen ein nur mäßig spannender Kinofilm ab.

So eiskalt, wie er hier auftritt, so kaltblütig hatte er am 28. Februar offenbar Ali Ch. erschossen, mit einer Pistole der Marke Browning, Kaliber 7,65 mm. Es war eine Tat im Drogenmilieu: Laut Anklage wollte Ernes K. den Preis für zwei Kilogramm Marihuana nicht zahlen, die Ali Ch. zuvor beschafft hatte. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Mord aus Habgier aus.

Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen. Kenan K. aber, ein Freund des Opfers, könnte viel zur Aufklärung beitragen. Der 26-Jährige saß an jenem Abend in dem Auto, er allein hatte die Bluttat beobachtet. Doch auch der Kronzeuge macht keine Aussage und beruft sich auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht, das ihm zusteht, weil die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Mordtat wegen Drogenhandels gegen ihn ermittelt.

Sein Schweigen erschwert die Beweisaufnahme erheblich. Zwei Verhandlungstage hatte das Gericht für seine Befragung angesetzt - nun ist alles zunichte. Weil sich Kenan K. immerhin der Polizei erklärte, avancieren die Protokolle und die Zeugenaussagen der Vernehmungsbeamten zum alles überragenden Beweismittel.

Zur Vernehmung von Kenan K. äußerte sich gestern der Beamte Ralf H., 41. Demnach gab Kenan K. an, dass er den Kontakt zwischen Ali Ch. und Ernes I. hergestellt habe. Er kannte den späteren Mörder nur unter dem Namen "Antonio". An jenem Abend hätten sie sich in einer Bar getroffen, seien dann in den Mercedes von Ali Ch. gestiegen. Auf dem Rücksitz saß Ernes I., der eine schwarze Tüte mit den Drogen erhalten habe. "Doch statt dem Geld hat Antonio eine Waffe herausgeholt", sagte Kenan K. "Dann gab es einen lauten Knall." Ernes I. sei mit den Drogen aus dem fahrenden Wagen geflüchtet. Tödlich getroffen verlor Ali Ch. auf dem Hübbesweg die Kontrolle, streifte geparkte Autos und touchierte einen Radfahrer, der stürzte und leicht verletzt wurde. Der Wagen beschleunigte immer weiter, bis er am Dobbelersweg einen Zaun durchbrach und mit einem Baum kollidierte. Kenan K. erlitt dabei einen Armbruch.

Ob Ernes I. seine ostentativ coole Pose auch nach elf Verhandlungstagen noch beibehält, wird sich zeigen: Ihm droht eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Sollte das Gericht zudem im Urteil eine besondere Schwere der Schuld feststellen, käme Ernes I. frühestens nach 20 Jahren wieder auf freien Fuß.