Haftbefehl nach Messerstecherei am Jungfernstieg erlassen. Die Gruppen aus Billstedt und Norderstedt rivalisieren bereits seit Jahren.

Hamburg. Den Begriff "Jugendgang" hört man bei der Hamburger Polizei nicht gerne: Lieber sprechen die Beamten von "Gruppen Jugendlicher", aus deren Mitte heraus Einzeltäter ihre Taten begingen. Eine solche Einzeltat war es demnach auch, die sich am Freitag auf dem Jungfernstieg ereignete: Der 17-jährige Bedirhan E. aus Eilbek - er sitzt jetzt wegen Mordversuchs in Untersuchungshaft - stach dem zwei Jahre älteren Zafer A., der in Garstedt wohnt, ein Messer mehrfach in den Körper. Schnell war klar: Bei der Attacke mitten in der City handelte es sich um einen Racheakt: Das Opfer hatte vor zwei Jahren in Barmbek den Zwillingsbruder des jetzigen Täters attackiert - ebenfalls mit einem Messer.

Wolfgang Banse, bei der Norderstedter Polizei zuständig für Jugendkriminalität, sagt, der 17 Jahre alte Täter, der zu einer Billstedter Jugendgruppe gehört, habe sich vermutlich für die damalige Tat revanchieren wollen. Der Streit zwischen den Billstedter und Norderstedter Jugendlichen tobt demnach seit Jahren. "Bis Ende 2008 kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, mal in Hamburg, mal am Busbahnhof Norderstedt-Mitte", sagt Banse. Er und seine Kollegen von der Ermittlungsgruppe "Jugend" schritten ein und brachten einige der Jugendlichen vor Gericht. Zum Teil wegen schwerer Straftaten. Einige mussten ins Gefängnis, gegen andere wurden Bewährungsstrafen verhängt. "Gerade die halten jetzt die Füße still", sagt Banse. "Zwei Jahre war Ruhe." Nach seiner Einschätzung war die Messerstecherei am Jungfernstieg nicht geplant, sondern ein Zufall. Der Täter habe sein Opfer offenbar in der City entdeckt und die Chance gesehen, Rache zu nehmen.

In Norderstedt hatte die Polizei im Jahr 2008 eine Ermittlungsgruppe "Jugend" gegründet, nachdem die Zahl von Übergriffen junger Täter und ihre Gewaltbereitschaft immer mehr zugenommen hatten. Im Visier hatten die Beamten zwischen 25 und 30 Intensivtäter, die sich bis dahin unbeeindruckt gezeigt hatten von Sanktionen und der Arbeit der Polizei. Die Ermittler arbeiteten eng mit dem Jugendamt und vor allem der Justiz zusammen. "Nur wenn der Staat nach einer Straftat schnell reagiert und die Strafe auf dem Fuße folgt, zeigt sie Wirkung", sagt Banse. Das Konzept ging auf - bis vor gut einem Jahr. Wiederholt hatten vor allem ältere Norderstedter darüber geklagt, dass sie sich von den am Bahnhof "herumhängenden" Jugendlichen bedroht fühlten.

Höhepunkt war der Überfall auf zwei 78 und 80 Jahre alte Senioren Ende Oktober 2010. Zwei unbekannte Täter hatten die beiden krankenhausreif geschlagen. Sie entkamen mit 20 Euro. Die Stadt reagierte und engagierte einen privaten Sicherheitsdienst. Zwei "Schwarze Sheriffs" gingen regelmäßig Streife. "Das Ergebnis gibt uns recht, der Einsatz hat sich ausgezahlt. An den neuralgischen Punkten in Norderstedt-Mitte ist Ruhe eingekehrt", sagte Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote, als er im März Zwischenbilanz des politisch umstrittenen Konzepts zog. Heute gehen die beiden Security-Männer allerdings zum letzten Mal auf Kontrollgang. Der Vertrag läuft aus. Wie es weitergeht, ist unklar.

In Hamburg ist an eine vergleichbare Maßnahme nicht gedacht. "Es gibt keine Jugendgangs", sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Natürlich gebe es Gruppen, mit denen sich auch Straftäter treffen. Aber nur, weil eine Gruppe mal ein Video drehe oder sich einheitliche T-Shirts drucke, werde sie nicht gleich zu einer Gang.

In Hamburg hatten zuletzt die "Neustädter Jungs", eine Gruppe von Jugendlichen aus dem Umfeld des Großneumarkts, für Schlagzeilen gesorgt. Aus ihrer Mitte stammt der 16-jährige Elias, der vor einem Jahr am Jungfernstieg Mel D. erstach.

Im Internet präsentieren sich seit Jahren Gruppen Jugendlicher, die sich selbst als Gang sehen. Ebenso lange - und länger - gibt es auch Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen einzelner Stadtteile, die zum Teil mit verabredeter Gewalt ausgetragen werden. Schöpflin: "Wir beobachten vielfältige Tätigkeiten in entsprechenden Internetforen. Da wird gedroht und beleidigt, oft auch mittels musikalischer Schmähungen." Rap-Musik spiele nach wie vor eine wichtige Rolle in diesen Szenen, sagt Andreas Schöpflin. Die Treffen würden meist eher spontan organisiert.

"Wenn eine Gruppe mitbekommt, dass eine andere sich beispielsweise am Jungfernstieg trifft, fährt man halt auch hin", schildert Schöpflin. Meist bleibe es bei solchen Begegnungen aber bei Drohgebärden und gelegentlichen Provokationen.