Kiez-Legende muss 11.000 Euro Geldstrafe zahlen. Der Ex-Boxer war ohne Fahrerlaubnis Auto gefahren - dabei gab ihm eine Bekannte ein Alibi.

Neustadt. Es ist diese Brille, die aus ihm eine urbane Legende gemacht hat. Ein überdimensioniertes Sehgestell. Getönt, groß, goldgerändert. Dazu der dunkle Teint, der feine Anzug und der markante Oberlippenbart.

Es ist ein vergleichsweise läppischer Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft Karl-Heinz "Kalle" Schwensen macht. Doch wenn die einstige Kiez-Größe und die Justiz aufeinanderprallen, dann hat selbst eine Anklage wegen "Fahrens ohne Fahrerlaubnis" Eventcharakter - nicht ohne Grund ist der Andrang groß, als Schwensen mit versteinerter Miene in den Gerichtssaal schreitet. Zwei Polizisten hatten beobachtet, wie der 57-Jährige am 2. Februar in der Balduinstraße in einen Mercedes einstieg und davonfuhr - obgleich er seinen Führerschein im Januar abgeben musste, weil er mal wieder 18 Punkte in Flensburg gesammelt hatte.

Kiez-Coolness und Hamburger Lokalkolorit - dafür steht Kalle Schwensen wie kaum ein anderer. Mal lieh er der Werbekampagne einer Zeitung sein Gesicht, dann trat er als mackerhafter Lude in einem Musikvideo der Hamburger Rap-Combo Fünf Sterne Deluxe auf. Sein alles überragendes Markenzeichen war und ist die riesige Pilotenbrille. Schwensen nahm sie selbst im Notarztwagen nicht ab, nachdem ihn Unbekannte 1996 niedergeschossen hatten. Aber ist deshalb jeder, der so eine Sonnenbrille trägt, gleich Kalle Schwensen?

Das ist eine der Fragen, die der 57-Jährige dem Amtsrichter stellt. Schwensen sieht sich zu Unrecht beschuldigt und als Opfer einer "Verwechslung" - was wiederum die Polizisten verneinen. "Ich kenne nur zwei Menschen, die abends mit einer Sonnenbrille unterwegs sind", sagt einer von ihnen. "Herrn Schwensen und Heino. Aber Heino war es sicher nicht." Lässig fläzt sich Schwensen in einem Stuhl. Außer seiner XXL-Brille, die er angeblich nur beim Haarewaschen abnimmt, trägt er auf Hochglanz polierte Lederschuhe, dazu einen anthrazitfarbenen Anzug und eine schwarz-grau gestreifte Krawatte. Im Grunde ist der ihn umgebende Kiez-Nimbus ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Schwensen, der eine Talent-Casting-Agentur leitet und an der Elbchaussee lebt, ist mit dem Gesetz seit vielen Jahren kaum in Konflikt gekommen. Dafür hat er aber 21 Eintragungen im Verkehrszentralregister gesammelt und musste 2010 eine Geldstrafe zahlen, weil er schon einmal ohne Führerschein mit dem Auto gefahren war.

Johannis P. ist einer der Polizisten, die ihn am 2. Februar gesehen haben. Nur 15 Meter von seiner Position entfernt sei Schwensen in einen Mercedes gestiegen und allein davongebraust. Irrtum ausgeschlossen, betont er. "Er ist ja nicht irgendwer, natürlich kenne ich ihn, ich bin in Hamburg aufgewachsen", sagt er.

Ein Lächeln huscht über Schwensens Gesicht, dann schaltet er in den Kreuzverhör-Modus. Sein Verteidiger Klaus Hüser versucht noch, ihn zu stoppen - vergebens.

"Kennen Sie Vitali Klitschko?", fragt Schwensen.

Der Polizist: "Ja."

Schwensen: "Ist der Ihnen bekannter als ich?"

Der Beamte: "Sie würde ich eher erkennen als ihn."

Schwensen: "Haben Sie seinen letzten Kampf gesehen?"

Der Polizist: "Ja."

"Das war nicht Vitali, das war Wladimir", tönt Schwensen triumphierend Ob er eine Pause benötige, fragt nun der Richter. Doch Schwensen hat noch ein Ass im Ärmel - seine Alibi-Zeugin. Susanne D., eine zierliche Frau von 49 Jahren, kurze, blonde Haare. Sie kenne Schwensen aus ihrer Disco-Zeit, vor 25 Jahren hätten sie öfter zusammen im Kiez-Club "Top Ten" gefeiert, sagt die Hausfrau aus. Zufällig traf sie ihn am 2. Februar beim Shopping in der Europa-Passage, dann fuhren sie zu ihr, um bei Kaffee und Kuchen "Deutschland sucht den Superstar" zu schauen.

Eine Gefälligkeitsaussage, so sieht es der Staatsanwalt. Unabhängig von ihrer "glaubhaften Aussage", sagt hingegen Schwensens Verteidiger, sei sein Mandant freizusprechen, die Polizisten hätten sich geirrt. Es gebe noch viele andere, die so eine Sonnenbrille trügen und zum "negroiden Typ" gehörten. Auch Schwensen gibt in seinem Schlusswort Gas. Er sei verwechselt worden, ständig wolle ihn irgendjemand irgendwo gesehen haben. "Zudem bin ich zu arrogant, um es abzustreiten - wenn ich es gewesen wäre. Fakt ist: Ich war es nicht."

Sein Problem ist, dass der Richter den Polizisten "ohne jeden Zweifel" glaubt. Er verurteilt Schwensen zu einer Geldstrafe von 11 000 Euro, verhängt außerdem eine Führerscheinsperre von neun Monaten. Den Schuldspruch steckt Schwensen so weg, wie es seinem Image entspricht: ganz cool.