Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche im Hamburger Abendblatt über einen außergewöhnlichen Fall der Stadt.

Hamburg. Das Unbehagen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Am liebsten, so scheint es, wäre der Mann jetzt weit, weit weg. Einfach abtauchen, irgendwohin, und die Gegenwart ausblenden. Weg aus diesem Gerichtssaal, heraus aus diesem Prozess, wo es für ihn um alles geht, um seine Familie, seine Zukunft, seine Freiheit.

Doch Michael F. war gewarnt worden, mehrfach und deutlich, dass er Gefahr läuft, sein Leben an die Wand zu fahren. Es wäre einer der "sehr, sehr seltenen Fälle", sagt der Staatsanwalt jetzt über den 40-Jährigen, dass jemand wegen einer Beleidigung tatsächlich ins Gefängnis muss. Möglicherweise sogar der Erste in Hamburg, vermutet der Amtsrichter. Michael F. könnte also unter Umständen ein Kapitel Justizgeschichte schreiben. Keins, das auch nur im Entferntesten erstrebenswert ist. Und das alles wegen einer SMS an eine Frau, im Zorn geschrieben und abgeschickt, ohne nachzudenken, sinnlos, überflüssig.

Und vor allem eben beleidigend. Sie sei ein "feiges, verlogenes Mannsweib" hatte der Hamburger seinem Ärger über eine Bekannte Luft gemacht, von der er nach einem Kennenlernen übers Internet und einem ersten Treffen mehr wollte. Die ihn aber nicht mehr wollte. Heute würde Michael F. seine scharfen Worte vom Juli vergangenen Jahres am liebsten ungeschehen machen. Von einer "verbalen Entgleisung" spricht der Krankenpfleger, von einer Sache, die ihm "sehr leid tut".

Richtiggehend zerknirscht wirkt der kräftig gebaute Mann im roten Kapuzenshirt, mit hängenden Schultern, er scheint die Einsicht und die Bußfertigkeit zu verkörpern. "Ich habe mich auch mehrfach bei ihr entschuldigt", ergänzt er, "aber es hat wohl nichts gebracht, sonst säße ich nicht hier." Er habe ja auch "gewisse Auflagen" zu erfüllen, druckst Michael F. herum.

So kann man es auch ausdrücken. Man könnte es aber auch drastischer formulieren, ohne zu übertreiben: Der Mann ist drauf und dran, sein Leben sehenden Auges zu ruinieren. Mehrfach ist er strafrechtlich vorbelastet, davon allein viermal wegen Beleidigung. Unter anderem hatte er laut Anklage eine Frau als "fette Drecksau" tituliert. Für die jüngsten Taten wurde Michael F. zweimal zu Bewährungsstrafen von drei beziehungsweise fünf Monaten verurteilt, mit der klaren Anweisung, sich künftig nichts mehr zuschulden kommen zu lassen.

"Da ist man ziemlich sprachlos", staunt der Amtsrichter jetzt. Da werde dem Angeklagten noch einmal eine letzte Chance eingeräumt, "und fünf bis sechs Wochen nach dem letzten Urteil geht es wieder los? Was ist das Grundproblem?", will er von dem 40-Jährigen wissen. "Schreien Sie nach Gefängnis?"

Davon könne keine Rede sein, wehrt Michael F. energisch ab. Das Problem sei vielmehr, dass vor vielen Jahren seine Frau verstorben sei und er seitdem alleinerziehender Vater. Es sei ihm bislang nicht gelungen, "ein normales Verhältnis zu Frauen aufzubauen. Wenn ich das Gefühl habe, abgewiesen oder verarscht zu werden, neige ich dazu, beleidigend zu werden."

Er könne eben nicht mit Enttäuschungen umgehen. Auch er selber sei öfter von Frauen beleidigt worden, sagt der 40-Jährige, "ich habe das aber nie angezeigt. Ich hatte eben das Pech, dass ich oft angezeigt worden bin." Er wisse selber, dass er sich helfen lassen müsse, "um meine Impulsstörung in den Griff zu bekommen". Deshalb habe er bereits mehrere Gespräche mit Therapeuten geführt und sich um einen Therapieplatz in einer Klinik bemüht, demnächst solle die Behandlung beginnen. Und schließlich habe er ja auch noch die Verantwortung gegenüber seinem minderjährigen Kind. Er wolle auf keinen Fall ins Gefängnis, ringt Michael F. um Nachsicht.

Das hatte offenbar auch seine Bekannte nicht im Sinn, als sie gegen den Mann Anzeige wegen Beleidigung erstattete. "Das, was hier läuft, habe ich nicht beabsichtigt", sagt Nicole U. und lässt ihren Blick für einen Moment durch den Gerichtssaal schweifen. Sie sei aber auch nicht bereit, die Anzeige zurückzuziehen. Zu verletzend seien die Worte gewesen und auch nicht die einzige Beleidigung, die sie von ihm habe erdulden müssen, erzählt die groß gewachsene 41-Jährige mit der langen blonden Mähne. Nachdem sie Michael F. seinerzeit mitgeteilt habe, dass sie auf Distanz gehen wolle, habe der Hamburger das nicht akzeptieren wollen. Immer wieder habe er ihr SMS geschickt und ihr schließlich auch gedroht, er komme "unverhofft vorbei". Da habe sie "auch Angst gekriegt", sagt Nicole U. "Ich habe zwei kleine Kinder."

Für den Staatsanwalt ist das Maß voll. Auf drei Monate Haft plädiert der Ankläger für Michael F., die auch vollstreckt werden müssten. Schließlich sei der 40-Jährige mehrfach vorbestraft und habe diese Warnungen nicht zum Anlass genommen, sein Verhalten zu ändern. "Das Versagen liegt allein auf Ihrer Seite."

Auch der Amtsrichter erkennt nach reiflicher Überlegung auf drei Monate Haft, lässt jedoch noch einmal Milde walten und setzt die Strafe zur Bewährung aus. Michael F. solle die Chance haben, seine angestrebte Therapie in Freiheit zu machen, betont der Richter. Das sei der "allerallerletzte Rettungsanker", die Bewährungszeit beträgt fünf Jahre, das ist das im Gesetz vorgesehene Maximum. "Sie bewegen sich auf ganz, ganz dünnem Eis", gibt der Richter dem Angeklagten mit auf den Weg. "Das nächste Mal gehen Sie definitiv ins Gefängnis!"