Doch vor Gericht weiß der Angeklagte nicht mehr, warum

Neustadt. Der Angeklagte bekommt keinen Ton heraus, er hat kaum geschlafen. Es steht viel auf dem Spiel für den 33-Jährigen: eine Gefängnisstrafe und eine Freundschaft, die eigentlich schon verloren ist. Aber Robert M. hofft auf Versöhnung und Vergebung - und lässt es im Gericht auf einen Versuch ankommen.

Das ist ziemlich gewagt, denn Robert M. hätte seinen Freund im Suff fast getötet. Nun sitzen sie sich gegenüber, und Tino T., 24, weicht seinem Blick beharrlich aus. Die Staatsanwaltschaft hat Robert M. wegen versuchten Totschlags angeklagt. Nur zu gern, sagt er, würde er alles ungeschehen machen, es könnte so werden wie früher, als sie Freunde waren. Zwei Entschuldigungsbriefe habe er ihm aus der U-Haft geschickt. Gestern erhält er eine Antwort, immerhin, sie bleibt offen. "Ich glaube, dass es ihm leid tut", sagt das Opfer, "aber ob die Tat entschuldbar ist ..."

Robert M. wirkt niedergeschlagen, er hat sich etwas anderes erhofft. Den Angriff auf Tino T. stellt er nicht in Abrede, gleichwohl ist sein Geständnis voller Lücken, da ihm im Vollrausch (Alkoholwert: 2,7 Promille) wichtige Details abhanden gekommen sind.

Dabei hätte er wissen müssen, welche Folgen eine Messerattacke haben kann, sagt der Vorsitzende Richter und spielt damit auf eine Tat an, die 17 Jahre zurückliegt: 1994 erstach Robert M. einen Arbeitskollegen, wurde dafür aber nicht vor Gericht gestellt, da Notwehr nicht ausgeschlossen werden konnte. Damals soll Robert M. reichlich gebechert haben - so wie am 11. September, als er und Tino T. nachmittags anfingen, jede Menge Bier und Wodka zu trinken. Er habe wohl ein Problem mit Alkohol, sagt Robert M. Nach Mitternacht hätten sie sich gestritten, warum, das wisse er nicht. Gut möglich, dass er den Freund einen "Hurensohn" nannte - ein Wort, auf das Tino T. nach eigenen Angaben hochallergisch reagiert. Er habe den 24-Jährigen aus seiner Wohnung geworfen, doch Tino T. habe mit den Fäusten gegen die Tür gehämmert. "Plötzlich hatte ich ein Messer in der Hand", sagt er. Da habe er zugestochen.

Die Ärzte mussten operieren, um das Leben von Tino T. zu retten. Der Stich war zehn Zentimeter tief, Teile des Darms waren aus der Bauchhöhle gequollen. Gestern berichtet auch das Opfer von der Tat. Seine Aussage deckt sich mit der des Täters, sogar die Erinnerungslücken sind identisch - von dem Streit weiß Tino T. nichts mehr.

Robert M. wollte nach der Tat erst mit dem Hund spazieren gehen und dann einen Krankenwagen rufen. "Warum erst dann", sagt er auf Nachfrage, "kann ich nicht erklären." Noch vor der Wohnungstür nahm ihn die Polizei fest. Einem Beamten gestand Robert M., sein Freund habe ihn "genervt", da habe er "einen Rappel" gekriegt. Den Polizisten fragte er auch, ob sein Freund seinen Verletzungen erlegen war - ein Indiz dafür, dass er seinen Tod billigend in Kauf nahm? Sollte ihm ein bedingter Tötungsvorsatz nachgewiesen werden, ist ihm eine Freiheitsstrafe gewiss. Die Freundschaft mit Tino T. dürfte dann nur noch eine Erinnerung sein.