Hamburg. Er hätte die peinliche Sache aus der Welt schaffen können, elegant und geräuschlos. Doch der Busfahrer fühlte sich im Recht und ohne Schuld. Daher legte er Einspruch gegen den Strafbefehl wegen unterlassener Hilfeleistung ein. Nur deshalb ist der Fall gestern vor dem Amtsgericht Bergedorf gelandet.

Es geht dabei um einen Vorfall zu einer Zeit, als der Asphalt noch unter zentimeterdickem Eis lag und nicht schmolz, wie in den vergangenen Tagen. Im heißen Gerichtssaal sitzt Karsten P., 48, einer älteren Dame gegenüber, Elsbeth K. Sie hat ihn angezeigt. Wie sich die Dinge zugetragen haben sollen in jener frostigen Januarnacht, sieht sie doch entschieden anders als der Angeklagte.

Die 69 Jahre alte Frau wollte am 25. Januar gegen 18.30 Uhr die Margit-Zinke-Straße überqueren. "Auf dem Gehweg brach eine Eisschiene weg, und ich knallte aufs Pflaster. Mein ganzer Körper lag auf der Straße, ich konnte mich nicht mehr aufrichten", sagt sie.

Da näherte sich ein Bus der Linie 334, hinterm Steuer saß Karsten P. "Ich konnte im letzten Moment meine Beine vor dem Bus wegziehen", sagt sie. Doch statt anzuhalten und ihr zu helfen, habe der Fahrer sie ignoriert, einen Bogen um sie gemacht und sei weitergefahren.

Der Busfahrer, ein wohlbeleibter Mann von 48 Jahren, lässt seinen Verteidiger eine schriftliche Erklärung verlesen: Im Seitenfenster habe er registriert, dass eine Person gefallen sei, einen Sturz wie diesen habe er bei seinen Fahrten über die spiegelglatten Straßen häufiger beobachtet. Er habe in der Situation nicht geglaubt, dass die Person Hilfe benötigte. "Das soll Ihre Einlassung sein?", fragt der Richter mit hochgezogener Augenbraue. Karsten P. nickt. Und schweigt.

Tahereh D., 35, saß im Bus direkt hinter dem Busfahrer und wies ihn auf den Unfall hin. "Er nuschelte: 'Wieder so ein Besoffener, für die halte ich doch nicht.'" Das hatte sie Elsbeth K., nachdem sie zur Unfallstelle gegangen war, auch so weitergegeben. Die Aussage brachte die 69-Jährige erst richtig in Harnisch. "Ich hätte feige sein und dichthalten können. Aber man kann auch Betrunkene bei so einer Kälte nicht einfach liegen lassen", sagt sie. "Deshalb habe ich ihn angezeigt."

Karsten P. äußert sich nach einer kurzen Pause doch. "Das habe ich nicht gesagt", beteuert er. Im übrigen tue ihm leid, was Frau K. widerfahren sei. "Ich habe die Situation wohl nicht richtig eingeschätzt", gibt er nun kleinlaut zu.

Eine Minute nach dem Sturz hielt dann aber doch noch ein Wagen an, zwei Männer stiegen aus und halfen der Dame wieder auf die Beine. Die 69-Jährige lag anschließend mit einem gebrochenen Oberarm noch neun Tage in einem Krankenhaus.

Kurz vor Ende der Beweisaufnahme wagt der Verteidiger einen letzten Vorstoß in Sachen Freispruch. Herr P. habe der Vorsatz gefehlt. Und: "Der Gang-apparat von Frau K. war nicht verletzt. Mein Mandant konnte nicht ausschließen, dass sie sich selbst würden helfen können." In letzter Sekunde hilft Karsten P. sich vor allem selbst: Er zieht seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurück und kommt mit einer Geldstrafe von 1200 Euro davon - so wie es ihm die Staatsanwaltschaft angeboten hatte.