Die Betrüger melden sich am Telefon bei Senioren, suggerieren Vertrauen und Abhängigkeiten. Die Zahl der Taten steigt in Hamburg deutlich.

Hamburg. "Rat mal, wer hier ist. Erkennst du deinen jüngsten Enkel nicht?" So oder so ähnlich beginnen die meisten dieser Telefongespräche. Sie suggerieren Vertrauen, Beziehungen und Abhängigkeiten. Am Ende bleiben Schäden, die in die Zehntausende Euro gehen.

Mehr als 150.000 Euro ergaunerten Enkeltrickbetrüger in Hamburg im vergangenen Jahr - mindestens. In diesem Jahr wohl noch mehr. Die Polizei glaubt an ein großes Dunkelfeld, genährt aus Scham. Viele der in die Jahre gekommenen Opfer wollen sich nicht bloßstellen. Sie meiden die Anzeige.

"Bei 70-Jährigen versucht, bei 80-Jährigen vollendet", lautet die knappe Formel, mit der Kriminalhauptkommissar Martin Ploch (38) das Phänomen beschreibt, das auf einem ausgeklügelten System beruht. Die Hintermänner, oft in Polen sitzend, gehen meist straffrei aus. In Wellenbewegungen durchforsten ihre Mittelsmänner Stadt für Stadt. Derzeit haben sie Hamburg im Visier, heißt es aus dem Landeskriminalamt (LKA). Allein in den vergangenen beiden Wochen registrierte die Polizei drei vollendete Fälle. Niemand weiß, wie oft sie es versuchten.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Annelie P. ist ein Opfer, das sein gesamtes Erspartes fast verlor: Vor wenigen Wochen klingelte das Telefon bei der 86-Jährigen aus Eilbek. Die Stimme kann sie nicht einordnen, doch sie klingt freundlich: "Ich bin's!" Annelie P. stutzt. Die Unbekannte legt nach: "Na? Wer ist hier? Rat mal wer dran ist."

Monika könnte es sein, überlegt Annelie P. Ihre ehemalige Arbeitskollegin und Freundin. Der Kontakt war brüchig geworden. "Monika?", fragt sie unsicher. Das "Ja" folgt prompt.

Im Schnitt 100 erfolglose Telefonate führen die Täter, bis sie auf ein geeignetes Opfer stoßen, erklärt Ploch. Sie telefonieren Listen aus dem Telefonbuch ab, suchen gezielt nach altmodischen Namen. Hat ein Opfer angebissen, machen sie Druck. Monika, die nicht Monika ist, sondern eine gut deutsch sprechende Frau, die irgendwo in Polen mit einem Prepaid-Handy und unterdrückter Nummer telefoniert, will Annelie P. treffen. Am gleichen Tag noch, zum Kaffee. Die Betrugsmaschinerie läuft an, während die 86-Jährige überlegt, was sie zu dem unerwarteten Kaffeekränzchen anbieten soll. Wieder klingelt das Telefon, wieder ist Monika dran. Sie will 10 000 Euro. Sie sei bei einem Anwalt, brauche unvorhersehbar Geld bis 18 Uhr. Sie wüsste niemanden sonst, den sie jetzt darum bitten könnte.

"In 99 Prozent der Fälle melden sich die Täter am gleichen Tag wieder. In der Regel folgen sieben bis 15 Anrufe", sagt Ploch. Anrufe, die das Opfer unter Druck setzen sollen, so schnell wie möglich Geld zu beschaffen. Annelie P. will ihrer Freundin helfen, auch wenn die absurde Summen verlangt: 20 000 sind es einen Anruf später, dann 30 000. Dass Monika sogar 50 000 Euro will, macht die Eilbekerin nicht skeptisch. Am frühen Nachmittag lässt sich die Rentnerin all ihr Erspartes in einer Bank auszahlen. Dann geht sie nach Hause und wartet.

Dass die meisten Fälle nur am Telefon passierten, mache die Ermittlungen so schwer, sagt Ploch. Die Polizei sei auf Hinweise von Bankmitarbeitern angewiesen, etwa wenn ältere Kunden besonders viel Geld abholen.

Oder auf Anzeigen.

Wie die von Eva K. Die 65-jährige Billstedterin, erhielt vor wenigen Tagen einen Anruf, der ebenfalls mit "Rate mal, wer hier ist" begann, allerdings auf Polnisch. Intuitiv erkennt sie den Schwindel und spielt trotzdem mit. "Ich hab's aus Spaß gemacht", lacht sie verschämt. Katharina könnte da am anderen Ende der Leitung sein, denkt sie sich aus. Und ganz zufällig ist Katharina das auch.

Katharina ist nach Jahren wieder in Hamburg, will sie treffen, allerdings hat sie ein Problem, will einen Kaufvertrag unterschreiben. Ob Eva K. nicht helfen könnte. Die 65-Jährige sagt zu, legt auf und atmet erst einmal tief durch.

"Aber was sollte ich dann machen?" Sie berät sich mit ihrer Tochter, die in der Nähe wohnt. "Mama du musst die Polizei rufen", sagt die. Eine halbe Stunde später verkabelt ein Kollege von Kriminalhauptkommissar Ploch ihr Telefon. Immer wieder melden sich die Täter. Wollen 20 000 Euro, die ihnen Eva K. - mit der Polizei im Rücken - auch verspricht. Doch am Ende scheitern die Geldübergabe und damit auch die geplante Festnahme.

177 vollendete und versuchte Taten wurden 2009 angezeigt. In 25 Fällen hatten die Täter Erfolg - sie erbeuteten 156 150 Euro. Noch im Jahr zuvor wurden nur 75 Betrügereien angezeigt, darunter neun vollendete. Schadenssumme: 51 000 Euro.

Seniorin Annelie P. hatte Glück. Sie übergab zwar ihr Erspartes an die unbekannte Frau, die sich als Monika ausgab. Eine halbe Stunde nach der Geldübergabe klingelten allerdings zwei Polizisten bei Annelie P. an der Wohnungstür. "Ich wusste, dass da was nicht stimmt", rief die alte Dame aus. Zivilfahnder hatten die Geldabholerin seit Tagen im Visier. Annelie P. hat ihr Erspartes zurückbekommen.