Das Landgericht Hamburg verurteilte den jungen Mann aus Steilshoop wegen Mordes. Das Strafmaß: acht Jahre und sechs Monate Haft.

Hamburg. Kai S. glaubte, dass Kurt S. bestraft werden müsse, "für das, was er den Kindern angetan hat". Und dass es seine Aufgabe sei, sie zu schützen: vor ihm, dem Kinderschänder. Vor dem Mann, der sein Nachbar war - der Mann, dessen Richter und Henker er werden sollte.

Der 18-Jährige tötete Kurt S. am Appelhoffweiher in Bramfeld, 21-mal stach er am 2. März zu, "mit großer Heftigkeit und Gewalt", so das Gericht. Kurt S. hatte keine Chance, den Furor zu überleben. Für diesen Akt der Selbstjustiz hat ihn das Landgericht gestern zu einer Jugendhaftstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Für die Kammer steht fest: Kai S. hat den 48 Jahre alten Mann heimtückisch und mit direktem Vorsatz ermordet. "Sie haben keinen Pädophilen getötet, sondern einen Menschen ermordet", sagte der Vorsitzende Richter Bernd Trappe.

Es gebe keine Hinweise, dass Kurt S. ein Kinderschänder gewesen sei. Kai S. habe seinen Verdacht auf Gerüchte gegründet. Kurt S., so das Gericht, hortete zwar Pornos junger Frauen. Aber eben keine Kinderpornos.

Kurt S. und Kai S. lebten auf derselben Etage in einem Wohnhaus am Schreyerring (Steilshoop). Kurt S. war geistig behindert, er konnte schlecht folgen und war "recht simpel gestrickt", so der Vorsitzende. Schon Wochen zuvor hatte der 18-Jährige den Mann drangsaliert, zeigte ihn dann bei der Polizei an. Obgleich die Ermittlungen ergaben, dass sein Verdacht haltlos war - Kai S. strickte munter weiter an der kruden Mär vom bösen Kinderschänder.

Kurt S. galt als argloser Mensch. Zwar hatte Kai S. ihn mehrfach geschlagen. Doch als sein Peiniger in der Tatnacht freundlich anklopfte, ließ Kurt S. ihn und seine Freundin Christina W. in seine Wohnung. Es war ein gemütlicher Abend, bis W. eine DVD mit der Aufschrift "Teenies" entdeckte. Da verpasste ihm Kai S. einmal mehr eine Ohrfeige. Als er ihn nach der Attacke - da wieder freundlich - zu einem "Versöhnungsbier" einlud, willigte Kurt S. gutgläubig ein.

Da war die Falle schon gespannt. Kai S. holte ein Küchenmesser aus seiner Wohnung, versteckte es unter seinem Pullover, ging dann mit seiner Freundin und Kurt S. zu einer entlegenen Stelle im nahe gelegenen Park. Dort stach er auf sein völlig argloses Opfer ein. Der Vorsitzende: "Das ist Heimtücke."

Während des Prozesses hatte Kai S. behauptet, er habe seinem Nachbarn mit dem Messer nur drohen wollen - damit er sich selbst anzeigt. Doch am Tatort habe er ihn ausgelacht, wegen seiner Behinderung, habe Kurt S. getönt, könne er gar nicht belangt werden. Da sei er durchgedreht. Das Gericht sah darin jedoch nicht mehr als eine Schutzbehauptung des Angeklagten.

Was hat dann diesen Hass entfesselt? Kai S. ist als Kind selbst missbraucht worden, von einem geistig behinderten Mann, der sich vor ihm befriedigte. Eine Erfahrung, die das Gericht strafmildernd wertete. Anders ließe sich das vergleichsweise milde Urteil nicht begründen, so der Vorsitzende. Wenngleich durch Alkohol zusätzlich enthemmt, habe er das Verbrechen nicht im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen. Die feige Tat stehe "auf unterster Stufe".

Der junge Mann im weißen Kapuzenpullover schüttelte während der Urteilsbegründung immer wieder ungläubig den Kopf. Gleich heute werde er seinem Mandanten empfehlen, in Revision zu gehen, sagte sein Verteidiger. "Tatabläufe sind falsch wiedergegeben, die Kindheitserlebnisse nicht hinreichend gewürdigt worden." Die Nebenklagevertreterin zeigte sich zufrieden - insbesondere, weil das Gericht Kai S. wegen Mordes und nicht, wie von der Verteidigung beantragt, wegen Totschlags verurteilte. Gerade für die Mutter sei es wichtig, dass ihr Sohn posthum rehabilitiert worden sei und nicht mehr das Kainsmal eines Kinderschänders tragen müsse.