St. Pauli. Er hat schon viele Zeilen geschrieben. Über Kriegsreporter in Krisengebieten. Gefährliche Gefängnisse. Beziehungskrisen. Schicksalsschläge und Schicki-Micki-Menschen. Das ist nun mal der Job von Mike Powelz. Der Journalist ist mittlerweile Chefreporter bei der Zeitschrift „Hörzu“, für das Magazin recherchiert er nach interessanten Geschichten. Eine „heimliche Gebrauchsanleitung für den Tod“ hatte sein Chefredakteur bei ihm zwar nicht bestellt, bekommen hat er sie dennoch. Denn Powelz hat ein Kunststück geschafft, das nicht jedem Berufsschreiber gelingen mag: Er verknüpfte eine persönliche, emotional-zehrende Situation mit journalistischem Handwerk. Was bei anderen zum Fremdschäm-Seelen-Striptease wird, ist bei Powelz „Die Flockenleserin“ geworden: ein krimiartiger Roman über einen Mörder im Hospiz. Initiiert durch den Aufenthalt seinen Vaters Herbert in einem Sterbehotel, die gemeinsame Zeit mit Mutter Anne am Bett des geliebten Kranken.
„Das Buch folgte auf eine Langzeitreportage im Hamburger Hospiz Leuchtfeuer auf St. Pauli aus dem Jahr 2009. Das Thema hat mich als Journalist interessiert, da das Sterben auf jeden Menschen zukommt, ausnahmslos“, sagt Powelz. Groteskerweise ist es ein tabuisiertes Thema. „Wir haben uns vom Tod entfremdet“, so formuliert es Powelz, „heute haben viele noch nie eine Leiche gesehen, obwohl jeden Sonntag um 20.15 Uhr gestorben wird.“
Es ist die Ur-Angst vor dem Tod, der die Menschen die Augen verschließen lässt. Die Unfähigkeit, sich das Nicht-Sein vorstellen zu können. Die Panik davor, keine Kontrolle haben zu können.
Zudem gelte es als taktlos, die letzten Sekunden im Leben eines Menschen zu filmen, detailliert zu beschreiben. „Es gibt auf dem Markt unzählige Ratgeber zur Geburt, aber zum Thema Tod gibt es kaum Literatur“, weiß Powelz.
Sein Buch, das erst als E-Book herauskam und ob des Erfolgs jetzt als Amazon-Printausgabe erhältlich ist, hat folgernd aus diesen Überlegungen zum „Abenteuer Sterben“ eine gute Prise Humor beigesteuert bekommen: Nachdem Minnie in das „Hotel Holle“ eincheckt und dort ihr Zimmer einrichtet, lernt sie elf weitere todkranke Bewohner kennen, verbunden mit deren Lebensgeheimnissen. Nach drei ungeklärten Todesfällen geht die Mutige auf Mörderjagd im Hospiz. Es ist auch sie, die dem Buch den Titel verlieh – die Flockenleserin. „Bekannt auch unter Krozidismus – viele Menschen lesen Flocken am Ende ihres Lebens“, sagt Powelz, „das wahllos aussehende Herumgreifen in der Luft oder auf der Bettdecke ist wie ein Ordnen der Lebensgeschichten.“
Er selbst konnte nach dem Schreiben des Romans vieles im Privaten ordnen – etwas, das er durch die Gespräche mit den Sterbenden gelernt hat. „Jeder Mensch stirbt unterschiedlich. Manche mit einem Seufzer, manche mit einem Schrei. Andere nicken am Tisch ein“, sagt er. „Alle eint jedoch, dass es sich leichter stirbt, wenn die Baustellen der Vergangenheit beseitigt sind und sie loslassen können.“ Todsicher.
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