Er leitet Hamburgs Universität durch stürmische Zeiten. Präsident Lenzen setzt auf klare Worte und asiatisch geprägte Rücksichtnahme.

Rotherbaum. Durch den Gang vor dem Präsidentenbüro im Hauptgebäude der Universität an der Edmund-Siemers-Allee ziehen Scharen von Studienanfängern: Wo ist bloß unser Hörsaal? Drinnen erinnert sich Universitätspräsident Professor Dieter Lenzen , 63, daran, wie das damals bei ihm war, 1966 - vor 45 Jahren.

"Meine Studienzeit war stark von Freiräumen geprägt, das grenzte fast schon an Orientierungslosigkeit. Damals studierten knapp fünf Prozent eines Altersjahrgangs, das war überschaubar, die Universitäten waren kleiner. Es gab keine Studien-, nicht mal eine Prüfungsordnung."

Da hat sich vieles verändert. Der "Geist von Bologna" stellt zielgerichtete Wissensvermittlung ins Zentrum des Studiums, nicht Persönlichkeitsbildung. Ausgerechnet jetzt, wo die Erstsemester immer jünger werden ("Wir haben 33, die sind unter 18") und das Selbstständigwerden in die Uni-Zeit fällt. Lenzen spricht auch über persönliche Freiräume, ohne ausführlich darauf einzugehen, womit genau sie zu füllen seien. Vielleicht, weil es bei ihm anders gelaufen ist. Er war 1966 schon sehr sortiert, machte Examen nach sieben Semestern statt nach acht. "Dafür brauchte ich eine Ausnahmegenehmigung des Ministers." Und blieb auf der Überholspur, in nur neun Jahren vom Erstsemester zum jüngsten Professor der Republik, mit 28. "Diese formalen Qualifikationsprozesse muss man so schnell wie möglich hinter sich bringen, damit man sich um das Eigentliche, das Wesentliche kümmern kann. Dann kommen die Dinge, die Spaß machen."

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Im nordrhein-westfälischen Bildungsministerium hat er gearbeitet und als Hochschullehrer für Erziehungswissenschaft in Münster. Irgendwann hatte er Studenten aus Japan, die bei ihm promovierten, und bekam Einladungen zu Gastprofessuren in Tokio und Osaka - für Lenzen war das 1993 eine Entdeckung, die seither sein Leben prägt, bis in den Schnitt seiner Kleidung: Sein eleganter Maßanzug, seidig schimmernd königsblau, und sein Hemd sind nach asiatischen Mustern geschnitten. Zusammen mit seiner beeindruckenden Figur und dem markanten Kahlkopf und der Ruhe, die er ausstrahlt, verweisen sie auf fernöstliche Gedanken, denen er sich verbunden fühlt. "Man bekommt dort eine ironische Distanz zu den Wichtigkeiten der Kultur, in der man lebt, und zu den Wichtigtuereien, die Sie hier manchmal erleben." In Japan hat er gelernt, dass sich Persönlichkeit auch ganz anders formen kann als bei uns.

Zum Beispiel im Shintoismus der Meiji-Zeit (1868-1912), die Japan bis heute prägt: "Man lebt in Harmonie mit seiner Umgebung, soll unaggressiv sein, höchstens autoaggressiv. Wenn ich selber keine Ansprüche stelle, gibt es auch keine Konflikte. Das Entscheidende dabei ist aber, dass der andere darauf achten muss, dass auch ich zu meinem Recht komme."

Lenzen sieht darin eine hohe Affinität zum Protestantismus seiner Jugendzeit. Den er auch dafür verantwortlich macht, dass er unmissverständlich sagt, was er für richtig hält, auch wenn er damit aneckt. Er fordert auch von Politikern, Fakten nicht zu verschleiern. "Wir dürfen uns nicht selbst belügen - das wäre der Anfang vom Scheitern als Institution und als Person." Seine deutlichen Worte bringen ihm viele aufgeschlossene, interessierte Begegnungen ein, die er dann für die Universität nutzbar machen kann. In Hamburg, sagt er, funktioniert das besonders gut, "man trifft sich auch mal an der Bushaltestelle", weil die Stadt kleiner ist als Berlin.

Dort, als Präsident der Freien Universität, hat er Gesprächspartner manchmal in den noblen Capital Club eingeladen, mit Blick über den Gendarmenmarkt. Und in Hamburg? "Hier wird man viel eingeladen, was auch die Kosten senkt. Hier ist die Situation anders, Sie haben die vielen Gesellschaften, die Patriotische, die Harmonie, die Universitätsgesellschaft. Die Kontakte kommen fast von allein. Ich bin zwar im Übersee-Club, habe das aber noch nicht genutzt für diese Zwecke."

Angesiedelt hat er sich in Hafennähe, "mit Blick auf denselben. Damit ich sehe, wie viele Schiffe hereinkommen und ausfahren - und wie es der Stadt geht." Die drei Söhne sind aus dem Haus, einer hat Architektur studiert, zwei studieren noch Betriebswirtschaft. Eine Wohnung gibt es auch noch in Berlin; seine Frau ist Erziehungswissenschaftlerin an der Uni in Potsdam. Zwei Experten und drei Kinder - wie konnte das gut gehen?

"Erziehungswissenschaftler verstehen nichts von Erziehung. So wie Juristen häufig Probleme mit dem Recht haben. Man darf nicht versuchen, aus Erziehungstheorien, mit denen man sich beschäftigt, eine Familienpraxis abzuleiten. Erziehung funktioniert bei uns genau wie bei anderen Familien auch."

Das Hochschulmanagement fordert ihm viel ab. Wo erholt er sich? "Seit mehr als 30 Jahren beim Hochseeangeln. Das enthält eine ganze Kette von Empfindungen: Man muss mit dem Objekt, das man essen will, in eine Kommunikation treten, man muss es überlisten. Das Zweite ist die gespannte Erwartung - wie wird sich der Fisch verhalten? Dann das Anlanden - kann ich das schaffen? Oben im Eismeer sind das ganz große Fische, keine Kleinigkeit. Und es ist eine Art Kontemplation." Eine Woche pro Jahr nimmt er sich dafür.

In kurzen Pausen, auf Flughäfen etwa, schreibt er gern Erzählungen, in denen es meist um Beziehungsthemen zwischen Mann und Frau geht. "Gelegentlich werden Menschen darin umgebracht oder Objekt von unfreundlichen Taten." Veröffentlicht er sie? "Zumindest nicht unter meinem Namen."

Der steht auf einem Buch von 1985 über "Melancholie als Lebensform", es ist eines seiner Lebensthemen: "Man weiß, dass das, was immer man tut, völlig vergeblich ist, weil es keinen Bestand hat. Es wird niemals, was man sich im besten Fall wünschen würde. Und trotzdem bleibt man dem Gedanken treu, dass es anders sein müsste, als es ist." Ein Bild für die aktuelle Hochschulpolitik? Dieter Lenzen lacht.