Der in Afghanistan geborene Profiboxer wandelte sich vom Kriminellen zum Volkshelden, auf Hahnöfersand änderte er sein Leben. Jetzt stellte Hamid Rahimi seine Biografie „Die Geschichte eines Kämpfers“ vor.

Hamburg. Am Anfang war der Krieg. Er war der Auslöser für alles, was Hamid Rahimi zu dem Menschen gemacht hat, der am Mittwochmittag seine Biografie „Die Geschichte eines Kämpfers“ vorgestellt hat. Für Rahimi liegt eine wundersame Klarheit darin, sein eigenes Leben zwischen zwei Buchdeckeln gebündelt zu sehen, weil das, was so unbeherrschbar schien, so wild und bisweilen ausweglos, plötzlich so aufgeräumt daherkommt. Und doch sind da so viele Fragen, die man sich stellt, wenn man seine Geschichte liest, und auf die wichtigste hat er eine so kurze wie prägnante Antwort. Wäre der Weg, den er jetzt eingeschlagen hat, möglich gewesen ohne den, den er verlassen hat? „Nein“, sagt er, „ich musste wohl durch die Hölle gehen, um meinen Weg zu finden.“

Ein Leben auf einer halben Zeitungsseite auszubreiten, für das sich die Koautorin Mariam Noori, 26, völlig zu Recht 370 Seiten Platz genommen hat, muss scheitern, deshalb hier nur die Kurzfassung. Rahimi, der an diesem Donnerstag seinen 30.Geburtstag feiert, wurde in Afghanistans Hauptstadt Kabul geboren. Im Land tobte der Krieg. Als sein bester Freund Khalid bei einem gemeinsamen Besuch einer Eisdiele von einer Bombe zerrissen wird und in Hamids Armen stirbt, bricht der Achtjährige unter der Last des Erlebten zusammen. Er leidet an Sprachverlust, ist halbseitig gelähmt, acht Monate liegt er im Krankenhaus. Mutter Fatima gibt ihren Job als Schulleiterin auf, pflegt den Sohn gesund und organisiert 1993 die Flucht der Familie nach Hamburg. Hier lebt bereits sein Vater, ein Agraringenieur, seitdem er 1991 des Landes verwiesen wurde.

In Hamburg aber beginnt der soziale Abstieg. Rahimi rutscht, missverstanden und gedemütigt von seinem neuen Umfeld, tief in die Kriminalität. Dort findet er Bestätigung, verdient viel Geld als Eintreiber im Milieu, es regiert das Faustrecht, Messer und Pistole sitzen locker. Die Sucht nach dem Kokain, das er verkauft, zerstört seinen Körper, weil er sich im Glauben, unverletzlich zu sein, ein Messer in den Bauch rammt, und es tötet seine Emotionen. Als er in einer drogenberauschten Raserei einen Widersacher anschießt, ist das Maß voll. Im Jugendgefängnis Hahnöfersand erfährt sein kaputtes Leben die entscheidende Wendung. Rahimi sieht einen Kampf von Boxweltmeister Dariusz Michalczewski im Fernsehen, er verschlingt dessen Biografie und hat endlich das Ziel gefunden, für das sich das Leben zu ändern lohnt. Nach der Haftentlassung beginnt er mit dem Boxen, 2002 bestreitet er seinen ersten Amateurkampf, im November 2006 wird er Profi.

Er kämpft noch immer, aber jetzt nach Regeln. Und er hat Ideen, eine Vision, er will alles, was schiefgelaufen ist, ins Gute verkehren. Im Mai 2010 erscheint im Abendblatt erstmals die Geschichte seines Traums, in seiner Heimat Afghanistan den ersten Profiboxkampf der Geschichte zu veranstalten. Kaum jemand nimmt ihn ernst, doch er lässt sich nicht aufhalten. Es ist eine Mischung aus verrückter Naivität, einer in seinem kriminellen Leben erworbenen Angstlosigkeit und grenzenlosem Optimismus, die ihn antreibt. Zweieinhalb Jahre später, im Oktober 2012, ist es so weit. Rahimi boxt in Kabul, „Fight for Peace“ nennt er sein Projekt, er hat hochrangige Politiker ebenso hinter sich gebracht wie Sportverbände oder Friedensmissionäre. Aus dem Flüchtlingskind, dem Verbrecher, dem Verstoßenen, ist ein Kämpfer für den Frieden geworden.

Tatsächlich alles wahr?

Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne sich immer wieder zu fragen, ob das tatsächlich alles wahr sein kann.

Mariam Noori, selbst 1992 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen und lange Zeit Hamids Lebensgefährtin, hat nicht nur ein Jahr in die Schreibarbeit investiert, sondern sehr viele Gespräche geführt, um die vielen Geschichten zu verifizieren. Entstanden ist ein Werk, das durch die unpathetische, drastische und nichts verherrlichende Klarheit der Sprache besticht, und wahrscheinlich muss man, um ein solches Leben authentisch zu schildern, selbst Ähnliches erlebt haben.

Aber vor allem muss man Hamid Rahimi in die Augen sehen, ihn sprechen hören und beobachten, wie bewegt er ist, wenn er erzählt, um glauben zu können, dass all das, was er schildert, in ein einziges, 30-jähriges Menschenleben passen kann. „Einige Freunde, die das Buch gelesen haben, sagen, dass sie sich in meiner Geschichte selbst sehen, in diesem Kampf, sich von unten hocharbeiten zu müssen. Deshalb glaube ich, dass ich nur einer von Millionen bin. Es gibt so viele Flüchtlinge, die Ähnliches erlebt haben wie ich“, sagt er. Das ist charmant übertrieben, dennoch ist „Die Geschichte eines Kämpfers“ viel mehr als nur ein Einzelschicksal. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen, die nicht zuletzt durch die schrecklichen Vorfälle in Syrien und deren Auswirkung auf Hamburg hochaktuell ist. „Ich erhoffe mir, dass das Buch das Verständnis für afghanische Kultur im Speziellen und für Flüchtlinge im Allgemeinen fördert“, sagt Mariam Noori. „Wer Flüchtlingen helfen will, der muss ihnen Respekt entgegenbringen und ihnen Arbeit geben, sie fördern und fordern“, sagt Rahimi.

Er selbst hat neue Pläne. Ende Oktober will er wieder in Afghanistan boxen, im Tal von Bamiyan, wo die Taliban im März 2011 die zum Weltkulturerbe zählenden Buddha-Statuen zerstört hatten. US-Starpromoter Don King will den Kampf vermarkten, er soll ein Zeichen für Toleranz sein. Hamid Rahimi wird niemals aufhören zu kämpfen. Aber durch das Buch hat er Frieden geschlossen mit sich und seinem Leben, der Krieg ist gewichen aus seinem Kopf. Es ist vielleicht das Größte, was er erreichen konnte.

Die Biografie „Hamid Rahimi – Die Geschichte eines Kämpfers“ ist erschienen im Osburg-Verlag, ISBN 978-3-95510-024-7, und kostet 19,95 Euro. An diesem Donnerstag lesen die Autoren um 20 Uhr im Le Royal Eventsaal, Hermann-Buck-Weg 9