Mit Tjark Woydt sitzt ein Ex-Manager der Deutschen Bank im Präsidium des FC St. Pauli – klar, dass er polarisiert. Zum HSV hat er ein gutes Verhältnis. „Diese Stadt kann zwei Traditionsvereine vertragen“, sagt Woydt.

Hamburg. Hinter dem Mann liegt bereits ein erfolgreiches Berufsleben: Tjark Woydt, 70, hat im gehobenen Management der Deutschen Bank gearbeitet, war von 1996 an – bis zum offiziellen Ausscheiden aus dem Berufsleben vor fünf Jahren – sogar so etwas wie der oberste Schiffsfinanzierer des größten Deutschen Geldinstituts. Seit fünf Jahren bekleidet er nun diverse Mandate in Aufsichtsräten, Beiräten und als Berater in diesem schwankenden Wirtschaftsbereich; er sitzt darüber hinaus im Vorstand des Hamburger Wirtschaftsrats der CDU. Alles in allem keine ungewöhnlichen Pensionärstätigkeiten für einen Zahlenexperten in der Schwergewichtsklasse. Aber dann, im Jahre 2010, geschah etwas, das nicht wenige seiner Freunde zu der Frage verleitete: „Mensch, Tjark, du hast sie ja nicht alle: Vizepräsident beim FC St. Pauli – warum tust du dir das an?“

Sein Großvater gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Clubs

Tjark Woydt lächelt. Sein Blick schweift über die Backsteinfassaden der Speicherstadt; an Steuerbord sind von hier oben, der fünften Etage des Bürohauses am Kajen, gerade noch die Mastspitzen der „Rickmer Rickmers“ hinter den Landungsbrücken zu sehen. „Es zog mich ja nicht in dieses Amt“, sagt er, „ich wurde allerdings schon zehn Jahre zuvor von der Sportvermarktungsagentur upsolut gefragt, ob ich mich dem Freundeskreis des Vereins anschließen würde.“ So habe er genügend Zeit gehabt, Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln und im Jahre 2010 schließlich eine ehrenamtliche Aufgabe im Finanz- und Steuerbereich zu übernehmen. Tjark Woydt: „Ich dachte, das sei etwas, was ich diesem Verein zurückgeben kann.“

Der Banker, passionierte Golf- und leidenschaftliche Tennisspieler aus dem bürgerlichen Groß Flottbek und die Kiezkicker: Eigentlich passt das nicht zusammen, und Tjark Woydt weiß natürlich ganz genau, dass ein Vorstandsmitglied wie er polarisiert und im Besonderen für die Hardcore-Fans der Gegengerade und Südkurve eine Reizfigur darstellt. „Der Mann mit kapitalistischer Vergangenheit“, sagt er, „so wurde ich anfangs klassifiziert.“ Da nützte es auch wenig, dass sein Großvater zu den Gründungsmitgliedern des Vereins zählte und seinen Enkel schon früh zu den Heimspielen mitnahm, im Winter mit einem Hocker und zwei alten feldgrauen Decken im Schlepp.

Heute soll Woydt für trockene Tücher sorgen, damit der FC St.Pauli sich trotz limitierter Gelder dauerhaft unter den ersten 25 Profivereinen etabliert. „Ich habe die Aufgabe, den Verein wie ein mittelständisches Unternehmen zu führen, und ich glaube, das haben wir in den vergangenen drei Jahren ganz gut geschafft. Auf dem Gebiet Finanzen haben wir trotz der hohen Verschuldung durch den Stadionumbau jedenfalls Ruhe.“ Aber er stellt auch klar: „Auf längere Sicht müssen wir weg vom Leihspielergeschäft und hin zum professionellen Spielereinkauf, um an Transfers verdienen zu können. Aber zurzeit investieren wir in Steine, nicht in Beine.“

In der Tat ist es schon ein bisschen widersprüchlich: Der FC St. Pauli ist eine ganz starke Marke, positiv besetzt. Über 19 Millionen Deutsche kennen den Verein. Und viele davon mögen ihn auch. Wahrscheinlich wäre es für eine der beliebtesten deutschen Marken daher kein Problem, einen potenten Namensgeber für das Millerntor-Stadion zu finden. Wenn da nicht die komplizierte Vereinsstruktur wäre. „Ich habe viel dazulernen müssen“, räumt Woydt unumwunden ein. Die Umstellung vom hierarchisch strukturierten Bankgeschäft zum basisdemokratisch arbeitenden Profifußballverein sei ihm zunächst recht schwergefallen. Seine erste Lektion bekam Woydt, als er die Hausbank wechseln wollte. Obwohl aus Vereinssicht alles für die Volksbank sprach, dauerte es letztlich eineinhalb Jahre, bis „der Verein“ sich dazu entschließen konnte, zukünftig mit der neuen Bank aufzulaufen.

„Bei der Heterogenität im Verein wird eben herumgeboxt, es wird leidenschaftlich diskutiert, bis dann am Ende doch alles zusammenkommt.“ Hinzu kämen, fügt Woydt einschränkend hinzu, die vereinsinternen Richtlinien, die es beispielsweise verhinderten, das Stadion zum Beispiel „Astra-Kiste“ zu nennen. „Verhandlungen mit eventuellen Sponsoren sind immer schwierig“, sagt der St.-Pauli-Vize, „weil wir alle Abteilungen ins Boot kriegen müssen.“ Da werde peinlich genau auf politische „Correctness“ geachtet. Auf der anderen Seite aber sei das ehrenamtliche Engagement bei diesem Verein fantastisch, wenn nicht sogar einzigartig, faszinierend. „Unser größtes Problem im Sportbereich sind zurzeit die fehlenden Spielfelder. Mit Andy Grote als Bezirksamtsleiter hat man da aber auch einen Fan als verlängerten Arm …“

Immer wieder schimmert durch, dass es nicht nur allein die Beherrschung des Zahlenwerks, das transparentere Controlling oder das verbesserte Rechnungswesen sind, das den Mann antreibt und ihn – Pardon – jung und dynamisch erhält. „Das Publikum ist fantastisch, diese Vielseitigkeit in der Fangemeinde. Alle können dort eine Heimat finden“, schwärmt Woydt. Das gelte auch für seine Gattin Marianne, seine zweite Ehefrau, die sich noch vor fünf Jahren niemals hätte träumen lassen, sich von der Begeisterung der „Singing Area“ auf der neuen Südtribüne anstecken zu lassen. „Bloß eine AC/DC-CD hat sie sich noch nicht gekauft“, sagt Woydt und schmunzelt. Auch seine Söhne seien „selbstverständlich“ Dauerkartenbesitzer.

Alle in der Familie waren St. Paulianer – nur sein Vater war aus Trotz HSVer

Er könne sich noch gut an einen ruppigen Heiligen Abend in den 50er-Jahren erinnern, erzählt er, „denn mein Vater, der war aus der Art geschlagen, der war HSV. Aber wahrscheinlich nur wegen seiner Renitenz, weil alle anderen in der Familie St.Paulianer waren. Meine Mutter musste ein regelrechtes Machtwort sprechen: ‚Kinners, tut das denn not? Ist doch Weihnachten!‘“

Er habe zum HSV jedoch ein gutes Verhältnis. „Diese Stadt kann zwei Traditionsvereine vertragen“, sagt Woydt. Er würde sich daher auch sehr freuen, wenn es bald einmal wieder zu einem Derby kommen würde. „Und wenn dann ein Etat von, sagen wir mal, acht Millionen Euro gegen einen Etat von 45 Millionen spielt und dann auch noch gewinnt ...“ Nein, fährt Woydt fort, das sei einfach unbeschreiblich. Schön.