Hamburgerin Sabine Hopf von der Knigge-Gesellschaft gibt Benimmkurse - und plädiert für lockeren Umgang mit dem Kodex.

Hamburg. Die Hamburgerin Sabine Hopf ist seit 2009 zertifizierte Knigge-Trainerin und Vorstandsmitglied der Deutschen Knigge Gesellschaft. Sie hat schon jeden Typ gecoacht - vom Banker bis zum Bauarbeiter. Dabei ist ihr die richtige Einstellung zum Gegenüber wichtiger als farblich abgestimmte Krawatten, die Reihenfolge des Essbestecks und der perfekt ausgeführte Hof-Knicks.

Hamburger Abendblatt: Frau Hopf, wie ist es bestellt ums Benehmen der Hamburger?
Sabine Hopf: Ganz gut. Wir müssen nur weg von dieser steifen Etikette. Knigge verbindet man ja heute vor allem mit Tischmanieren. Dabei standen die heute geläufigen gar nicht in seinem Werk "Vom Umgang mit Menschen". Knigge war Humanist, und es ging ihm primär um ein höfliches Miteinander. Zudem war er ein Schelm, der mit seinem Benehmen bei Hofe selbst öfter angeeckt ist. Ich sage aber auch: Nur wer die Regeln kennt, kann sie auch gekonnt brechen.

Sie selbst auch?
Hopf: Ja, gelegentlich, aus Höflichkeit. Denn das Ganze funktioniert ja nur, wenn der andere die Regeln auch kennt. Das beste Beispiel: Wer geht zuerst durch eine Tür? Der Gast oder der Gastgeber? Die Dame oder der Herr? Der Ältere oder der Jüngere? Der Chef oder der Auszubildende? Und wie ist es bei einer jüngeren Vorgesetzten und einem älteren Angestellten? Unter Umständen gehen dann beide gleichzeitig los. Sollte also der andere den Fehler machen und zu Unrecht zuerst gehen, lasse ich mich aus Höflichkeit darauf ein und bestehe nicht auf irgendeine Knigge-Regel. Alles andere wäre schlechtes Benehmen. Trotzdem sind Regeln wichtig, um sich im gesellschaftlichen oder beruflichen Beziehungsgeflecht zurechtzufinden.

Wie wichtig ist es, sich an den Dresscode einer Veranstaltung zu halten?
Hopf: Sehr wichtig, eine Missachtung wird als Respektlosigkeit dem Gastgeber gegenüber gewertet. Die Missachtung von Kleiderordnungen in Betrieben kann sogar zur Kündigung führen. Der Begriff sagt es schon - ein Dresscode ist in erster Linie eine Verschlüsselung und dient soziologisch dazu, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe auszudrücken. Mit jedem Outfit ist eine Vorstellung davon verbunden, wie dieser Mensch ist. Wir alle stecken Menschen schon nach ein paar Sekunden in Schubladen. Ich zeige meinen Kursteilnehmern gerne ein Foto von einem schwarzen Rollkragenpullover und einer verbeulten Jeans und frage, welchen Beruf der Träger der Kleidungsstücke ausübt. Die meisten tippen auf Lehrer, obwohl sie einem Betriebswirt gehören. Die Wirkung auf andere kann man aber selbst steuern und kontrollieren.

Aber was ist mit Jugendlichen im Schlapper-Look?
Hopf: Auf einem Ball ist das sicher nicht angemessen. Aber Jugendliche nutzen auch einen anderen Code. Der Vorwurf, dass die Jugend kein Benehmen hat, ist so alt wie die Geschichte. Ich sage aus meiner Erfahrung als Knigge-Trainerin, unsere Jugend ist nicht unhöflich. So ist Abklatschen eben ihre Form, sich zu begrüßen, wie es bei der älteren Generation das Händeschütteln ist. Die Art, wie eine freundliche Begrüßung ausgeführt wird, ist immer sehr kontextabhängig. So ist es in Frankreich üblich, sich mit Wangenküsschen zu begrüßen. Im Hamburger Geschäftsleben wäre das ein Fauxpas. Es kommt immer auf die Gruppe und deren eigenen Code an. Gerade was die Benimmregeln von Jugendlichen angeht - sie haben nämlich ihre eigenen -, würde ich mir manchmal wünschen, dass die Generationen mehr aufeinander zugehen und nicht stur an ihrem jeweiligen Code festhalten.

Aber ein paar Grundsätze sollte man schon kennen, oder?
Hopf: Die Grundvoraussetzung für gutes Benehmen ist Höflichkeit und Respekt vor seinen Mitmenschen. Daraus entstanden ja auch viele der Knigge-Regeln. Manchmal muss aber situativ entschieden werden, ob es nicht höflicher ist, die Regeln über Bord zu werfen. Jemand, der sich verstellt und nur steif Regeln anwendet, wirkt schnell unecht. Dabei ist es das Wichtigste, authentisch zu sein, denn Sympathie kommt von innen. Mir ist ein freundlicher Tischpartner, der das Hummerbesteck nicht perfekt beherrscht, lieber als einer, der das kann, aber den anderen Gästen am Tisch gegenüber unhöflich und desinteressiert ist. Das Problem für mich als Knigge-Trainerin: korrekte Tisch- und Esskultur kann ich den Menschen beibringen, Respekt und eine gewisse Freundlichkeit leider nicht.

Sind Sie einer festlich gedeckten Tafel denn immer Herr?
Hopf: Im 13. Jahrhundert war es einfacher, da aß man mit den Fingern und hat die abgenagten Knochen in eine gemeinsame Schüssel geworfen. Manchmal denke da auch ich, oha, das ist aber jetzt eine Herausforderung. Ich gehe damit immer sehr humorvoll um und sage einfach, dass ich mich frage, wie dieses "kulinarische Kunstwerk" nun gegessen wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dann viele positiv reagieren und sagen, sie haben das gleiche Problem. Das beruhigt und macht die Situation für alle angenehmer. Außerdem hat man gleich ein nettes Thema für einen Small Talk.

Aber Gesundheit zu sagen, das ist doch nun wirklich verpönt.
Hopf: Ja, das ist so eine Sache. Es gibt keine Regel, die zu so einer großen Verwirrung geführt hat wie diese. Einige Knigge-Experten weisen darauf hin, dass Gesundheit zu sagen unhöflich sei, da diese Sitte historisch eher den Ursprung hat, dass man sich selbst Gesundheit wünschte - als Abwehr gegen Bazillen, wenn unser Gegenüber nieste. Für den privaten Bereich gibt es schon wieder eine Lockerung. Wer möchte, darf ruhig weiter Gesundheit sagen. Schließlich galt es lange als höfliche Floskel und hat damit nun eine positive Bedeutung.

Unsere Gesellschaft gilt als emanzipiert. Wie zeitgemäß ist es da noch, dass der Herr der Dame grundlegend in den Mantel hilft?
Hopf: Natürlich kann auch mal eine Frau einem Mann in den Mantel helfen, wenn er sich schwertut. Dieser Gedanke der Gleichstellung muss aber erst noch in vielen Köpfen ankommen.

Haben Sie zum Abschluss noch einen universalen Tipp, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten?
Hopf: Trainieren Sie Ihr Herz, nicht Ihr Lächeln.