Im Schmidts Tivoli feierte Littmann seinen 60. Geburtstag mit Hunderten Geburtstagsgästen. Eine Würdigung des ewig Unangepassten.

St. Pauli. So wird ein Sieger empfangen: Von der Decke des Schmidts Tivoli regnet der Goldflitter herab, und Corny Littmann genießt die Standing Ovations der vielen Hundert Geburtstagsgäste, bevor er auf einem Thronsessel Platz nimmt. 60 Jahre alt ist er geworden, und Norbert Aust, langjähriger Geschäftspartner und Freund, ruft ihm zu: "Was du erreicht hast, reicht für mehr als ein Leben!"

Den Jubilar freut's sichtlich, er lässt sich gern mal feiern, auch von Kulturstaatsrat Nikolas Hill, der als Geschenk unter anderem Stützstrümpfe der Lufthansa überreicht. Weil Corny, wie ihn hier alle nennen, so gern zum Entspannen nach Kuba fliegt. Da kann ein wenig Thrombose-Prophylaxe nicht schaden. Das vermutlich anregendste Präsent aber kommt von Schmidt-Star Kay Ray, der sich während seiner Hommage an den Theatermann nicht nur auszieht, sondern per geschickt verbogenem Geschlechtsteil auch noch verschiedene Tiere (Vogel, Schildkröte) darstellt. Das passt perfekt zu Littmann, der aus seinem ganz persönlichen Anti-Aging-Rezept kein Geheimnis macht: "Sex hält jung, ich halte mich daran." Viagra-Dosierungen, Verdauungsprobleme ("Ich kann keine Bohnen mehr essen"), die eigene Beerdigung - an Tabuthemen herrscht in dieser etwas anderen Feierstunde kein Mangel. Gerade dafür aber liebt ihn sein Publikum, und so kommt das finale "You'll Never Walk Alone" aus tiefstem Herzen.

Dass eine ganze Stadt sich einmal so vor ihm verbeugt, das hätte sich Cornelius Littmann in jungen Jahren gewiss nicht träumen lassen. Geboren wurde er als Sohn des renommierten Finanzwissenschaftlers Konrad, der in Münster, Berlin, Hamburg und Speyer lehrt und in Hamburg 1972 auch Vizepräsident der Universität ist. Die Mutter stirbt 1963. Littmann macht 1970 am Gymnasium Alstertal Abitur, beginnt ein Psychologiestudium. 1971 hat er sein Outing als Homosexueller, ab 1976 zieht er für zwölf Jahre mit der schwulen Theatergruppe Brühwarm durch die Republik, Motto: "deutsch, aufrecht, homosexuell", macht auch aus seiner linken Einstellung nie einen Hehl.

1980, als Spitzenkandidat der Hamburger Grünen bei der Bundestagswahl, machte er bundesweit Schlagzeilen, als er vor Journalisten einen Spiegel in einer öffentlichen Herrentoilette zertrümmert, um heimliche Videoüberwachung durch die Polizei zu beweisen. Theater machen liegt ihm. Ab 1982 kümmert sich Littmann für drei Jahre um die freien Theatergruppen auf Kampnagel.

Und verwirklicht 1988, am 8.8., um 8.08 Uhr mit weiteren Gesellschaftern seinen großen Traum vom eigenen Theater: mitten auf dem damals darbenden und eher kulturfernen Kiez, in den früheren Union-Lichtspielen, 230 Plätze - das Schmidt-Theater. 1991 kommt ein paar Häuser weiter das Tivoli dazu, das im ehemaligen alpenländischen Unterhaltungstempel Zillertal eröffnet wurde (620 Plätze).

Was andere für undenkbar halten, ist für Corny Littmann einfach nur "bisher nicht gedacht". Er hat keine Angst vor Veränderung, vor Erneuerung. Lässt 2004 das alte Schmidt abreißen, 2005 wird das neue (423 Plätze) in schickem futuristischen Design eröffnet. Vorteil Littmann - wo andere jammern, sieht er Chancen: "Mögliche Baustellen gibt es ja viele im Stadtteil - vom Esso-Gelände bis zur ehemaligen Rindermarkthalle. Alles Baustellen, die auch die Chance zum Wandel in sich tragen, nicht nur die Gefahr, Liebgewonnenes durch Neues zu zerstören. Wer Angst vor diesem Wandel hat, der soll doch bitte in ruhigere Gefilde abwandern." Und setzt noch einen drauf: "Elmshorn und Pinneberg sind nicht weit."

Seine Unternehmungen, die er zusammen mit dem Wirtschaftsprofessor Norbert Aust leitet, sind erfolgreich, sie verändern und revitalisieren das Profil von St.-Pauli-Theater, Gastronomie und Bars gehören dazu, von 2001 an in der Seilerstraße auch "Seelive", eine Schule für Unterhaltungskünstler auf Kreuzfahrtschiffen, heute Aida Entertainment. Littmann steigt 2011 aus, bleibt Berater. Unternehmer und links? Für Littmann ist das kein Widerspruch, der unternehmerische Erfolg, sagt er, hält ihm einfach lästige Zwänge vom Leib.

Im Grunde ist der genial netzwerkende Unternehmer ein Mann der Bühne geblieben. Mit gleich großem Herzen für publikumswirksamen Klamauk wie fürs ganz große Gefühl. Die "Mitternachtsshows" - Eigenwerbung: "Einmaliger Mix aus wahnwitziger Comedy, wunderbarer Musik und tollkühner Artistik" - 1990 bis 1993 auch in den dritten Fernsehprogrammen und bis heute jeden Sonnabend um 24 Uhr live auf der Bühne, machen ihn bundesweit bekannt, das lockt Touristen in seine Theater. Figuren wie die Fake-Diva Lilo Wanders (Ernie Reinhardt) und die verklemmte Marlene Jaschke (Jutta Wübbe) sind Kult. Ein Grimme-Preis wandert auf den Kiez. Littmann selbst hat auf der Bühne ein entspanntes Verhältnis zur lustvoll zelebrierten, gern auch selbstironischen geschmacklichen Grenzüberschreitung.

Ein Kernteam ist für die erfolgreichen, brillant vermarkteten Hausproduktionen verantwortlich, deren erfolgreichste, das Kiez-Musical "Heiße Ecke", mehr als 1,3 Millionen Zuschauer in mehr als 2000 Vorstellungen lockte. 1993 schon hat er mit "Cabaret" einen großen Erfolg im ernsteren Fach, 2009 erfüllt er sich in Rostock einen Herzenswunsch mit der Inszenierung der zweiten Oper seines Idols Georg Kreisler. Möchte man das Theatertier Littmann unbedingt vergleichen, dann vielleicht mit dem umtriebigen Impresario, Textdichter und Schauspieler Emanuel Schikaneder, dessen possenspielendes Networking am Ende auch Mozarts "Zauberflöte" möglich machte.

Littmann kann aber auch Präsident. Das bewies er zwischen 2002 und 2010 beim Kiez-Traditionsverein FC St. Pauli, mit Stehvermögen gegen viele lang dauernde und auch bösartige Anfeindungen. Seine Bilanz dort nötigte selbst Ex-Präsident Otto Paulick Respekt ab: "Ich habe mich getäuscht. Littmann hat fast alles richtig gemacht, den Verein vor dem Konkurs gerettet, und ihm ist es endlich gelungen, den Stadionumbau auf den Weg zu bringen." 2007 nach vielen Querelen mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt, legt er 2010 überraschend das Amt nieder, nachdem der Klub in die Erste Liga aufgestiegen ist - die Arbeit ist getan.

Woher er die Kraft für all das nimmt? Vielleicht liegt das Geheimnis darin, dass Corny Littmann sich nicht verbiegen lässt, nichts verstecken muss, erfrischend deutlich redet, ohne Angst vorm Anecken, und dass er durch allen eigenen Wandel authentisch geblieben ist. Auf dem Kiez, im Häuschen in der Nordheide, wo für ihn auch Schützenverein und freiwillige Feuerwehr dazugehören, oder bei ausgiebigen Auszeiten auf Kuba, mehrfach im Jahr. Seit 2006 ist er mit seinem langjährigen Freund, dem gebürtigen Tunesier Madou Ellabib, einem Tenor im Chor der Hamburgischen Staatsoper, "verpartnert", Ehering mit Brillanten inklusive. Hat den Rolf-Mares-Preis bekommen, den Max-Brauer-Preis, den Silbernen Portugaleser der Hamburgischen Bürgervereine.

Nun ist er 60 geworden. Mit 20 Jahren, hat er mal gesagt, habe er sich zum ersten Mal alt gefühlt, weil man in der körperbetonten Schwulenszene einfach schneller altere. Inzwischen wird ihm hin und wieder vorsichtig der Ehrentitel "Kiezlegende" verliehen. Mit Verlaub - dafür ist er wirklich noch viel zu lebendig!