Propst Johann Hinrich Claussen ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer und hat jetzt aus seiner Obsession ein Buch gemacht: “Gegenwindgedanken“.

Hamburg. Mütze, Helm, fertig. Propst Johann Hinrich Claussen ist bereit für den ersten Tritt in die Pedale. Nichts Ungewöhnliches für den Eppendorfer, ist er doch passionierter Radfahrer. Nur der Kopfschutz ist relativ neu. Nachdem er von schweren Stürzen seiner Kollegen gehört hatte, kam der Geistliche seinem Schutzengel ein wenig entgegen und entschied sich für einen Helm. "Die Kinder finden es super", sagt der dreifache Vater. Claussen bevorzugt - "außer wir haben Permafrost" - sein Rad gegenüber Auto, Bus und Bahn. "Das hilft mir abzuschalten, und oft komme ich dann auf neue Gedanken für eine Predigt oder einen Text", sagt der 50-Jährige.

So ist auch das Buch "Gegenwindgedanken - Auf dem Fahrrad durch das Kirchenjahr" entstanden. Der Hauptpastor von St. Nikolai und Propst für den Bezirk Alster-West findet, das passt zusammen: "Das Rad und das Kirchenjahr - beides geht unaufhörlich im Kreis." Die literarische Radtour beginnt mit der Adventszeit und führt vorbei an Weihnachten über die hügelige Fastenzeit in Richtung Ostern, Pfingsten und Trinitatis gen November. Eine ganz schön lange Strecke.

An diesem Nachmittag um kurz vor 16 Uhr soll es aber erst mal eine kürzere Strecke sein. Gemeinsam mit Claussen geht es vom Pastorat an der Heilwigstraße bis zum Gebäude des Kirchenkreises Hamburg-Ost in St. Georg. Fast fünf Kilometer. Das Wetter ist herbstlich, aber fahrradtauglich. Um die acht Grad Celsius, grauer Himmel, immerhin regnet es nicht. Über die Krugkoppelbrücke und die Fernsicht geht es zunächst ans östliche Ufer der Alster, dann gleich rechts der Bellevue - also mit "schönem Blick" - entlang. Die breiten und ebenen Radwege machen das Fahren angenehm. Nach ein paar Hundert Metern macht die Straße eine Biegung nach links. Es ist Claussens Lieblingspunkt auf der Strecke, er bietet Alsterpanorama. "Hier schaue ich immer in Richtung Innenstadt", sagt Claussen kein bisschen außer Atem. Egal, wie stressig der Alltag ist, wie gehetzt er ist: Dieser Moment muss sein. "Radfahren ist nicht nur eine Art der Fortbewegung, sondern eine Lebenseinstellung", sagt der 50-Jährige. "Es lehrt einen, die eigene Bequemlichkeit abzulegen und es mit Wind und Wetter aufzunehmen." Das Hamburg-Klima ist dabei kein Argument gegen, sondern für das Rad. "Hier gibt es keine stickige Hitze, sondern immer frische Luft um die Nase." Claussen weiß, wovon er redet. Als Student machte er eine Radtour durch Israel - inklusive Wüste und fünf Liter Wasser im Gepäck. Er mag diese Art des Reisens. Holland, Deutschland und England hat er so erstrampelt. Jetzt, da die Kinder älter sind - der Jüngste ist acht Jahre alt -, soll es auch mit der Familie längere Touren geben.

Per Brücke geht es nun über den Alsterarm und dann sofort wieder nah ans Ufer. Einen Radweg gibt es auf der Schönen Aussicht nicht. "Aber hier ist nie viel Verkehr", sagt Claussen. Es ist genug Platz, um nebeneinander auf der Straße zu fahren. Dort, wo die Straße fast schon parallel zur Lombardsbrücke verläuft, muss noch eine Pause sein. "Ich schaue nach den Türmen", sagt Claussen. St. Jacobi, St. Petri, St. Katharinen, das Rathaus und das Mahnmal St. Nikolai, der Ursprung seiner Gemeinde in Eppendorf. Der Michel versteckt sich hinter einem Bürogebäude. "Noch alle da", sagt der Propst zum Spaß. "Mal ist es neblig, und ich sehe nur einen Teil der Türme, mal hängen um die Spitzen Wolken, und je nach Jahres- und Uhrzeit sind sie ganz unterschiedlich gefärbt." Was ist eigentlich so christlich am Radfahren? "Während der Fahrt gibt es oft kleine Natur- und Schöpfungserfahrungen." Außerdem sei es schön zu erkennen, wie weit man es aus eigener Kraft heraus schaffen kann. Und das gilt schließlich für das ganze Leben.

Es geht weiter. Schwanenwik und dann auf Höhe des Klinikums St. Georg heißt es Tschüs, Alster. Der Weg weiter entlang am Wasser ist Claussen zu voll. Es nervt ihn, wenn es zu eng mit Autos, Fußgängern oder eben anderen Radfahrern ist. Besonders wenn die dann aggressiv fahren. "Da muss man wirklich aufpassen, wenn man hier an der Ampel wartet, dass man nicht umgefahren wird." Als endlich Grün wird, geht es rein ins Gewühl rund um die Lange Reihe. Autos reihen sich vor Ampeln auf. Zügig und ein bisschen zufrieden geht es mit dem Fahrrad an ihnen vorbei. Schadenfreude wäre ein zu großes Wort. "Aber ich bin froh, dass ich da nicht selbst drinstecke", sagt Claussen. "Da verliert man so viel Lebenszeit."

Nach fast 20 Minuten ist das Ziel erreicht. Die Waden sind warm, die Nase ist kalt und der Kopf frei.