Der Chef des Internationalen Seegerichtshofs spricht über seine Zeit als Vizeaußenminister Japans und seine späte Ausbildung zum Tenor.

Nienstedten. Seinen ersten Deutschland-Besuch absolvierte Shunji Yanai, Präsident des Internationalen Seegerichtshofs in Nienstedten, 1937, in seinem Geburtsjahr. Da nahm ihn die Mutter von Tokio mit nach Berlin, wo der Vater Botschaftsrat der japanischen Botschaft war.

Anfang der 40er-Jahre wird die Diplomatenfamilie nach Südamerika geschickt: Bogotá, Kolumbien. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 wird sie interniert, in die USA gebracht. Es folgen vier Monate Irrfahrt, bis sie im August 1942 zurück in Japan sind. Im Krieg. US-Bombenangriffe überlebt Yanai auf dem Land.

Bei der Rückkehr ins zerstörte Tokio setzt sich in dem Jungen der Gedanke fest: "Ich muss etwas für die Völkerverständigung tun und für den Frieden." Andere Berufe wie Pilot oder Arzt - die Berufung vieler Vorfahren - können da nicht mithalten. Er besucht die gleiche Highschool wie der heutige Kaiser Akihito, der dort vier Klassen über ihm ist. Er wird ihn später häufig wiedertreffen, bei vielen Empfängen für Staatsgäste im kaiserlichen Palast.

Shunji Yanai studiert Jura an der Universität Tokio. 1961 startet er im Auswärtigen Dienst. Erste Station: Straßburg, noch mal studieren, französische Kultur und Sprache. Er fährt oft nach Deutschland, lernt auch ein bisschen Deutsch. "Mein Vater sprach es fließend, Deutschland war oft Thema zu Hause, es war mir immer nah."

Yanai macht Karriere. Wird Gesandter in Korea, Botschafter in den USA, 1997 bis 1999 stellvertretender Außenminister. Vertritt Japan bei vielen internationalen Konferenzen. "Von meinen zwei Jahren als stellvertretender Minister war ich mehr als 200 Tage unterwegs, Flugzeuge waren meine Heimat." Er ebnet den Weg für Friedensmissionen japanischer Soldaten im Ausland und ist bei der Dritten Internationalen Seerechtskonferenz dabei, die zur Seerechtskonvention führt, der bis heute 164 Länder beigetreten sind und die die Fundamente zur Errichtung des Internationalen Seegerichtshofs legt. Dieser nimmt 1996 seine Arbeit in Hamburg auf.

Völkerverständigung ist Yanais Leidenschaft: "Ich mag es, Leute zu treffen und Berührung mit unterschiedlichen Kulturen zu haben. Deswegen habe ich meine 41 Jahre als Diplomat sehr genossen. Und deswegen arbeite ich gern hier am Seegerichtshof." Dessen 21 Richter sind selbst eine Art Vereinte Nationen. "Wir arbeiten exzellent zusammen - obwohl wir aus sehr unterschiedlichen Ecken der Welt kommen. Wir haben manchmal unterschiedliche Auffassungen, aber dasselbe Ziel: Konflikte friedlich beizulegen."

Sein Weg hierher beginnt im ersten Ruhestand, für Diplomaten mit 65. Yanai wird 2002 Professor für internationales Recht und internationale Beziehungen an zwei Privatuniversitäten in seiner Heimat. Zweiter Ruhestand, für Professoren mit 70. Doch vorher, bittet ihn seine Regierung, für das Amt eines Richters am Seegerichtshof zu kandidieren; alle drei Jahre werden sieben der 21 Richter neu gewählt oder im Amt bestätigt. So kommt Shunji Yanai 2005 noch einmal zu einem neuen Beruf. Und seit Oktober 2011 ist er Präsident des Tribunals. Residiert im architektonischen Neubaujuwel mit Blick über Park und Elbchaussee Richtung Elbe, landende Airbus-Flieger fast auf Augenhöhe. Sonst ist es sehr ruhig im Neubau, wenn keine Verhandlung läuft. Präsident Yanai erzählt, dass zurzeit der 18. Fall seit Gründung des Seegerichtshofs verhandelt wird.

Das sehe nach wenig aus. Aber die jüngsten Urteile, die hier gefällt wurden, sind richtungsweisend, sagt er. Sie sind in Streitfällen wie zum Beispiel um maritime Grenzen nicht nur bindend für die beteiligten Parteien, sondern auch Richtschnur für viele Entscheidungen rund um den Globus und für die Gesetzgebung anderer Länder. "Das hilft hoffentlich, viele Konflikte zu vermeiden." 37 Mitarbeiter aus 16 Ländern arbeiten rund ums Jahr in Nienstedten, die Richter kommen mindestens zweimal im Jahr zusammen, und immer wenn in Hamburg verhandelt wird. Der Präsident hat Präsenzpflicht, er wohnt in Hamburg. Das ist gut so, denn er hat auch, sagt er, viel damit zu tun, immer wieder zu erklären, welche Bedeutung der Gerichtshof hat. Noch wüssten das zu wenige Menschen, "aber uns gibt es ja auch erst 16 Jahre". Er selbst hält auch Vorträge und Vorlesungen, repräsentiert die Institution.

Yanai hat sich nach seiner Wahl zum Präsidenten in der HafenCity niedergelassen, am Dalmannkai. "Aus meinem Wohnzimmer schaue ich auf das Cruise Center." Nicht nur die maritime Aussicht gefällt ihm. "Meine Frau und ich lieben Kultur, die Staatsoper und Konzerte. Und von dort aus sind wir schnell in der City. Sehr schade, dass die Elbphilharmonie noch nicht fertig ist!"

Japaner im Ausland legen meist großen Wert aufs heimische Essen. Wo wird er da fündig? "In Hamburg gibt es nette kleine japanische Restaurants." Wo man ihn trifft? "In der Innenstadt oder in Eppendorf."

Von 75 Lebensjahren hat er schon 51 im diplomatischen Dienst, an Hochschulen und am Gericht gedient. Wann kommt der dritte Ruhestand? Seine diplomatische Antwort. "Es gab hier einen sehr alten Richter aus Argentinien, der letztes Jahr in Ruhestand gegangen ist - da war er 91. Ein anderer Richter aus Brasilien ist 89. Ob ich so lange noch so aktiv sein kann, weiß ich nicht." Und wovon träumt er, falls er doch einmal aufhört? "Ich habe mit 68 eine Ausbildung zum Opernsänger begonnen. Ich bin Tenor! Das möchte ich weiter verbessern." Im Mai gab er ein Konzert in der Residenz des japanischen Generalkonsuls; am liebsten singt er italienische Oper, insbesondere Puccini und Verdi. Man spürt sofort, dass ihm das eine Herzensangelegenheit ist. Shunji Yanai lacht: "Das wird mein nächster Beruf - Opernsänger!"