Fotografin Tine Acke, die Lebensgefährtin von Udo Lindenberg, legt einen Bildband über seine Tournee vor. Entscheidung über Museum in einem Monat

St. Georg. Auftritt im Atlantic-Hotel, Lobby: Udo Lindenberg federt aus dem Aufzug, mit Tine Acke, seiner Lebensgefährtin und Lieblingsfotografin. Lockeren Schritts geht's durch die Halle und die Atlantic-Bar in die Raucher-Lounge, dem einzig möglichen Kompromiss zwischen einer glimmenden Davidoff und der aktuellen Gesetzeslage, wenn man nicht im nieseligen Schmuddel im Innenhof frieren will.

Lindenberg wie immer in der Rolle seines Lebens - als Udo, schwarz gekleidet, Nietengürtel, XXL-Sonnenbrille, brauner Hut mit kleinem Silberstern. Die Grenzen zwischen Rolle und Realität sind in vielen Jahrzehnten längst auf der Strecke geblieben. 66 Jahre jung ist er, superschlank, topfit und bestens gelaunt, denn Tine Acke, neongrüne Leggings, die zu Lindenbergs gleichfarbigen Kultsocken passen, trägt etwas unter dem Arm, das in den kommenden Wochen das neue Testament im Udoversum werden kann: den Bildband zur Tour "Ich mach mein Ding", die im Frühjahr 20-mal über deutsche Bühnen ging, in Hamburg zweimal, in Köln sogar dreimal ausverkauft.

300 Seiten, 500 Fotos, 2,6 Kilogramm - Udos größte Deutschland-Tour zum Miterleben und Nachschmecken. 25 000 Fotos habe sie geschossen, sagt Tine, immer auf der Suche nach dem anderen, das er selbst besingt: "Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu." Sie sagt: "Wir kennen uns seit 20 Jahren. Udo ist ein sehr tiefgründiger, geheimnisvoller Mensch mit zwei Seiten und tiefen Abgründen - da weiß man nie so genau, woran man gerade ist. Diese Zwiespältigkeit zu fotografieren finde ich besonders spannend."

Lindenberg nickt: "Sie durfte überallhin - selbst wenn ich Schweißausbrüche kriegte, wenn sie so nah war." Der Fotoband dokumentiert das Paralleluniversum, den Rock-'n'-Roll-Zirkus, der für die Dauer der Tour zusammengewachsen ist: mehr als 100 Menschen, zehn 38-Tonnen-Lkw für Bühne und Technik, fünf Nightliner-Busse. Artisten, Sänger, Kinderchor, die Panik-Band, ein Zeppelin für die Bühnenshow und viele befreundete Stars.

Nichts und niemand war vor Tine Ackes Kamera sicher. Sie ließ sich 40 Meter hoch in die Hallendecke ziehen, um die Fan-Legionen aufs Panoramabild zu bannen, sie war backstage im Moment vor dem ersten Auftritt, stand direkt vor dem Laufsteg und schaute ihrem Udo mit der Linse tief in die Augen (dafür nahm er sogar die Sonnenbrille ab!), war beim "Boxereinlauf" quer durchs Publikum zur kleinen Unplugged-Bühne dabei, bei dem Udo immer seinen Hut gegen den Zugriff allzu begeisterter Fans verteidigen musste.

Sie hielt die ersten Vorbereitungen im Studio und Diskussionen anhand der ersten Bühnenmodelle ebenso im Bild fest wie die After-Show-Partys. Und natürlich die Inszenierung jedes einzelnen der 27 Songs, die Lindenberg als Essenz aus 35 Jahren deutscher Rockgeschichte auswählte. Sie hat sich sogar mitten auf die Bühne vorgewagt. Und hat das Glück in den Gesichtern der Fans gefunden. Nicht nur in dem von Udos "Meister-Double" aus Lünen, von dem der Sänger sagt: "Der ist so echt, den schick ich manchmal los, der gibt Interviews, das dauert Minuten, bis das jemand merkt. Der ist überall dabei, erste Reihe oder backstage."

Die Lieblingsbilder der 35 Jahre alten Fotografin: "Wenn ich seine mysteriösen Momente erwischt habe, Gegenlicht, Schatten, Silhouetten. Und wenn er auf der Bühne seine völlig entspannten, befreiten, glücklichen Momente hat." Fotos aus ungewöhnlichen Perspektiven. Schnappschüsse backstage. Dazu hat Sonja Schwabe Texte zusammengetragen - Zitate von fast allen, die mit dieser Tour zu tun hatten - vom Roadie über den Fan bis zum Plattenboss. "Udo war schon Legende vor 30 Jahren und ist es jetzt noch mal - Doppellegende sozusagen", sagt Stefan Raab irgendwo in dem Buch.

Lindenberg blättert zufrieden in dem Buch. Sein Hut fährt Fahrstuhl mit den Stirnfalten, die er verdeckt. "Wunderbar, junge Frau. Wenn meine Haare nicht so durcheinander wären heut, würd ich meinen Hut ziehen." Und weiter: "Tine weiß, wie ich mich gern seh." Wie denn? Sie sagt: "Die Sonnenbrille muss genau mit dem Hut abschließen, wenn er eine aufhat. Und nicht von unten fotografieren. Er hat aber viele Schokoladenseiten, auf der Bühne sieht er ja oft sehr gut aus."

"Wie? Auf der Bühne - sonst nicht, oder was?" Gespielte Empörung, lockeres Lachen. Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Sich präsentieren, das kann er, seit er sich nach der Kellnerlehre mit 15 (im feinen Breidenbacher Hof in Düsseldorf) der Karriere als "Musikal-Artist" gewidmet hat. "40 Jahre VEB" - volkseigen, im Mittelpunkt des Interesses. So lange steht er schon mit der Panikband auf der Bühne, nuschelt selbst als Kommentar zur Tour: "Mein siebter Frühling" und kann's immer noch kaum fassen, dass er wieder so durchgestartet ist. Sein Album "MTV unplugged - Live aus dem Hotel Atlantic" - ein Millionenseller.

In Berlin läuft das Musical "Hinterm Horizont" seit Januar 2011. "Ich muss mich immer noch kneifen, denk, es spukt - dass man das erlebt, ein ganz neues Publikum mit so vielen Kiddies, dass man das erleben darf ..." Das glückliche Gesamtkunstwerk pafft so genüsslich vor sich hin, wie es manchmal von jetzt auf gleich sein Ausbüchsen in Fantasiewelten zelebriert. Und das Show-Ende im pyrotechnischen Spektakel, zu dem er im Zeppelin entschwebt, so erläutert: "War wohl ein Passagier mit der Zigarre unvorsichtig, was?" Um gleich darauf wieder in der Hamburger Wirklichkeit zu landen.

Sein Lindenberg-Museum? "Hab neulich den Scholz getroffen. Radio-Preis. Tach sagen, in die Augen gucken und so. Ein Rock 'n' Roller isser ja nicht grade. Wir sind in sehr positiven Gesprächen. Ich sach: Olaf, was soll das ganze Hickhack? Lass uns mal zur Sache kommen - alte Sozialdemokraten, ja, ja, ja, das muss doch in Hamburg gehen, gibt doch geile Räume, Stage, Kehrwiedertheater. So etwa in einem Monat müsste die Entscheidung stehen. Berlin ist aber auch interessant, als Dependance am Checkpoint Charlie."

Lindenberg schmeckt sie nach, diese Begegnung: "Der Bürgermeister und ich, die letzte Ikone neben Helmut Schmidt - wir beiden Schmaucher ..." Wie fühlt man sich so als Ikone? "Lebendig, lebendig. Spritzig, flitzig - das Denkmal hüpft aufm Sockel rum. Ich geh da ganz locker mit um." Lindenberg, das war und ist ein Lebensgefühl. Seine Ermutigung singt er sich: "Nimm dir das Leben, und lass es nicht mehr los. Greif's dir mit beiden Händen. Mach's wieder stark und groß."

Tine Acke: "Udo Lindenberg - Ich mach mein Ding", Schwarzkopf & Schwarzkopf, 300 S., 49,95