Der neue Präsident des internationalen Kinderhilfswerks, Martin Gürtler, Terre des hommes berät von St. Pauli aus die Bundesregierung.

St. Pauli. Der frisch gewählte Präsidiumsvorsitzende des deutschen Zweigs im internationalen Kinderhilfswerk Terre des hommes sitzt im 18. Stock des Atlantic-Hauses an der Ecke Zirkusweg/Bernhard-Nocht-Straße (St. Pauli) und registriert die Begeisterung der Journalisten über die großartige Aussicht eher besorgt: "Nicht dass Ihre Leser meinen, hier habe sich Terre des hommes von Spendengeldern nobel eingerichtet." Die Geschäftsstelle ist in Osnabrück, der hauptamtliche Vorstand auch. Hier oben, mit dem Sahneblick auf Stadt und Hafen, hat die Firma Nordlicht Management Consultants ihre Büros, wo Martin Gürtler als Berater seine Brötchen verdient.

Hamburger ist er, aufgewachsen im Westen der Stadt, beide Eltern Lehrer. Er ist 35 Jahre alt, von denen er fast 20 schon bei Terre des hommes mitarbeitet. Eine engagierte Lehrerin konnte etliche Schüler für die ehrenamtliche Arbeit begeistern. "Das war großartig, sehr offen, wir konnten uns einbringen, Ideen entwickeln, spürten Vertrauen und konnten eigene Erfahrungen machen."

Terre des hommes (frz. "Erde der Menschen") wurde gegründet in den 60er-Jahren, als in Europa die Bilder von Kriegen in Algerien und Vietnam schockten, und benannt nach einem Buch von Antoine de Saint-Exupéry. Man organisierte Rettungsflüge für Kinder aus Vietnam und bis in die 90er-Jahre auch Adoptionen; so kam auch der heutige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) nach Deutschland. Etliche der Adoptierten helfen heute mit in dem Verein, der in neun europäischen Ländern existiert, in Deutschland mit 1400 Ehrenamtlichen in rund 150 Ortsgruppen arbeitet. In 34 Ländern unterstützt Terre des hommes 450 Projekte. "Das Besondere bei uns ist, dass wir mit Initiativen arbeiten, die vor Ort bestens verankert sind und wissen, was dort gebraucht wird."

Die Arbeit bei Terre des hommes sieht er durchaus politisch, dazu gehören Fragen nach der Organisation eines fairen Welthandels, nach Hilfe für Kindersoldaten, der Abschaffung von Kinderarbeit. "Ich brauche das Gefühl, etwas gesellschaftlich Relevantes zu tun."

In Trier hat er Volkswirtschaft studiert, in Hamburg seit 2004 in einer Beratungsfirma gearbeitet und sich 2009 mit sieben Kollegen selbstständig gemacht. Auch bei Nordlicht geht es um gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Beispiele? "Wenn etwa eine Gewerkschaft mitgliederorientierter werden möchte. Für das Bundesarbeitsministerium arbeiten wir daran, das Teilhabepaket für Kinder von Hartz-IV-Eltern sinnvoll mit Leben zu füllen. Sicher könnte man auch einen Joghurt auf den Markt bringen, für mich wäre das aber nicht sehr interessant: Ich will abends nach Hause gehen können und sagen: So, das war jetzt sinnvoll."

Der Mann mit diesem klaren Kurs wirkt sehr entspannt. Die roten Haare trägt er auf den Business-Fotos strenger gescheitelt, auf den Terre-des-hommes-Fotos sieht er ein bisschen verwuschelter aus, ein hübsches Bild für das, was ihm die beiden Bereiche geben. Das Ehrenamt in den Fulltimejob zu integrieren, das gehe schon. Vier Wochenenden gehen für Sitzungen des Präsidiums drauf, etliche andere für Workshops mit Ehrenamtlichen, ein Menge anderes lässt sich immer mal dazwischenschieben, und ein Urlaub kann auch mal dazu dienen, sich in Mosambik oder Südafrika Projekte anzusehen.

Zum Beispiel in Maputo (Mosambik), wo mithilfe von Terre-des-hommes-Kindern, die auf einer Müllkippe gearbeitet haben, der Schulbesuch ermöglicht wird. Oder ein Projekt in Johannesburg, in dem Mädchen "von der Straße geholt" werden und eine Berufsausbildung erhalten. "Da lernt man auch nach 20 Jahren immer noch Neues über die Arbeit in den Projekten", sagt er. Bereichernde Erfahrungen, die man am Schreibtisch nicht machen kann. Terre des hommes ist aber auch in Deutschland aktiv, in Berlin bei der Arbeit mit Straßenkindern, in Hamburg mit dem Projekt Kinderfluchtpunkt, das Flüchtlingskinder - beispielsweise aus Afghanistan - unterstützt. Ähnlich auch in München, wo traumatisierten Flüchtlingskindern geholfen wird.

Wie geht eine solche Mehrbelastung mit einer Familie zusammen? "Das ist eher eine Familienverhinderungsstrategie", sagt er und lacht. "Ich bin Single." Und wieder ernst sagt er: "Das ist etwas, was wir einfach hinbekommen müssen: die ehrenamtliche Tätigkeit in neue Lebensmodelle zu integrieren. Und Leute, die sich am liebsten nur projektweise engagieren, fester an uns zu binden. Sie müssen ihre Mitarbeit flexibel selbst gestalten können."

Wie man die ehrenamtliche Arbeit für Jugendliche attraktiv macht, weiß er aus eigener Erfahrung, das wird einer seiner Programmpunkte als Vorsitzender sein. Und dann will er für größere Aufmerksamkeit im Spendenmarkt sorgen. Jeder Euro ist hier hart umkämpft, da ist die Erfahrung des Kommunikationsprofis sicher wertvoll. 20 bis 25 Millionen Euro kann Terre des hommes Deutschland jährlich in Projekte investieren. Nicht viel, aber auch nicht wenig. Martin Gürtler hat dafür die Formulierung: "Klein unter den Großen, groß unter den Kleinen."

Wer mit ihm spricht, hat das Gefühl: Hier engagiert sich jemand aus tiefer Überzeugung. Auch wenn er große Worte nicht gern in den Mund nimmt. Bei ihm klingt das so: "Es macht mir Spaß, es ist ein wichtiges Hobby, ich lerne viele neue Menschen kennen, auch aus anderen Ländern. Und ich denke: Als jemand, dem es hier relativ gut geht, sollte ich etwas tun, um gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen." Er sagt's nicht nur, er tut's einfach.