Als Nina Hagen 1974 mit “Du hast den Farbfilm vergessen“ berühmt wurde, war Matthias Neumann der Bassist ihrer Band Automobil.

Hamburg. Ihren größten gemeinsamen Hit wird Pastor Matthias Neumann niemals vergessen. Als Nina Hagen 1974 mit "Du hast den Farbfilm vergessen" berühmt wurde, war er der Bassist ihrer Band Automobil. Doch die große Bühne war nichts für den heute 63-Jährigen. Ebenso das Leben in der DDR. Dem Land, das seinen Bürgern vorschreiben wollte, welche Musik und welche Literatur sie zu mögen hatten.

Geboren ist der Sohn eines Pastors und einer Organistin 1948 in Eisenach. Als Junge sang er im Leipziger Thomanerchor. Dem Abitur an der Thomasschule 1967 folgte der zweijährige Wehrdienst bei der Leipziger Bereitschaftspolizei. Keine leichte Zeit für den jungen Mann, der dem Regime wegen seines christlichen Hintergrunds und seiner forschen Art unbequem war. "Das war damals genau zur Zeit des Prager Frühlings. Wir hatten ein Jahr lang Ausgangssperre, furchtbar war das", erinnert sich Neumann. Er war keiner, der laut gegen das bestehende System protestierte. Er drückte subtiler aus, was er von seinem Heimatland hielt: Der Wehrdienstleistende ging nicht zur Wahl, stimmte gegen die Verfassung der damaligen DDR. Letzteres hätte ihm fast einen Aufenthalt im Straflager eingebracht. "Ich galt als feindlich-negatives Element. Das stand in meiner Stasi-Akte." Doch feindlich sein, das war damals gar nicht seine Absicht. "Ich wollte eigentlich nichts anderes, als Freiheit zu genießen, die Welt zu sehen und Musik zu machen", sagt er.

+++ Nina Hagen kehrt wieder zum Rock zurück +++

Die Musik zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des Pastors. In der ehemaligen DDR war sie so etwas wie der Schlüssel zu einer besseren Welt. "Mein Theologiestudium in Leipzig und das Kontrabassstudium in Berlin ermöglichten es mir, frei zu denken. Öffnete mir eine Tür zu Wissen und Kultur." Im Laufe der Jahre lernte Neumann mehrere Instrumente und spielte in unterschiedlichen Bands. An der Musikhochschule Hanns Eisler lernte er Michael Heubach, den Komponisten von "Du hast den Farbfilm vergessen", kennen. Dieser holte "Matze" in seine Band Automobil.

Ein Jahr lang reiste Neumann nun als Musiker an der Seite der Sängerin Nina Hagen durch das Land. "Mein geheimer Plan war es, so gute Musik zu machen, dass sie mich reisen lassen", erzählt der Geistliche. Im Sommer 1975 hatte Matthias Neumann den Punkt erreicht, an dem er das Leben in dem Staat, der ihn bespitzelte, nicht mehr ertrug. Beim "Betriebsvergnügen" des Ministeriums für Staatssicherheit spielte er für den damaligen Regierungschef Erich Honecker. "Ich habe mich hinterher so sehr dafür geschämt. Bis heute ist mir das peinlich", gibt Neumann zu, der damals Vollbart und schulterlange Locken trug und nach einigen Monaten den Ausreiseantrag stellte. Im November 1976 saß er bepackt mit zwei Kontrabässen, einer Klampfe, einer Reiseschreibmaschine und einem Koffer im Zug gen Westen.

In Hamburg schloss er sein Theologiestudium ab, hier lernte er seine Frau Brigitte kennen, lebte mit ihr in Eppendorf. Bei Onkel Pö am Lehmweg hörte er Jazz-Legenden wie Steve Swallow spielen. Und er wurde Vater der Zwillinge Katharina und Juliane.

Als Neumann sein Studium beendet hatte, verließ er Eppendorf. Nach dem Vikariat in Kiel ging er zur Luther-Kirchengemeinde in Pinneberg. 14 Jahre lebte er dort mit seiner Familie. 1988 kam Sohn Jakob auf die Welt. "Die Kinder fanden es toll, dort aufzuwachsen. Es gab Ponys und grüne Wiesen. Doch als sie älter wurden, wollten wir wieder zurück in die Stadt", sagt Neumann. Die Stadt, das war von 1995 an Othmarschen. Dort arbeitete er 17 Jahre lang als Pastor an der Christuskirche. Er, der in der Gemeinde bekannt ist für seine Liebe zum Gitarrenspiel und seine kurzen prägnanten Predigten, schaffte es, die Kirchenbänke am Sonntagmorgen zu füllen. Nebenbei schrieb er für mehrere Zeitungen, veröffentlichte vor Kurzem das Buch "Umzug mit Fischen". Jetzt hat sich Neumann in den Ruhestand verabschiedet. Als Pensionär will er wieder öfter schreiben und vor allem viel Zeit mit seinen vier Enkeln verbringen. Seit Dezember lebt er wieder in Eppendorf. Dort, wo für ihn in Hamburg alles begonnen hat.

Doch zu ruhig soll es auch nicht werden: Heute geht er an Bord des Kreuzfahrtschiffes MS "Astor", auf dem er in den kommenden Wochen als Seelsorger arbeiten wird.