Etikette-Beraterin Meike Slaby-Sandte zeigt Sechs- bis Zehnjährigen im Hotel Vier Jahreszeiten, wie man sich bei Tisch richtig benimmt.

Hamburg. Es ist nach neun Uhr. In der Halle des Hotels Vier Jahreszeiten am Neuen Jungfernstieg warten zwölf Kinder. Sie werden gleich Lektionen für ihr Leben lernen, erfahren, wie sie sich gut und besser benehmen. Denn sie wurden zum Knigge-Kurs für die Jüngsten angemeldet.

Schüchtern verstecken sich Carlota und Elisa noch hinter den Beinen ihres Vaters, beäugen vorsichtig die anderen Kleinen. Ihre Eltern haben sie für diesen Vormittag herausgeputzt. Auch der kleine Xerxes mit den pechschwarzen Haaren trägt Jackett und Krawatte zur dunklen Hose, die Schwestern Laura und Lisa weiße Bluse und schwarzen Rock.

Sie machen ernste Gesichter, als Meike Slaby-Sandte sie begrüßt. Die 40-Jährige ist selbstständige Etikette-Beraterin und arbeitete früher selbst im Hotel Vier Jahreszeiten. "Heute ist schon etwas Besonderes", sagt sie, "denn dass wir sogar ein Vorschulkind dabei haben, das ist eher ungewöhnlich." Meike Slaby-Sandte begrüßt jeden Teilnehmer per Handschlag, schaut ihnen in die Augen. "Schön, dass du da bist, Jorid, ich freue mich." Scheu lächelt die blonde Sechsjährige und zieht ihre Latzhose hoch. Zurückhaltend sind alle Kinder, als sie sich von ihren Eltern verabschiedet haben, die sie in vier Stunden wieder abholen werden. Aber Slaby-Sandte, die selbst Mutter zweier Kinder ist, lockert die Stimmung mit einem Spiel auf, in dem jeder den Namen, das Alter und das Lieblingsgericht seines Sitznachbarn aufsagen muss. Dazu zweimal den Vornamen. Das ist netter als immer nur "sie" oder "er" zu sagen. "Neben mir sitzt Kilian, er ist sieben Jahre alt, und Kilian isst am liebsten Senfeier", referiert Max. Und so erfahren die Kinder, dass Florentine Pfannkuchen mag, Lisa Fisch und Sushi, Carlota schlicht kein Lieblingsessen hat und die siebenjährige Elisa Trüffel liebt.

+++ Knigge für Kinder +++

Dann wird die Gruppe in einen anderen Raum geführt, der bisher noch mit einem schweren Brokatvorhang abgetrennt war. Dort ist eine lange Tafel zu sehen. Und ein Fernsehgerät. Slaby-Sandte zeigt eine Szene, in der Pippi und Kapitän Langstrumpf ein Fest feiern, Kuchenschlacht, Würstchen-reinstopf-Wettbewerb und Tiere am Tisch inklusive. "Das ist mein Eisbrecher, spätestens danach sind alle gelöst und trauen sich, etwas zu sagen", weiß Slaby-Sandte. Stimmt. Auf die Frage, was man denn wirklich mit den Händen und ohne Besteck essen könne, wollen die Antworten gar nicht enden. "Eis!", "Wurstbrötchen!", "Banane und Hamburger!" und "Fischstäbchen!". Ja, sagt die Trainerin, das sei alles richtig, bis auf die Fischstäbchen. "Denkt mal daran, dass ihr die immer mit Messer und Gabel zerteilt", sagt die Fachfrau mit einem Lächeln. "Aber was meint ihr, warum darf man eigentlich keinen Kuchen werfen?" Kurze Stille. Dann meldet sich die Jüngste, Jorid, und sagt leise: "Es ist schade um den guten Kuchen." Carlota fügt hinzu: "Ich denke, es ist auch schade ums Geld." Elisa ergänzt: "Und das klebt sehr doll in den Kleidern, und vielleicht kriegt es die Mutter dann nicht mehr raus beim Waschen."

In einem Rollenspiel lernen die Kinder dann, dass man die Hand gibt, wenn man sich vorstellt, dass man laut und deutlich seinen Vornamen sagt und dem anderen in die Augen schaut. Natürlich nur den Leuten, die man kennt oder bei denen man eingeladen ist. Niemals einem Fremden auf der Straße.

Der nächste Programmpunkt soll ein Höhepunkt werden: Besuch in der Hotelbar. Alle erklettern die schweren, mit dunkelrotem Leder bezogenen Barhocker und schauen auf die Auszubildende hinter dem Bartresen. Elsa Schnaitmann hat einen Fruchtsaftmix vorbereitet, der von jedem Einzelnen selbst geshaked werden darf. "Fachlich macht diese Station wenig Sinn, ich erkläre zwar, wie sie die Nüsse mit dem Löffel in die Handfläche geben sollen und dass man mit dem Strohhalm nicht laut schlürft, aber mir ist es wichtig, dass sie Spaß haben und auch mal entspannen können", erklärt Slaby-Sandte und wendet sich gleich darauf Max zu, der sich mit dem Oberkörper auf dem Tresen fläzt: "Euer Kopf, der hält auch von alleine mit den Muskeln, auch wenn die Bar so gemütlich ist." Sie sagt alles ernst, aber freundlich. Manchmal kann man beobachten, dass auch sie sich ein Lächeln verkneifen muss. Denn die Antworten und Begründungen der Kleinen, ernst und gewichtig vorgetragen, sind süß. Beispiel: "Warum denkt ihr, sollte man immer Bitte sagen, wenn man etwas fragt?" - "Na weil wir hier in einem edlen Hotel sind. Einem der besten der Stadt, hat mein Papa gesagt!", sagt Elisa. Jorid erklärt, dass sie heute hier sei, "weil Mama gesagt hat, dass ich hier lerne, wie ich Spaghetti essen soll".

140 Euro pro Kind haben die Eltern und Großeltern bezahlt, damit ihre Sprösslinge von der Fachfrau fit gemacht werden. Doch wie viel kann eine Sechsjährige aus diesen Benimm-Stunden mitnehmen? "Das Schöne ist, dass die Kinder nach dem Kurs ihre Eltern testen und schauen, ob die alles richtig machen", sagt Slaby-Sandte. "Oft bekomme ich nach den Kursen Mails von den Eltern, die mir das berichten und sich amüsieren."

Ein Satz, der sicher Eindruck zu Hause macht und mit dem man als Kind Aufmerksamkeit bekommt, ist: "Entschuldigung, darf ich dich einmal unterbrechen?", anstatt "Mama-Mama-Maaaaamma" zu brüllen.

Die nächsten Programmpunkte spielen an der Essenstafel, hier werden Namensschildchen gemalt, gezeichnet, wo welches Besteckteil liegen muss, hier decken die Kinder den Tisch selbst ein, schmücken ihn mit Rosenblättern, bevor der erste Gang serviert wird: Tomatenconsommé mit Buchstabennudeln, frisch aus der Küche von Zwei-Sterne-Koch Christoph Rüffer. "Ich habe ein J!", ruft Jorid laut und glücklich und wird von Meike Slaby-Sandte schnell davon abgehalten, ihren Namen auf der Tischdecke zu vervollständigen.

Denn hier müssen alle noch einmal leise zuhören, damit sie sich merken, mit welcher Seite das Messer hingelegt wird, wie man um etwas mehr Brot bittet, wie man den Suppenlöffel ablegt.

Beim zweiten Gang, Spaghetti mit gebratener Hähnchenkeule, steigt der Schwierigkeitsgrad. "Meike, kannst du mir bitte helfen, ich kann die Nudeln nicht aufdrehen", setzt Marlene ihr neues Wissen ein, und Meike Slaby-Sandte zeigt allen den Trick, der darin besteht, nur wenige Nudeln hochzuheben und dann zu drehen, statt die Gabel in den gesamten Nudelberg zu stechen.

Der Nachtisch, eine Komposition aus Erdbeeren, einer Marzipanmaus und Vanilleeis, wird mit Hingabe, aber viel Gebrüll eingenommen. "Die Kinder werden jetzt langsam müde, sie haben richtig lange zugehört und sich konzentriert, eigentlich müssen sie jetzt rennen und sich auspowern", sagt die Trainerin.

"Ich fand das heute alles schön", sagt Marlene zum Schluss, als sie ihre Urkunde bekommen hat, "denn ich muss ja wissen, wie ich mich gut benehme, weil wir oft wegfahren und in Hotels sind." Und auch die Schwestern Carlota und Elisa fühlen sich gut gerüstet: "Wir müssen uns gut benehmen, wenn wir unseren Vater in der Firma besuchen wollen", sagt die ältere Carlota, und ihre achtjährige Schwester Elisa ergänzt: "Wir kochen auch zusammen, aber so ein Drei-Gänge-Essen kannte ich noch nicht." Ihr Vater, der sie abholt, lacht, als er die Sätze seiner Mädchen hört. "Wir finden es schon wichtig, dass sie das alles früh lernen, aber es soll ihnen in erster Linie Spaß machen."

Meike Slaby-Sandte freut sich über den Zuspruch, der nächste Kurs für Februar ist fest eingeplant. "So, Tschüs, Xerxes, was sollst du nicht vergessen, wenn du jemandem die Hand gibst?" - "In die Augen schauen", sagt der Kleine und strahlt. So ein Lächeln, das kann man gar nicht antrainieren.