Der 85. Geburtstag ist ein guter Anlass, innezuhalten und über das Leben nachzudenken. F.C. Gundlach über Fleiß, Talent und Glück.

Hamburg. Er hat überall auf der Welt Ausstellungen mit seinen eigenen Fotografien und denen seiner riesigen Sammlung gemacht. In New York und natürlich Paris, in Berlin und Dubai, gerade läuft in Beirut die Schau "The Middle East in the 50s and 60s" - F.C. Gundlach. "Kommen Sie", sagt er und führt den Besucher in seine Privatwohnung im Obergeschoss des Hauses an der Parkallee. Im Wohnzimmer, zwischen Bildern und Fotografien an den Wänden, steht eine bequeme Sitzgruppe. Hier herrscht Ruhe, Störungen sind so gut wie ausgeschlossen. Perfekt für ein Gespräch, das Matthias Gretzschel mit dem jetzt 85-jährigen Künstler über dessen Leben führte.

Hamburger Abendblatt: Sie sagen, dass Ihr 80. Geburtstag noch gar nicht so lange zurückliegt, jetzt sind Sie 85 ...
F.C. Gundlach : Ich war selbst überrascht, wie schnell diese fünf Jahre vergangen sind.

Nimmt die Geschwindigkeit zu?
Gundlach : Ja, ich habe das Gefühl, dass die Tage immer kürzer und gleichzeitig immer voller werden. Ich arbeite hier täglich zehn Stunden, denn ich bin immer noch der Meinung, dass man etwas richtig machen muss, oder es eben ganz lassen soll. Ich war schon immer ein Perfektionist, der den Dingen auf den Grund geht.

Sind Sie nicht doch manchmal müde?
Gundlach : Solche Momente gibt es. Man regeneriert nicht mehr so schnell. Aber beim Arbeiten vergisst man das. Leider vergesse ich es zu oft. Am Tag danach merke ich es umso stärker.

Was strengt Sie am meisten an?
Gundlach : Weniger die eigentliche Arbeit. Anstrengend finde ich vor allem die gesellschaftlichen Termine am Abend. Ich komme oft nicht vor Mitternacht nach Haus. Andererseits sind die Kontakte wichtig, es kommt zu Gesprächen, bei denen man Dinge klären kann, die sich telefonisch oder schriftlich gar nicht erledigen ließen.

Sie haben seit Jahren mit einer Krankheit zu kämpfen, wie geht es Ihren Augen?
Gundlach : Auf dem rechten Auge habe ich nur noch drei Prozent Sehfähigkeit, mit dem linken Auge ist es besser. Dank einer erfolgreichen Therapie hat es jetzt wieder 75 Prozent Sehkraft. Bei der sogenannten Makuladegeneration ist das ein wirklich erstaunlicher Heilungserfolg.

Sie haben Zeiten durchlebt, in denen Sie befürchten mussten, zu erblinden. Für einen Fotografen und Sammler eine besonders schreckliche Perspektive. Trotzdem haben Sie die Zuversicht nicht verloren?
Gundlach : Nein, das habe ich keine Sekunde. Das ist Ausdruck meiner Lebenshaltung.

Was sind Ihre Lebensmaximen?
Gundlach : Wenn ich mit Studenten über ihre Zukunft spreche, sage ich immer, dass es im Leben auf drei Dinge ankommt. Erstens darauf, dass man Talent hat, das ist die Voraussetzung. Punkt zwei sind Fleiß und Disziplin. Und Punkt drei ist vielleicht das Wichtigste: Fortune. Man muss im richtigen Moment die richtigen Menschen treffen.

Sie hatten Fortune.
Gundlach : Ich hatte Fortune, auch wenn ich das manchmal erst im Nachhinein erkannt habe. Aber wichtig ist, dass man den glücklichen Moment auch nutzt, dass man etwas daraus macht.

Können Sie sich an Ihr allererstes Foto erinnern?
Gundlach : Ja, dieses Foto gibt es noch. Als Zehnjähriger bekam ich eine Agfa-Box mit einem Selbstauslöser geschenkt. Für mich war der Selbstauslöser viel interessanter als die ganze Kamera. Deshalb habe ich zusammen mit meinem Bruder und einem gemeinsamen Freund ein Foto gemacht. Ich habe meinen Bruder gezwungen auf einer Leiter ganz oben zu sitzen, der Freund saß in der Mitte und ich ganz unten, denn ich musste ja den Selbstauslöser in Gang setzen und noch rechtzeitig in Position sein. Das war mein erstes total inszeniertes Bild, was ich aber erst mit 40-jähriger Verspätung feststellte, als dieses Foto bei einer Recherche zu meiner Retrospektive wieder auftauchte.

Sie haben als Kind regelmäßig fotografiert?
Gundlach : Ja, ich war ein begeisterter Amateurfotograf. Glücklicherweise hatte ich einen Onkel, der eine Dunkelkammer besaß. Ich liebte diese Atmosphäre mit der roten Lampe und dem magischen Moment, wo auf dem Papier nach und nach ein Bild sichtbar wurde.

Was hat Sie am Fotografieren selbst fasziniert?
Gundlach : So genau weiß ich das nicht mehr. Ich habe damals aber schon sehr viel fotografiert. Erst neulich fand ich in einer Kiste aus meinem Elternhaus in Heinebach in Hessen drei Foto-Alben. Als die Amerikaner 1945 kamen, haben sie das ganze Haus durchsucht und aus den Alben viele Fotos herausgeschnitten. Ich habe keine Ahnung, warum sie sich für diese harmlosen Kinderbilder interessierten, die ich sorgfältig aufgeklebt hatte.

Wahrscheinlich war denen schon klar, dass Sie mal berühmt werden.
Gundlach : Das wäre lustig, ist aber kaum anzunehmen.

War Ihnen als Kind schon bewusst, dass Sie mal Fotograf werden würden?
Gundlach : Nein, nichts war klar. Zunächst ging es nur ums Überleben. Zu Kriegsende war ich auf der Luftkriegsschule in Breslau. Als die Russen im Januar 1945 den Großangriff auf das Deutsche Reich starteten, wurden wir 18-Jährigen von einem Tag auf den anderen an die Front geschickt. Es war ein schrecklicher Wintertag mit viel Schnee. Wir hatten dunkelblaue Uniformen an und sahen aus wie Fliegen auf einer weißen Wand, waren also äußerst leichte Ziele. Keine Ahnung, wie ich überlebt habe. Dass ich verwundet war, habe ich erst später bemerkt.

Fotografieren konnten Sie damals nicht, aber haben Sie Bilder im Kopf?
Gundlach : Ja, gewisse Szenen könnte ich noch heute nachmalen.

Es gibt Fotografen, die dokumentieren oder suchen nach dem richtigen Moment. Sind Sie eher einer, der inszeniert?
Gundlach : Zumindest geht es mir darum, ein Bild zu gestalten oder eine Idee umzusetzen.

Wann war klar, dass Fotografie Ihr Leben bestimmen würde?
Gundlach : Ich wollte entweder Architektur oder Geologie studieren - oder eben fotografieren. An einen Studienplatz war gar nicht zu denken, ich bekam dann aber an der Lehranstalt für Moderne Lichtbildkunst bei Rolf W. Nehrdich in Kassel einen Ausbildungsplatz. Ich habe die zweijährige Lehrzeit durchlaufen und war im Nachhinein der einzige der damaligen Absolventen, der Karriere machte. Ich bin nach Stuttgart gegangen, wo ich Assistent der Modefotografin Ingeborg Hoppe wurde. Gemeinsam mit meinem Schulfreund Hans Dieter Schmoll habe ich damals die Firma Studio 50 gegründet. Ich fotografierte vor allem Künstler, die im Süddeutschen Rundfunk auftraten, für die "Funk-Illustrierte". 1950 kam ich dann nach Paris. Meine Bilder - Homestories von Filmstars und erste Modebilder - erschienen in "Film und Frau", der "Eleganten Welt" und im "Stern". Später arbeitete ich für die "Brigitte" und fotografierte Werbung. Mein erster Auftrag für die Lufthansa, aus dem sich eine langjährige Kooperation entwickelte, war ein Beispiel für das, was ich als Fortune bezeichne, für den Moment des glücklichen Zufalls, der jeder Karriere zugrunde liegt.

Wer hat Sie damals besonders beeindruckt?
Gundlach : Zum Beispiel Jean Cocteau. Irgendwann sollte ich eine Homestory in seinem Landhaus fotografieren. Termin war an einem Sonntag. Ich fuhr also frühmorgens mit dem Zug dorthin, klingelte und sagte meinen Spruch auf. Der Portier antwortete mir: "Ja, Sie werden erwartet, aber erst morgen." Doch dann ging im Hintergrund eine Tür auf und Cocteau erschien im Morgenmantel. Er bekam die Verwechslung mit und lud mich ein, die Fotos sofort zu machen. Die Aufnahmen wurden dann ein mehrseitiger Bericht in "Film und Frau".

Wie haben Sie Hamburg damals wahrgenommen?
Gundlach : Hamburg war wichtig, weil es dort die meisten Redaktionen gab. Seit 1954 habe ich eine Wohnung in Hamburg, zuerst an der Maria-Louisen-Straße. 1960 konnte ich dann das Haus an der Parkallee erwerben, in dem ich bis heute lebe. Im Erdgeschoss, wo ich jetzt mein Büro habe, war damals übrigens das Lektorat vom Rowohlt-Verlag. Gregor von Rezzori, Ernst von Salomon und natürlich Ledig-Rowohlt gingen hier ein und aus.

Sie haben mit vielen Menschen zusammengearbeitet, mit Models, mit Schauspielern, Sängern. An wen erinnern Sie sich besonders gern?
Gundlach : Das ist nicht leicht, denn es gab viele spannende Begegnungen. Wunderbar war es, mit Catharina Valente zusammenzuarbeiten, sie war hochbegabt, komödiantisch. Wenn die Proben zu Ende waren, ging oft ihr Temperament mit ihr durch, sie zog ihre Schuhe aus und es wurde gejazzt, da flogen richtig die Fetzen und sie zeigte ihr großes Talent.

War Romy Schneider schwierig?
Gundlach : Nein, schwierig war sie nicht, nur ungeheuer scheu und unsicher. Sie wurde rigoros benutzt, musste Rollen spielen, Prinzessinnen und Kaiserinnen und hat sich hinter diesen Rollen dann auch versteckt. Sie als Mensch zu erfassen, war extrem schwierig. Ein Porträt ist immer ein Dialog. Ich habe sie 1961 in einer besonderen Lebenssituation fotografiert. Die Sissy-Filme waren vorbei, sie machte damals mit Fritz Kortner den ersten Fernsehfilm, "Die Sendung der Lysistrata", sie spielte eine dramatische Rolle, was das Publikum ihr nicht abnahm. Wir trafen uns in Hamburg wieder, ich holte sie im Atlantic ab und fuhr mit ihr in mein Studio. Zuerst machte sie noch Faxen, doch durch die intime, sehr persönliche Atmosphäre ohne Friseurin und ohne Stylistin hat sie sich geöffnet, die Maske fiel und sie wurde sie selbst. Sie war nicht mehr Romy Schneider, sondern Rosemarie Albach. In diesen Bildern hat sie sich wiedergefunden, sie hat sie später dutzendfach immer wieder für sich selbst bestellt. Meistens entscheidet es sich in den ersten zwei Minuten, ob man miteinander kann oder nicht.

Mit wem konnten Sie nicht?
Gundlach : Lilli Palmer war prätentiös, sie spielte den Star. Einmal habe ich drei Tage lang Porträts mit ihr aufgenommen. Da musste extra im Atelier in München ein Salon gebaut werden, damit sie zwischendurch ruhen konnte.

Sie haben nicht nur selbst fotografiert, sondern sind auch Sammler geworden. Wie kam es dazu?
Gundlach : Ich habe mich immer für Fotografie interessiert, für meine Kollegen, aber auch für das künstlerische Medium. Besonders die amerikanische Fotoszene war wichtig für mich. Ich bin in die Amerika-Häuser gegangen, dort konnte ich mir "Harper's Bazaar" oder "Vogue" anschauen, die es ja anfangs in Deutschland nicht zu kaufen gab. Das war für mich ungeheuer wichtig. Da bin ich auf Namen gestoßen, die ich bis dahin gar nicht kannte. Zum Beispiel Erwin Blumenfeld oder Irving Penn. Manchmal, wenn ich gar nicht widerstehen konnte, habe ich mir die Seiten herausgerissen. Die hingen dann bei mir im Zimmer an der Wand

Das war der Beginn Ihrer Sammlung?
Gundlach : Vielleicht war es das. Aber im Ernst: Ich hatte schon bald auch sehr viele Kontakte nach Amerika, und New York wurde damals zur wichtigsten Stadt für die Fotografie. 24 Jahre lang hatte ich eine Wohnung am Madison Square Park. Dort hatte ich Gelegenheit, Kontakte aufzubauen, ab Mitte der 1970er-Jahre gab es die ersten Fotogalerien, und ich begann, systematisch Fotografie zu sammeln.

Sie sind jetzt 85 Jahre alt. Sie haben sich mit dem Tod auseinandergesetzt, Ihr Grabmal steht bereits seit mehreren Jahren auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
Gundlach : In unserer Gesellschaft wird der Tod häufig verdrängt, ich denke aber, dass der Tod zum Leben gehört. Zwei Momente kann man nicht selbst bestimmen: die Geburt und den Tod.

Schreckt Sie das?
Gundlach : Nein, es ist eine natürliche Angelegenheit. Ich hoffe, dass ich bis zuletzt selbstbestimmt leben darf und dass ich dem Tod in diesen Räumen begegnen werde.

Was wird Ihr Vermächtnis sein?
Gundlach : Das Medium Fotografie, von dem ich schon sehr früh geprägt worden bin, hat mir erlaubt, mein Leben weitgehend selbst zu gestalten, hat mir Freiräume geboten, auch in Zeiten, als die Aussichten deprimierend waren, die Situation gar düster erschien. Mein fotografisches Werk bleibt, es hat inzwischen eine historische Dimension. Als eine Facette unseres visuellen Gedächtnisses dokumentiert es ein halbes Jahrhundert Mode- und Kulturgeschichte.

Wie wird es weitergehen?
Gundlach : Alles kommt, alles geht. Alles ändert sich. Nach mir werden andere andere Dinge tun, vielleicht meine Bemühungen fortsetzten. So wie ich gestrickt bin, werde ich bis dahin weiterarbeiten, bis mir der Griffel aus der Hand fällt. Einziger Wermutstropfen ist vielleicht die Erkenntnis, dass man viele Erfahrungen, die man gemacht hat, Leiden, die man gelitten hat, und Konsequenzen, die man daraus gezogen hat, nicht weitergeben kann. Am Ende kann man nichts ändern.