Horst Werner betreibt seit 2007 in Hamm die Kunstwerkstatt “Fabrik der Künste“. Das verändert den Stadtteil: Hamm wird salonfähig.

Hamm. Ende Juli 1943 zerstören britische Bomber den Stadtteil Hamm als Wohngebiet. Als die Ruinen abgetragen sind, siedelt sich in Hamm-Süd zwischen Straßen, Bunkern und Kanälen Gewerbe an. Fabriken, Lagerhallen, Autohändler, wenige Büros. Es dauert Jahrzehnte, bevor sich in der Nähe der Süderstraße wieder kleine Pflänzchen urbanen Lebens regen.

Horst Werner, 75, Besitzer und Betreiber der 2007 eröffneten Fabrik der Künste am Kreuzbrook 10, ist optimistisch. Er hatte die alte Seilerei 1997 erworben, hat das Recht auf Kultur im Gewerbegebiet gegen die Behörden erstritten, die Produktions- und Lagergebäude umgebaut. Seine Fabrik der Künste hat sich etabliert, Ausstellungen mit zeitgenössischen Künstlern ziehen Tausende Besucher an.

Gleich 12 000 Menschen, berichtet er stolz, wollten kürzlich die Werke des Schweizer Zeichners, Malers HR Giger sehen, der aus dem fantastischen Realismus kommt und für die Ausstattung von "Alien" 1978 einen Oscar bekam. "Bis zur Süderstraße standen sie Schlange, um an den letzten Tagen hier hineinzukommen", freut sich Werner.

+++ Ladenzeile am Horner Weg vor dem Aus +++

Er erfüllt sich mit diesem Ort einen Lebenstraum. In Salzwedel hineingeboren in eine Architektenfamilie, kam er schnell selbst zum Zeichnen. Zog mit dem Vater 1949 nach Berlin, lebte im Westen, ging im Osten zur Schule und wohnte jahrelang im Keller der zerbombten Witzlebener Kirche. Berlin ist als dialektale Färbung bis heute präsent. Er studierte Grafik und kam 1957 nach Hamburg, um Werbeleiter einer Strumpffirma zu werden. "Die schaffte die Umstellung von Nahtstrümpfen auf nahtlos nicht, und schon war ich selbstständig." Er macht Corporate Design und klassische Werbung. Ein Freund fragt ihn, ob er in sein Geschäft mit Autoteilen einsteigen will. Horst Werner tut das aus freundschaftlicher Verbundenheit, seine Idee, Ersatzteile für Autoreparaturen als Komplettpakete anzubieten, erweist sich als Goldesel. Bald werden seine Kits in mehr als 100 Ländern weltweit vertrieben. "Dabei hatte ich selbst nicht viel Ahnung von Autos."

2001 fängt Werner an, seine Firmen zu verkaufen und seinen Traum zu realisieren. Aus der Seilerei wird ein Veranstaltungskomplex mit hellen, hohen Fenstern. Und sein Atelier, in dem sich zwei große Schreibtische in entlegenen Ecken wegducken, ein riesiger Tisch der Kreativität dient und eine Küchenecke davon zeugt, dass Werner hier gern auch Freunde zum Kochen einlädt.

Seine Fabrik der Künste ist kaum noch ein Hobby, seine Frau Marion Wingberg sagt: "Du arbeitest hier schon mehr als damals für deine Firmen." Horst Werner kommt selbst kaum noch zum Malen, ein Kinderbuch hat er fertig geschrieben, nur gedruckt ist es noch nicht. Vor den Ausstellungen sind Atelierbesuche bei den Künstlern angenehme Pflicht, auch fährt er jedes Jahr zur weltgrößten Kunstmesse, zur Art Basel. Er lacht, freut sich und spinnt immer neue Fäden. Eine "Arabische Woche" hatte er schon hier, mit Lesungen, Tanz, Musik. Eine "Polnische Matinee", Kooperationen zwischen Künstlern und Schauspielern. Ausstellungen gibt es in immer dichteren Abständen. Ernst Fuchs hat er ausgestellt, die Wiener Phantasten und Bruno Bruni folgen.

Namhafte Künstler ziehen die Aufmerksamkeit auf den Ort und damit auch auf weniger bekannte Namen. Am 26. April wird die Malerin Bettina Hagen präsentiert. "DreiMALdrei" ist vom 10. bis 20. Mai zu sehen, dann präsentieren Nikola Mederow, Mica Hofmann, Christian Behl ihre Werke, das Begleitprogramm bestreiten u. a. Alida Gundlach, Rudi Kargus, Rainer Moritz, Reinhold Beckmann, Michael Jürgs und Hubertus Meyer Burkhardt (alle Termine unter www.fabrikderkuenste.de ).

Für den Dezember ist eine große Kinderbuchausstellung in Vorbereitung; zu Horst Werners großer Bibliothek gehört auch eine umfangreiche Kinderbuchsammlung; dazu will auch Cornelia Funke aus New York anreisen.

So wird Hamm salonfähig. Noch, sagt er, habe die Stadt kein Konzept für diesen weißen Fleck, der nur drei Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt liegt. "Auch deshalb hat diese Ecke von Hamburg tagsüber und abends so viel Ruhe wie ein Erholungsgebiet, und die Mädchen vom Straßenstrich sind unsere Bewacher und Behüter." Seit sie die Süderstraße bevölkern, sagt Horst Werner, sei es in der Gegend viel sicherer geworden.

Wenn einer wie er träumt, hört das nicht einfach auf. Ein Künstlerhaus am Kreuzbrook könnte ihm gefallen. Hier wird mit Nachbarn verhandelt. Schon heute ziehen viele junge Künstler in die Gegend; hier gibt es noch bezahlbare Räume und Ateliers, in denen sie auch wohnen können. So leistet die Kultur Entwicklungshilfe für den Stadtteil. "Und in zehn Jahren", sagt Horst Werner, "heißt er nicht mehr Hamburg-Hamm, sondern Hamburg-Brooklyn."