“Essen & Trinken“ feiert 40. Geburtstag. Ein Gespräch mit Angelika Jahr-Stilcken und Stephan Schäfer, der Erfinderin und dem Chefredakteur.

Hamburg. Als Josef Kremerskothen, damals Chefredakteur von "Schöner Wohnen", Anfang der 70er-Jahre aus Schweden eine neue Zeitschrift mit dem Titel "Allt om Mat" (Alles über das Essen) mitbringt, sie seiner Stellvertreterin, der 31 Jahre jungen Verlegertochter Angelika Jahr, zeigt und fragt: "Kannst du dir vorstellen, so ein Konzept für Deutschland zu entwickeln?", sagt sie tapfer "Ja". Gut essen hat sie bei ihren Eltern gelernt, aber kochen? "Kein bisschen!"

Sie holt sich eine Crew aus kenntnisreichen Redakteurinnen und aus ambitionierten Köchen und bastelt eine Nullnummer. Kein reines Rezept-Magazin, sondern eines mit Wissenswertem, Warenkunde, mit Kochtricks und Trends - eben alles übers Essen und Trinken. Das Baby besteht einen skeptisch verordneten Markttest mit Bravour, und im Oktober 1972 erscheint das erste Heft von "Essen & Trinken". Chefredakteurin: Angelika Jahr.

"Menschlich gesehen" - Durchgebissen - Angelika Jahr-Stilcken

Das Projekt hat viele Kritiker. Henri Nannen, der legendäre "Stern"-Gründer, selbst ein großer Genießer, orakelt noch vor dem ersten Heft: "Angelika, das wird nie was. In zehn Jahren will kein Mensch mehr gut essen, dann ernähren sich alle von Pillen. Und in zwei Jahren fällt euch nichts mehr ein." Kollegen im eigenen Haus nörgeln: "Was soll der Unsinn? Es gibt doch genug Rezeptecken in unseren Zeitschriften." Angelika Jahr kennt das, schon bei "Schöner Wohnen" hatte "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein gelästert: "Und was macht ihr, wenn alle ihre Wohnungen neu eingerichtet haben?"

40 Jahre, 28 000 gedruckte Rezepte und 84 760 gekochte Gerichte später sitzt Angelika Jahr mit dem heutigen "Essen & Trinken"-Chefredakteur Stephan Schäfer, 37, im Restaurant Vlet am Sandtorkai: die Magazin-Gründerin elegant, lebhaft und beredt; Schäfer, der auch "Schöner Wohnen" verantwortet, ist ein freundlich motivierender und hoch motivierter Genuss-Eleve, der den Wegbereiter aller deutschen Food-Magazine mit neuem Schwung ins fünfte Jahrzehnt schickt.

Schäfers Neuerungen haben die Position von "Essen & Trinken" als Nummer eins unter den deutschen Food-Magazinen gefestigt, mit 2,84 Millionen Lesern im Schnitt bei 191 000 verkauften Heften. Die Auflage hat im vierten Quartal 2011 gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozent zugelegt, der Einzelverkauf um satte 48 Prozent. Die Besuche beim Internetportal essen-und-trinken.de nahmen um 39 Prozent zu. Auch der handliche Ableger "Essen & Trinken für jeden Tag" floriert mit 208 000 verkauften Heften. Das ganze Jahr wird gefeiert, mit Aktionen, vielen Extras und einem Jubiläumsheft im Oktober.

Das Herz der Zeitschrift ist nach wie vor die "Essen & Trinken"-Küche mit ihren neun festangestellten Köchen. "Sie sind unsere Helden, unsere Stars." Und nun selbst im Heft präsent. Sie gehen auf Reisen, spüren neue Rezepte auf und kochen jedes selbst gleich zweimal: einmal zum Ausprobieren, noch einmal für die Fotoproduktion. Wenn das Rezept schriftlich fixiert ist, muss ein Küchenpraktikant ran: "Wenn der das dann auch schafft, ist alles okay." Angelika Jahr nennt das die "Geling-Garantie" und amüsiert sich: "Ich hab das selbst ausprobiert anfangs, ich war ja ein Koch-Laie. Und wenn ich das konnte, konnten das alle anderen auch."

"Alle anderen" heißt: jede der ambitioniert kochenden Leserinnen und, wie man bald feststellte, auch die vielen kochenden Männer. Beide Gruppen einte das Bedürfnis, der Eintönigkeit der Nachkriegsküche und der geistlosen Fülle der Wirtschaftswunderjahre zu entfliehen. "Wir wollten damals wissen: Wie essen die Deutschen 1972? Das Ergebnis war erschütternd - man kochte im Wochenrhythmus das immer Gleiche. Freitags Fisch, samstags Suppe, sonntags Braten. Im Gewürzschrank standen Pfeffer und Salz, höchstens noch Curry und Paprika." In der ersten Nummer hieß es denn auch kess: "Was verbindet die deutsche Küche und das deutsche Schlafzimmer? Das geringe Maß an Raffinesse, mit dem zu Werke gegangen wird."

"Essen & Trinken" leistet Entwicklungshilfe im eigenen Land. Rückt neue Lebensmittel in den Fokus: Crème fraîche, Rucola, Avocados, Basilikum. Benennt Trends im kochenden Deutschland. Startet, während draußen noch gegen den Vietnamkrieg demonstriert wird, eine Genussoffensive. Der als links einsortierte Journalist Gert von Paczensky etabliert eine florettfein formulierte Restaurantkritik, rezensiert lustvoll auf Augenhöhe Drei-Sterne-Restaurants und setzt auch bei der Höhe seiner Spesen Maßstäbe.

Die Köche verfeinern den deutschen Geschmack mit Exotischem, inszenieren in den fetten 80ern "russische Feste" und "römische Gelage", folgen in den 90ern dem Trend zum Einkuscheln in den eigenen vier Wänden samt gemeinsamen Kochabenden. Sie nehmen auch Anregungen der Vollwert-, Gesundheits- und Fitnessküche auf. "Das muss sein", sagt Angelika Jahr, "aber es muss auch Spaß machen zu sündigen, mit Schweinebraten, Knödeln und Soße."

Das passt, denn heute ist Bodenständiges gefragt. Frikadelle ist ohnehin das meist variierte Gericht in der Geschichte von "Essen & Trinken"; in Restaurants laufen Wiener Schnitzel, Bratkartoffeln, Gurkensalat wie verrückt. Stephan Schäfer sagt: "Was heute Trend ist, machen wir seit 40 Jahren: saisonal kochen, regional, nachhaltig. Fragen, wo kommt unser Fleisch her. Je unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr wird gekocht. Das ist Teil des Rückzugs auf Überschaubares und Handgemachtes. Einen Tisch kann kaum jemand selber machen, kochen schon. Davon werden wir auch in den nächsten Jahren gut leben." Viele, ergänzt Angelika Jahr, hätten die Rezepte ihrer Mütter nicht mehr gelernt und wollten das nun nachholen.

Dass das Blatt häufig Mutters Stelle vertritt, merkt der Leserservice, der 400-mal pro Monat um praktischen Rat gefragt wird und auch mit Rezepten aus dem Archiv hilft, wenn die zu Hause nicht mehr auffindbar sind. Heiß laufen die Telefone, wenn sich mal ein Fehler einschleicht: Wenn die Menge der Nudeln nicht angegeben ist, wenn aus 15 Knödeln fünf werden. Als 1986 aus einer Messerspitze Safran, dem teuersten Gewürz der Welt, versehentlich eine halbe Tasse wird, bietet ein Bankdirektor den irritierten Lesern ironisch Kredite an.

Schäfer hat inzwischen am eigenen Leib erfahren, was es heißt, für "Essen & Trinken" verantwortlich zu sein. In seinem ersten Jahr hat er vier Kilogramm zugenommen und gelernt: "Man darf wirklich nur probieren, wenn es um 11 Uhr Boeuf Bourguignon gibt, um 14 Uhr Wiener Schnitzel und um 16 Uhr Erdbeertarte. Ich lerne das langsam." Er werde seltener eingeladen, weil alle denken, er sei jetzt zu kritisch.

Nach dem eigenen Lieblingsessen gefragt, sagt die "Essen & Trinken"-Gründerin: "Pasta in allen Variationen." Weiter mag sie sich nicht festlegen. "Ich liebe es, Neues kennenzulernen und auszuprobieren." Schäfer ergänzt: "Richtig gute Bratkartoffeln, aber die sind schwierig." Und handelt sich gleich eine Einladung bei Angelika Jahr ein: "Meine sind eine Sünde wert!"

Dass Essen und Trinken auch außerhalb des Berufs Menschen miteinander verbindet, hat erst kürzlich eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Redaktion ergeben. Demnach sind vier von zehn Deutschen überzeugt: Wenn jemand gut kochen kann, hat die Beziehung bessere Chancen.

Und 13 Prozent der Frauen sowie zehn Prozent der Männer haben bei ihrem ersten Date für den zukünftigen Partner gekocht. Liebe geht also immer noch durch den Magen.