Vielleicht haben sie in den vergangenen neun Jahren verlernt, normal auf einem Bürgersteig zu gehen. Sie rennen, hüpfen, sind laut. Als sie aus dem weißen Kleinbus steigen, wird die stille Bellealliancestraße in Eimsbüttel zum Catwalk. Die Castingband No Angels ist angekommen. Nadja, Sandy und Jess tragen Stilettos. Pailletten und Strass funkeln, die Röcke bieten freien Blick auf viel Bein. Nur Lucy, bekennend bisexuell, steuert dagegen: Das maskuline Hemd der Rothaarigen ist hochgeschlossen, dazu trägt sie eine Fliege, Lucys Füße stecken in Turnschuhen. Dafür lacht sie umso lauter und erinnert sich daran, dass sie in dieser Gegend gerne eine Bar besuchte, die es nicht mehr gibt.

Vorbeifahrende Radler erkennen die vier Frauen sofort, drehen sich um, tuscheln. "Man merkt das immer sehr stark, dass wir wieder in den Köpfen der Menschen sind, wenn wir mit einer neuen Platte in den Medien sind", sagt Jess, als alle gemeinsam mit Manager Khalid Schröder im verwinkelten Bistro Tati sitzen. Knallige Lila- und Fliedertöne vor moosgrüner Wohnzimmertapete. Passend - oder out? Lässig oder gewollt? Wo stehen die "Nicht-Engel" heute, die im Jahr 2000 gecastet wurden, die ihre ersten musikalischen Schritte in ständiger Kamerabegleitung machten?

Zunächst einmal sind die sympathischen und eloquenten Frauen auf Werbetour für ihr jüngst erschienenes Album "Welcome To The Dance". Ein "Tanzalbum", wie Sandy erklärt. Es ist anders als alles bisher Gehörte, schneller, zackiger, härter. "Es ist gefährlich, musikalisch immer das Gleiche zu machen", sagt Lucy, "auf unserem letzten Album hat uns der Mut gefehlt." Den hätten sie nun gehabt, waren in den USA, haben dort produziert, sich beraten lassen. "Das Album ist sehr persönlich geworden, autobiografisch. Anders als früher, als wir komplett fertige Songs vorgelegt bekamen", sagt Angel Sandy. So soll der Erfolg, der ihnen früher regelrecht zuflog, zurückkehren. So soll das schlechte Abschneiden beim Grand Prix 2008 (letzter Platz in Belgrad) wettgemacht werden, so soll die Zukunft aussehen: mutig. Geschlossen präsentieren sich die vier, die an- und miteinander gewachsen zu sein scheinen, die sich schätzen und respektieren. Und diejenige von ihnen stützen und schützen, die gerade am schwächsten ist. Wie Sandy, die kurz vor der Geburt ihres Sohnes vom Kindsvater verlassen wurde. Oder Nadja. Sie kam Ostern für zehn Tage in U-Haft, weil die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen sie ermittelte. Sie soll ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt haben, ohne ihre Partner auf ihre HIV-Infektion hinzuweisen. Da die Ermittlungen noch andauern, kann Nadja nicht dazu Stellung nehmen. Die Strategie: Offenheit. Ruhig und ausführlich spricht Nadja über ihre Gefühlslage, als die Situation publik wurde: "Ich musste das aushalten, es ist würdelos, ich habe geflucht und kam damit nicht klar", sagt die 27-Jährige. Dann habe sie die Entscheidung getroffen, bei der Band zu bleiben, die Lage zu akzeptieren. "Ich möchte da mit Würde durchgehen, die Kontrolle bewahren. Mein Grundpaket stimmt, ich habe ein schönes Leben, und dafür will ich kämpfen", sagt sie.

Auch solche Tiefs gehörten zum Leben einer prominenten Figur, betonen alle vier, sie hätten dies mittlerweile akzeptiert. Gelernt hätten sie auch aus der vorübergehenden Trennung 2003 und der Wiedervereinigung.

In der Tat sitzt in dem Eimsbüttler Bistro eine extrem erfolgreiche "Girlband" mit fünf Millionen verkauften Platten und vier Nummer-eins-Singles. Sie sind vier Frauen, die sich gefunden haben. "Man liebt alle gleich", sagt Sandy und lächelt engelhaft, "wie in einer Familie." Zusammenhalten, in guten wie in schlechten Zeiten. Man kann das glauben - und möchte es auch.