Ruben Jonas Schnell, Gründer des Internetradios ByteFM, spielt für seine Hörer Musik nicht nur, er will, dass sie sie auch berührt. Von Oliver Schirg

Schon am Telefon hatte Ruben Jonas Schnell gewarnt: „Einen Konferenzraum oder so was Ähnliches gibt es bei uns nicht.“ Zum Gespräch müssten wir uns in eine Flurecke setzen, und da könne es schon mal etwas wuselig werden. Ob das in Ordnung sei? Der Musikjournalist und Gründer des Internetradiosenders ByteFM ist im Sprechen geübt. Seine Stimme klingt warm und angenehm. Die Betonung liegt immer auf der richtigen Silbe. Es ist das Ergebnis von vielen Jahren Radioerfahrung. „Und von Sprechunterricht“, fügt er hinzu. Ohne den gehe es nicht.

Bei unserem Gespräch sitzen wir tatsächlich in einem Flur. ByteFM hat seinen Sitz in dem Medienbunker in der Feldstraße, gleich neben dem Heiligengeistfeld und dem Stadion des FC St. Pauli. Die weißen, kahlen Betonwände und die schwarz gestrichenen Decken wirken ein wenig beklemmend. „Wir haben gerade mal 120 Quadratmeter“, erzählt Ruben Jonas Schnell. „Mehr können wir uns nicht leisten.“ Obwohl es ByteFM schon seit 2008 gibt, rund 800.000 Menschen pro Monat den Musiksender hören und der Förderverein etwa 4000 Mitglieder zählt, reichen die Einnahmen nicht, „alle unsere Moderatoren anständig zu bezahlen“.

Das ist der Preis, den der 46-Jährige und seine Mitstreiter für die Erfüllung ihres Traums bezahlen: „Ein liebevoll gestaltetes, gutes Musikprogramm zu machen.“ Schon als kleiner Junge hörte der gebürtige Hannoveraner nachts heimlich mit Kopfhörern unter der Bettdecke Sendungen des NDR. „Natürlich träumte ich davon, Musiker zu werden.“ Gitarre habe er gespielt, später sogar eigene Songs komponiert und mit einem Freund in Basel Straßenmusik gemacht. „Das hat mich aber nicht so sehr berührt; vielleicht weil ich zu sehr Perfektionist bin, um mit etwas Unfertigem rauszugehen.“

Stattdessen behagte ihm schon damals die Vorstellung, im Studio zu sitzen und anderen Menschen da draußen die eigenen Platten vorzuspielen. „Mein größeres Talent liegt darin, über Musik zu sprechen. Deshalb hat mich das Radio gereizt, und ich fand es genauso cool und aufregend.“ Fernsehen interessierte nie. „Bei Bildern tritt die Musik in den Hintergrund. Radio ist dagegen unmittelbarer.“ Das liege wohl daran, dass Musik näher am Gefühl dran sei. „Ich fühle ja erst, ehe ich denke.“

Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von ByteFM präsentiert Ruben Jonas Schnell jede Freitagnacht bei NDR Info den Nachtclub. „Dann sitze ich da allein, und Musik umhüllt mich total. Musik ist gut für mich, wenn sie mich berührt.“ Und manchmal weitet sie seine Welt. „Da höre ich einen Song und spüre: Wow! Das kommt jetzt aus New York oder aus Tokio. Dann denke ich an einen tollen Club.“

Schön früher habe er manchmal stundenlang vor dem Radio gesessen und sei zwischen den Sendern hin und her geswitcht. „Nur um ja nichts zu verpassen.“ Heute bleibt ihm selten Zeit, Musik intensiv zu hören. „Ich sitze oft am Notebook und höre die Songs vor allem unter dem Aspekt ihrer Verwertbarkeit für meine Sendungen.“

Das war zu seinen Schul- und Studienzeiten noch anders. 1987 machte Ruben Jonas Schnell das Abitur und absolvierte danach den Zivildienst. Eine schwere Zeit, wie er sich erinnert. „Ich arbeitete beim Arbeitersamariterbund als Busfahrer und fuhr behinderte Kinder zur Schule. Das hat großen Spaß gemacht. Das Bedrückende war, dass wir von den ASB-Mitarbeitern schikaniert wurden“, erzählt er. „Zivildienstleistende galten als Drückeberger.“

Musik haben ihm damals geholfen. „Ich habe viel Amirock und Countrymusik gehört und entschieden: Wenn das hier fertig ist, muss ich dorthinfahren, wo diese Musik gemacht wird.“ Also flog er als 20-Jähriger nach Amerika, kaufte sich in Boston für 700 Dollar ein Auto und fuhr „40.000 Kilometer quer durch die USA, erst nach Seattle und dann die Westküste hinunter“. Auf den langen Fahrten hört er vor allem Countrymusik und Wortsendungen. Letztere, um sein Englisch zu verbessern.

„Am liebsten wäre ich dort geblieben“, erinnert er sich. „Ich fühlte mich total frei, war ein unbeschriebenes Blatt und konnte daher unbeschwert auf Menschen zugehen.“ Nach seiner Rückkehr ging er nach Freiburg, um Amerikanistik und Musikwissenschaften zu studieren. Doch es kam alles ganz anders. Im Breisgau sendete das linksalternative Radio Dreyeckland. Ruben Jonas Schnell fragte, ob er wöchentlich eine Musiksendung machen könne. Zu seiner Überraschung sagten die Dreyeckland-Macher zu. „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal genügend Schallplatten, die wöchentliche Sendung zu gestalten“, erinnert sich der 46-Jährige. Erst kürzlich habe er beim Aufräumen die Kassetten mit den Mitschnitten entdeckt. „Es ist unerträglich, sich das heute anzuhören“, lacht er, „ich glaubte damals, besonders cool klingen zu müssen.“ Aber es war sein Einstieg, und er wusste: Es war sein Beruf! „Bis dahin war Musik ein wichtiger Teil meines Lebens; in Freiburg wurde es mein Lebensinhalt.“

Radiohören habe etwas mit Auseinandersetzung zu tun, sagt Schnell. Deshalb sei er auch allergisch „gegen diese Checkerhaltung“, die dem Hörer vermittele: „Das musst du kennen, und wenn du es nicht kennst, bist du doof.“ Gutes Radio versuche vielmehr, die Leute für sich zu gewinnen, Hörer mit neuen Dingen zwar zu fordern, aber auch zu belohnen. „Meine Idee ist: Ich spiele dir was vor, und ich erzähle dir etwas dazu. Vielleicht magst du es ja dann ganz von allein.“

Amerika verlor Schnell aber auch in Freiburg nicht aus dem Blick. Und als er für ein Stipendium nach Eugene (Oregon) flog, hatte er wieder einmal Glück: Dort war gerade das College-Radio gegründet worden, und er bekam eine eigene Sendung. Aber, sagt Schnell, er habe nicht darauf gewartet, „entdeckt“ zu werden, sondern immer von sich aus an die Türen geklopft und seine Ideen unbedingt umsetzen wollen. Dazu gehörte es aber auch, „kooperativ zu sein und immer lernen zu wollen“.

Bei einer Tür aber kostete es ihn einige Überwindung, ehe er anklopfte: Es war die des NDR. Nach seiner Rückkehr aus den USA habe er unbedingt dort anfangen wollen, sagt Ruben Jonas Schnell. Der legendäre Moderator Klaus Wellershaus betreute zu jener Zeit bei NDR 2 den „Nachtclub“ – und das war die Champions League in dieser Branche. Schnell bekam seine Sendung jeden Freitagabend zwei Stunden. Und die moderiert er noch heute.

Und so hätte es damals bleiben können bis zum Ende seiner Tage. Doch Anfang 2007 las Ruben Jonas Schnell, dass es mithilfe des Internets inzwischen 200 Bürgerradios gab. „Ich dachte: Ist es möglich, über ganz Deutschland verstreute, gute Musikmoderatoren auf einem Internetradiosender zu bündeln?“ Kollegen, mit denen Ruben Jonas Schnell befreundet war, reagierten begeistert. Zwei Schulfreunde – ein Steuerberater und ein Anwalt – halfen bei der Unternehmensgründung und sind heute Teilhaber von ByteFM. „Ich habe mich dann hingesetzt und mir überlegt, wie so eine Sendewoche strukturiert sein könnte.“ Am 11. Januar 2008 startete ByteFM mit dem Song „Transmission“ von Joy Division. „Wir machen ein Radioprogramm, das sich nicht als ‚Kleber‘ begreift, um Werbespots zu verkaufen“, sagt Schnell. Inzwischen gestalten knapp 100 Journalisten, Musiker und Kenner der Szene Sendungen frei nach ihrer Fasson.

Ruben Jonas Schnell lehnt sich zurück und blickt zufrieden. Er sei stolz auf ByteFM. Die Probleme aus den Anfangsjahren sind überwunden. Er mag zwar immer noch keine Konflikte, aber bisweilen sind sie unvermeidlich, ebenso ein Mindestmaß an Disziplin. „Regeln müssen sein. Wenn die Sendung 20 Uhr beginnt, dann beginnt sie 20 Uhr und nicht 20.05 Uhr.“

Das klingt geschäftsmäßig, und ein Manager muss man wohl auch sein, will man ein kompliziertes Projekt wie einen Radiosender am Laufen halten. Allerdings hat Schnell sich eine Fähigkeit bewahrt: sich überraschen zu lassen. „Es ist etwas Wunderbares, überrascht zu werden von Musik, bei der man gedacht hatte, sie ließe einen kalt.“ Das sei ihm wichtig, weil „so die Hoffnung bleibt, dass auch in Zukunft Dinge möglich sind, die einen glücklich machen“.

Und dann erzählt Ruben Jonas Schnell von einer Spanienreise mit seiner Lebensgefährtin im vergangenen Jahr. Auf einer Landstraße in Andalusien hörten sie im Autoradio eine Sendung über Flamenco aus den 70er-Jahren. Weil Flamenco ihn nicht interessierte, habe er den Sender wechseln wollen, erzählt er. Doch dann passierte Folgendes: „Meine Freundin übersetzte den Moderator, der erklärte, warum Lole Y Manuel so wichtig für die spanische Musikkultur sind. Ich war immer noch nicht interessiert. Doch dann startete ein Song, ‚Todo Es De Color‘ – ,Alles in Farbe‘. Und ich war sprachlos. Stimme, akustische Gitarre, Chor. So noch nie gehört. Einfach atemberaubend.“ So ist Radio.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Ruben Jonas Schnell bekam den Faden von Elisa Erkelenz und gibt ihn an Hauke Wendler weiter.