Vor 30 Jahren veranstaltete der Chaos Computer Club in Hamburg seinen ersten Kongress – kurz nach einem Datenklau bei der Haspa. Oliver Schirg schildert, wie die Experten über die digitale Zukunft berieten, am Tagungsort aber Kurbeltelefone benutzten

Journalisten müssen 50 Mark Eintritt bezahlen, „Kids 20 DM und Girls 10 DM“. Um zu verhindern, dass Gäste eine versteckte Kamera oder ein Diktiergerät in die Tagungsräume schmuggeln, werden sie vor dem Eingang abgetastet wie am Flughafen. Auch muss jeder Besucher ein Passbild mitbringen, das auf einen Teilnehmerausweis geklebt wird. Bei der Namenswahl hingegen haben die Gäste freie Hand.

Vor 30 Jahren, am 27. Dezember 1984, trafen sich im Eidelstedter Bürgerhaus an der Elbgaustraße rund 400 Computerexperten zum ersten Chaos Communication Congress. Ein Ereignis, über das am 28. Dezember sogar die „Tagesschau“ berichtete: Dort war von „jungen Tüftlern und Computerfans“ die Rede, die „Tricks und Tipps“ austauschten. Der „Spiegel“ vermeldete, dass es auch um das „delikate Thema: ,Jura für Hacker‘“ gehen soll.

Eingeladen hatte der Chaos Computer Club (CCC). Einige Wochen zuvor war der Verein bundesweit bekannt worden, weil zwei seiner Mitglieder die Sicherheitslücken des Btx-Systems, eines interaktiven Online-Dienstes der Bundespost, öffentlich demonstriert hatten. Durch einen sogenannten Datenüberlauf gelangten die Hacker an die Zugangskennung eines Accounts der Hamburger Sparkasse (Haspa) und an das zugehörige Passwort des Geldinstituts.

Mit den Haspa-Daten loggte sich ein Mitglied des Chaos Computer Clubs bei Btx ein und rief über das Netzwerk wiederholt eine kostenpflichtige Seite des Vereins auf. Für jeden Aufruf entstanden der Haspa Kosten in Höhe von 9,90 Mark. Innerhalb einer Nacht wurden so vom Konto des Geldinstituts rund 135.000 Mark zugunsten des Vereins abgebucht. Allerdings wurde nach diesem Coup in der Szene der Ruf nach einer Veranstaltung immer lauter, auf der die Computerexperten ihr Wissen austauschen wollten.

Der erste Chaos Communication Congress stand unter dem Titel „Offene Netze – Warum?“. Die Einladung pries die Veranstaltung als „DAS Treffen für Datenreisende!“ an. „Telefon, Datex, Btx, Mailboxbetrieb, Telex, Datenfunk, Videovorführung, aktive Workshops, Video- & Papercopiers“ – darum sollte es während der dreitägigen Veranstaltung gehen.

Zugleich wurde – als ferne Zukunft wohlgemerkt – ein Welt beschrieben, die vielen Menschen unserer Tage vertraut vorkommen dürfte. „Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein“, heißt es in der Einladung aus dem Jahr 1984. „Es gibt nur noch die Glasfaser und Terminals in jedem Raum. Man siedelt auf fernen Rechnern. Die Mailboxen sind als Wohnraum erschlossen.“

Die Angst vor Spionage und Datenklau war schon seinerzeit ziemlich groß. „Gerade freue ich mich über das Erfolgserlebnis, den Eingang hinten gefunden zu gaben, schon stürzt ein Knabe mit fanatischen Augen und einem Detektor auf mich zu. ‚Fotoapparat? Waffen?’“, heißt es in einer Reportage von Werner Pieper, die später in der „Hackerbibel“ erscheinen sollte. „Der Piepser piepst wie verrückt. Aber eine Körper- und Taschenkontrolle fördert nichts Unerlaubtes zutage.“

Beim Kongress vor einem Jahr wurden bereits 9000 Teilnehmer gezählt

Die Computerfreaks hatten das gesamte Bürgerhaus in Eidelstedt in Beschlag genommen. Augenzeugen berichteten, dass es in dem Gebäude „wie nach einer Verlegeübung einer Fernmeldeeinheit der Bundeswehr“ aussah. Schier endlos schlängelten sich die Kabel durch die beiden Etagen des Gebäudes. „Überall flimmern Monitore, bimmeln Telefone.“ Vor Computermonitoren bildeten sich Trauben von Interessierten, die gemeinsam tüftelten, ihr Wissen demonstrierten und miteinander diskutierten. „Die Hauskommunikation erfolgt mithilfe von Feuerwehrtelefonen zum Kurbeln“, schrieb Pieper.

Computertechnik und Internet jener Zeit waren mit den heutigen Angeboten kaum vergleichbar. Der Streit, ob Hacker „gut oder böse“ sind, tobte aber schon damals. Die „Tagesschau“ sprach seinerzeit von Experten, die zwar unbefugt in fremde Datensysteme eindringen, das aber nur täten, um mangelnde Datensicherung nachzuweisen. Sicherheitsbehörden und Kritiker sprachen hingegen von Kriminellen.

In einem Beitrag des Hamburger Abendblatts vom 27. Dezember 1984 äußerten sich Mitglieder des Clubs über ihr Ansinnen. „Wir sind das klare Gegenteil von Computerkriminellen, die wegen des eigenen finanziellen Vorteils in Computersysteme eindringen.“ Vielmehr seien die Mitglieder des Clubs „interessierte junge Leute, die sich nicht von den neuen Kommunikationstechniken überrollen lassen möchten“.

Tatsächlich entwickelte sich der Chaos Communication Congress zu einem der wichtigsten regelmäßigen internationalen Jahrestreffen der Branche. Aktuelle Themen wie Datensicherheit, Zugang zum Internet oder die Gefahr durch Computerviren wurden und werden diskutiert.

Die Veranstaltung ist inzwischen ins CCH umgezogen. Im vergangenen Jahr zählte sie – nicht zuletzt wegen der Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden – mehr als 9000 Besucher. Der CCC hat nach eigenen Angaben 4500 zahlende Mitglieder. Auch in diesem Jahr werden auf dem Kongress wieder Tausende Computerexperten erwartet.