Vor 50 Jahren wurde in Bahrenfeld das Desy gestartet. Angela Grosse erinnert daran, wie Hamburg durch diesen Teilchenbeschleuniger zu einer ersten Adresse der internationalen Grundlagenforschung in Physik wurde

Nieselregen geht über der Stadt nieder, und ein böiger Wind fegt durch die Straßen. Doch das trübe Novemberwetter mindert nicht die Begeisterung der Gäste, die zur Einweihung des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy) in Bahrenfeld gekommen sind. „Der 12. November 1964 ist nicht nur für Hamburg ein Tag des Stolzes auf eine gigantische Leistung. Er ist auch der Tag, an dem die deutsche Forschung den Anschluß an das Ausland wiedergefunden hat.“

So beginnt der Bericht des Hamburger Abendblatts vor 50 Jahren. Die Gäste aus Politik und Wissenschaft sitzen auf Klappstühlen in der nüchternen Experimentierhalle, unter ihnen Otto Hahn, der für seine Entdeckung der Kernspaltung 1944 der Nobelpreis erhalten hatte.

Um 11.15 Uhr drückt Bundesforschungsminister Hans Lenz auf einen Knopf, und mit einem sanften Brummen nimmt das Deutsche Elektronen-Synchrotron, dem das Forschungszentrum seinen Namen verdankt, nach gut fünf Jahren Bauzeit seine Arbeit auf. „Das Forschen mit diesen Maschinen ist ein großes Abenteuer. Soll es uns doch die innerste Struktur jener Bausteine enthüllen, aus denen wir selbst alle bestehen. Nicht die Erforschung eines Teilgebietes der Physik ist das Ziel, sondern die Erforschung des Aufbaus der Welt im Ganzen“, so beschrieb der Gründungsvater des Desy, Willibald Jentschke, das ambitionierte Ziel des 110-Millionen-Mark-Unternehmens.

Die Forscher nutzten superschnelle Elektronen, um feinste Strukturen der Materie zu sondieren, die kleiner waren als Atomkerne. In dem „Riesenkarussell für Elektronen“, wie Desy scherzhaft genannt wurde, wurden die Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. In dem Ringtunnel von 100 Metern Durchmesser hielten 48 große Magnete, jeder 20 Tonnen schwer, die Elektronen auf Kurs. Diese Magnete hatten eine so komplizierte Form, dass für ihre Konstruktion erstmals ein Computer benötigt wurde.

Die Inbetriebnahme des Beschleunigers im Jahr 1964 war nervenaufreibend, erinnert sich Erich Lohrmann. Der spätere Forschungsdirektor des Desy war nach eigenem Bekunden damals nur ein kleiner Postdoc. „Wir konnten die Maschine starten, aber wir verloren immer wieder den Elektronenstrahl. Er verschwand einfach.“ Entnervt machte sich Maschinenexperte Hans-Otto Wüster mit einem Geigerzähler auf den Weg durch den etwa vier Meter hohen und acht Meter breiten Beschleunigertunnel, um das Leck zu suchen. Er fand es im Beschleunigerring. Die Reparatur dauert mehr als zwei Wochen. Es war nicht die einzige unkonventionelle Maßnahme, um diese Maschine zu bauen und zum Laufen zu bringen. Vom folgenden Jahr an veröffentlichte Desy international beachtete Erkenntnisse über die kleinsten Bausteine der Materie und die fundamentalen Kräfte, die die Welt im Innersten zusammenhalten. Manche fanden schnell den Weg in die Presse. „Sensation in Hamburg: Anti-Teilchen aus Licht“, schrieb die „Bild“ 1965 und warnte, „Anti-Teilchen können die Erde zertrümmern“. Das war natürlich Unsinn, vielmehr war den Forschern ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer „Weltformel“ gelungen.

„Schlagartig national wie international bekannt wurde das Desy ein Jahr später, 1966“, erinnert sich Lohrmann, der mit 83 Jahren noch täglich in sein Büro geht. „Desy rettet eine Theorie“, schrieb beispielsweise die „Zeit“. Zuvor hatten Experimente amerikanischer Kollegen eine der grundlegenden physikalischen Theorien, die Quantentheorie der Elektrodynamik, heftig ins Wanken gebracht. „Wir waren die Einzigen, die mit unserer Maschine überprüfen konnten, ob ihre Ergebnisse stimmten“, sagt Lohrmann. Doch niemand vom Desy wollte dieses Prüf-Experiment durchführen. Da bot sich Samuel Chao Chung Ting von der Columbia University an, und er wurde mit offenen Armen begrüßt. „Er war so penibel, dass er alles, aber auch alles selber machte. Er wohnte sozusagen in dem Experiment.“ Am 14. Oktober 1966 erbrachte der spätere Nobelpreisträger Ting der Beweis, dass die Theorie doch stimmt.

Spätestens damit war Desy auch für die Forscher aus aller Welt eine Eins-a-Adresse. Auf dem Grundstück des neuen Leuchtturms der Physik entstand ein Gästehaus, das die Teilchenphysiker „Wohnotron“ tauften. Bis heute gibt es auf dem Desy-Gelände Gästehäuser für die zahlreichen internationalen Wissenschaftler. Und bis heute bringen Desy-Maschinen Licht in das Dunkel des Mikrokosmos und des Makrokosmos.

Das Licht der Zukunft, der Europäische Röntgenlaser XFEL, wird 2017 in Betrieb gehen, mit seinem kleineren Bruder, Flash genannt, forschen die Wissenschaftler schon. Die Keimzelle für diese beiden Hochleistungsmikroskope ist das Desy. Von Beginn an experimentierten die Forscher dort auch mit der „Abfallstrahlung“, der Synchrotronstrahlung, die beim Beschleunigen von Elektronen entsteht. „Damit haben wir den Weg in eine neue Physik geöffnet“, sagt Erich Lohrmann. Bis heute dienen die Strahlungsquellen des Desy vor allem der Grundlagenforschung. Das Abendblatt betonte in seinem Artikel damals: „Die Forschung von heute ist die Wirtschaft von morgen.“