Inge Volk, Vorsitzende der Jury für den Rolf-Mares-Preis, hatte immer eine Mission: der Kunst und vorallem dem Theater mehr Geltung zu verschaffen. Ein Porträt über die Kultur-Kämpferin.

Vielleicht war es bei Inge Volk, 67, ja auch jedes Mal genau so. Sie hat sich an ihren Schreibtisch gesetzt und dann mühsam nach den richtigen Worten gesucht. Nach dem treffenden Einstieg in einen längeren Text, um den Leser bloß nicht gleich wieder zu verlieren. Sie hat die ersten Sätze hin und her gedreht, wieder verworfen, umgestellt, mit anderen Worten versehen. Schöneren. Sie ist aufgestanden, im Büro auf und ab gelaufen und hat sich dann wieder hingesetzt. Wieder den Einstieg verändert. Und weitergekämpft.

Auf jeden Fall kennt Inge Volk diese Situationen nur allzu gut. Sie hat ihren Berufswunsch Journalistin schließlich in die Tat umgesetzt. Sie hat beim NDR Fernsehen begonnen (1973), war Chefredakteurin des Stadtmagazins „Via Hamburg“ (1976) und Kulturredakteurin bei der „Hamburger Morgenpost“ (1987). Nach dem Abitur in Braunschweig hatte Inge Volk Germanistik, Literatur und Theaterwissenschaften in Hamburg studiert. „Und zwar auch deshalb, weil ich in jugendlicher Vermessenheit immer Feuilleton-Chefin der ,Zeit‘ werden wollte“, sagt sie. Und lacht laut. „Dabei war ich Galaxien davon entfernt.“ Promoviert hat sie in Linguistik mit einer Arbeit über die Sprach-Analyse von Rundfunk-Interviews.

Inge Volk sagt, dass sie viel zu lange in ihrem Leben geträumt habe, wirklich gut schreiben zu können. Und dass sie viel eher hätte erkennen sollen, wie sehr ihr das Organisatorische und die Arbeit mit den Menschen liegt. Anstatt sich mit langen Texten rumzuquälen. Und mit fesselnden Einstiegen.

Dabei kann sie natürlich schreiben. Schließlich hat sie als Ghostwriterin die Memoiren von Ida Ehre, Inge Meysel und Gerda Gmelin verfasst. Das sei ja nun nicht so schwer, wiegelt sie ab. Im Grunde müsse man nur die Bänder mit den Interviews abschreiben, die man mit den Personen geführt hat. „Und ein bisschen Struktur und Logik in das Gesagte bringen.“ Aber das Eintauchen in andere Leben, das habe ihr immer gut gefallen.

Richtig ist auf jeden Fall, dass es Inge Volk nie sehr lange an einer Arbeitsstelle mit ein und derselben Tätigkeit ausgehalten hat. „Nach zwei, drei Jahren hat mich immer alles irgendwie gelangweilt.“ Pressesprecherin der Kulturbehörde unter drei Senatoren, Presse-Dramaturgin am Thalia Theater und an den Hamburger Kammerspielen, Geschäftsführerin der Konzertdirektion Hannover, eine Buchhandlung in Lütjenburg. Das ist nur eine kleine Auswahl ihrer Jobs, die sie wechselt wie Theater das Bühnenbild.

Sie hat mit ihrer Partnerin Helga Schuchardt, Ex-Senatorin in Hamburg und später Ministerin in Niedersachsen, mit der sie seit mehr als 25 Jahren zusammenlebt, das Cultur Consortium gegründet und ab 1990 ein Vierteljahrhundert lang das Theatertreffen Deutschsprachiger Schauspielstudierender organisiert.

Inge Volk hat auch mal am Eppendorfer Baum Blumen verkauft. Als sie 16 Jahre alt war, ist ihre Mutter gestorben. „Da war die Ordnung in meinem Leben dahin.“ Ihr Vater hat wieder geheiratet, sei aber von da an keine Autorität mehr für sie gewesen, sagt sie. Mit 20 ist sie zu Hause in Braunschweig ausgezogen. „Und dann auch noch nach Hamburg ins Sündenbabel.“ Sie hat ein kleines Zimmer mit Kohleofen bei einem Rentnerehepaar im damals noch schmuddeligen Schanzenviertel am Schulterblatt bezogen. Und hat, um sich das Geld für das Studium zu verdienen, den Job im Blumenladen angenommen.

Mit Pflanzen kannte sie sich schließlich aus. Schon ihre Urgroßeltern, Großeltern und dann ihre Eltern betrieben eine Gärtnerei in Braunschweig. Ihr älterer Bruder hat den Betrieb übernommen, der jetzt in fünfter Generation von ihrer Nichte geführt wird. Für sie selbst kam das nicht infrage. „Na ja, da muss man ganz schön ackern“, sagt sie. Zweimal im Jahr hilft sie aus, jeweils drei Wochen in der Advents- und in der Pflanzzeit. „Da bleibt man beim Endverbraucher – nicht immer erfreulich.“ Aber sie hat an ihrem schönen Reetdachhaus bei Itzehoe direkt hinterm Deich einen großen Bauerngarten mit Rosen und Lavendel, Flieder und Hortensien, verschiedenen Obstbäumen und ganz viel Gemüse. „Ich brauche die Erde unter meinen Fingern.“

Und sie hat später die Kunst in die Gärtnerei Volk gebracht. Veranstaltet dort seit mehr als 16 Jahren regelmäßig „Kunst in Grün“, eine Theater- und Lesungsreihe. Dann wird das Gewächshaus ausgeräumt und Platz für 120 Besucher geschaffen. Ilja Richter war schon da, Nina Petri, Eva-Maria Hagen, und in Kürze kommt Carolin Fortenbacher.

Eines ist ihr besonders wichtig, und ein bisschen ist es wohl auch so, dass sie hauptsächlich deshalb eingewilligt hat, über ihr Leben zu erzählen, damit sie über „Licht im Schatten“ sprechen kann: einen Verein, 16 Hamburger Frauen, gegründet 1992, um genau das zu ändern – jungen Menschen Licht, also Zuversicht, zu geben, damit sie es aus dem Dunkeln herausschaffen. „Wir engagieren uns für suchtkranke Jugendliche“, sagt Inge Volk, die seit 1997 dabei ist. Für die Jugendlichen, die in der Fachklinik Come In! therapeutisch betreut werden, sind sie nur „die Damen“.

Die Damen kümmern sich um Fahrräder, Computer oder Sportgeräte für die Jugendlichen, von denen die jüngsten 14 Jahre alt sind. Sie sammeln Geld für Musikinstrumente und für einen Profi-Kickertisch. Sie organisieren die Weihnachtsfeier, bei der viele von den jungen Menschen dann erstmals in ihrem Leben auch ein Geschenk bekommen. Sie gehen ins Theater oder finanzieren eine Theaterpädagogin, um mit den Jugendlichen kleine Stücke aufzuführen. Sie helfen bei der Suche nach Praktikums- und Lehrstellen und haben in der Einrichtung in Moorfleet eine Sporthalle, eine Werkstatt und eine Bibliothek finanziert. Rund 600.000 Euro haben die Damen bisher an Spendengeld gesammelt.

Und sie investieren ihre Zeit, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Oft werden sie gefragt, warum sie das machen, sagt Inge Volk. Die Antwort ist einfach: „Weil wir alle so unendlich viel Glück in unserem Leben haben.“

Sie spricht von der Insel der Glückseligen, auf der sie sich schon seit Langem befindet. „Wir können so unendlich dankbar sein.“

Ihre Wertigkeiten haben sich vor 18 Jahren verschoben. Als sie einen Darmdurchbruch erlitt, der nicht erkannt wurde, und sie sich in einer der Nächte auf der Intensivstation dem Tod sehr nahe fühlte. Sie weiß noch, wie sie im Krankenhausbett lag und dachte: „Wenn du heute stirbst, wäre das okay.“ Inge sei dem Deibel damals buchstäblich von der Schippe gehupft, hat Helga Schuchardt gesagt. Eine Woche Intensivstation, langsames Wieder-auf-die Beine-Kommen. Und dann war sie da, ihre Familie. Schwägerin, Schwester und Cousine, die sich alle um sie gekümmert haben. Und die Freunde, auf die sie immer setzen konnte.

Manche nennen Inge Volk die Jeanne d’Arc der Hamburger Kultur. „Na ja“, sagt sie und lächelt. Aber ganz falsch ist das sicherlich nicht. Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit der Kultur in dieser Stadt.

Vor sechs Jahren gehörte sie zu dem dreiköpfigen Gremium, das im Auftrag der Kulturbehörde ein Gutachten zur Evaluation der Hamburger Privattheater erarbeitet hat. Das Resultat war eine Ausweitung der geförderten Theater von acht auf 22 Bühnen und die Aufstockung des Jahres-Etats um zwei auf 7,7 Millionen Euro.

Inge Volk ist Jurymitglied für den Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung. Und seit 2006 Vorsitzende der Jury für den Rolf-Mares-Preis. Die sieben Mitglieder müssen 42 Spielstätten beurteilen. „Zwei- bis dreimal pro Woche bin ich im Theater.“ Sie kommt auf rund 100 Vorstellungen im Jahr. Was sie ärgert? „Dass das Abendblatt die Preisträger nicht groß genug würdigt...“

Sie nimmt bei ihrem Kampf für die Kultur aber vor allem die Politik in die Pflicht. „Es muss doch in die Köppe reingehen, dass Kultur so viel mehr ist als ein Sahnehäubchen.“ Kultur sei die Grundlage des Lebens und somit auch verantwortlich für die Atmosphäre einer Stadt und für den Umgang der Menschen miteinander. „Kultur erweitert das Denken, regt zum Nachdenken an, macht Freude und verbindet die Menschen.“ Das sei wie mit der Freiheit. Man bemerkt sie erst, wenn sie einmal nicht mehr da ist.

„Ich habe ja nur Kultur gelernt – was anderes kann ich nicht“, sagt sie zum Schluss. Das wäre wohl die Überschrift über ihr Leben. Oder zumindest der passende Einstieg in den Text.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Inge Volk bekam den Faden von Christian Seeler und gibt ihn an Claus Heinemann weiter