Fußball und Theater sind sich wohl am nächsten, wo es um Emotionen geht, und am fernsten, was das Geld betrifft. Thalia-Intendant Joachim Lux und HSV-Trainer Mirko Slomka im Gespräch.

Feine Holzspäne liegen in der Luft, als Mirko Slomka und Joachim Lux die Bühne des Thalia Theaters betreten. Wenige Wochen vor dem Spielzeitbeginn wird der Boden erneuert. Die Arbeiter schnappen sich sofort den HSV-Trainer für ein Gruppen-Selfie, danach senkt sich der Eiserne Vorhang für die Fotoaufnahmen. Die beiden Männer, die sich das erste Mal begegnen, sind sofort vom schon etwas antiquierten Tipp-Kick-Spiel auf dem Tisch gefangen und jubeln, als die ersten Tore gelingen.

Durch das Gängelabyrinth geht es wenig später zum Fahrstuhl, von dort ins Büro des Intendanten. Zur gleichen Zeit läuft das Supercup-Spiel der Bayern gegen Dortmund, doch diese 90 Minuten Schlagabtausch zwischen dem Theatermacher und dem Fußballlehrer sind nicht minder spannend.

Hamburger Abendblatt: Herr Lux, wie halten Sie’s mit dem Fußball? Haben Sie die HSV-Raute ins Herz tätowiert? Oder gar keinen Verein?

Joachim Lux: Als Kind bin ich mit meinen Freunden bei den Spielen von Preußen Münster gewesen, um zwischen den bierbäuchigen Männern die Bierflaschen zu sammeln, die waren damals noch erlaubt. Und das Spiel war dann erfolgreich, wenn wir 20 Mark zusammenhatten. 1970 habe ich mir am elterlichen Kronleuchter den Kopf blutig gehauen, als ich wegen des 1:1 von Schnellinger in Mexiko gegen Italien (1:1, 90. Minute im Viertelfinale, Endstand 3:4, d. Red.) in die Luft gesprungen bin. Jetzt, das gebe ich zu, reduziert es sich auf EM, WM und besondere Spiele irgendwelcher Art. Ich war sogar etwas weggerückt vom Fußball. Was mich aber neuerdings wieder glücklich macht, ist, mit meinem 13-jährigen Sohn ins Stadion zu gehen und dessen Augen zu sehen. Großartig. Dank ihm fand ich einen Rückweg.

Und wann war Ihr letzter Stadionbesuch?

Lux: Beim HSV vor etwa anderthalb Jahren. Gegen Borussia Dortmund, glaube ich. Sie haben verloren. Sie waren auch nicht wirklich gut ... Aber das ändert sich ja jetzt.

Wie sieht denn Ihre Theaterbiografie aus, Herr Slomka?

Mirko Slomka: Grundsätzlich würde ich sehr gerne häufiger ins Theater gehen, aber meine Zeit ist extrem begrenzt. Und wenn ich mal Zeit habe, verbringe ich die natürlich bevorzugt mit der Familie. Meine Kinder sind neun und 16 Jahre alt. Meinen Sohn könnte ich selten ins Theater schleppen und meine Tochter schon gar nicht, sie zieht es zu Live-Konzerten. Früher war ich regelmäßiger im Theater, unter anderem in Berlin. Ich bin eher jemand, der sich für Kleinkunst interessiert – so etwas wie das Kleine Fest in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, das kennen Sie vielleicht.

Erinnern Sie sich noch an das letzte Stück?

Slomka: Ein „Sommernachtstraum“-Musical, mit Heinz Rudolf Kunze als musikalischem Leiter. Aber wenn’s hier wieder losgeht am Thalia, wäre ich gerne dabei.

Lux: Sie sind herzlich eingeladen. Mit Ihrer Tochter!

Slomka: Vielleicht können Sie sie ja umpolen.

Lux: Ihre Mannschaft ist auch eingeladen. Wir können uns ja überlegen, welches Stück sinnvoll wäre.

Slomka: Das machen wir!

Jetzt sitzen wir hier mit einem Trainer und einem Intendanten. Inwieweit kann man überhaupt Fußball und Theater miteinander vergleichen?

Slomka: Fußball ist ja auch Kultur. Wir sorgen für Spannung, für Begegnungen, bringen Menschen zusammen. Das ist im Theater ja ganz ähnlich. Vielleicht kann man sagen, dass es beim Theater auf der Bühne etwas mehr um Kunst geht. Fußball ist mehr harte Arbeit, bei uns wird mehr körperliche Substanz eingefordert. Es gibt auch gewisse Ähnlichkeiten bei der Führung einer solchen Gruppe, wobei die Arbeit von Herrn Lux wohl eher mit der von Dietmar Beiersdorfer beim HSV verglichen werden kann.

Lux: Was die grundsätzliche Vergleichbarkeit angeht: Der Urpunkt ist, was man im alten Griechenland Katharsis genannt hat. Irgendwelche Leute agieren Hass oder Liebe oder was auch immer auf einer Bühne – oder im Fußballstadion – aus, stellvertretend für uns Zuschauer. Damit entlasten sie mich davon, selbst diese Gefühle ausleben zu müssen. Diese Möglichkeit der Reinigung von Leidenschaften ist die Funktion, die das Theater bekommen hat. Und das ist im Fußball ja, wenn es gut geht und wir die Hooligans mal abziehen, ganz ähnlich. Dass man 90 Minuten lang so tut, als ob es um alles geht. Man kann sich freuen, hassen, brüllen, schreien. Das ist bei uns im Theater nur nicht ganz so laut.

Und Schauspieler gibt’s bekanntlich auf beiden Seiten.

Lux: Ich finde sogar, dass Schauspielerei und Fußball immer mehr zusammenrücken. Bei der WM in Brasilien ist mir aufgefallen, dass sich Rollen herausgebildet haben. Manuel Neuer – der antike Held, der Michelangelo-Typus. Schweinsteiger – der Schmerzensmann. Mehmet Scholl als Kommentator – eine Art Odysseus. Das sind tolle Rollentypologien. Hinzu kommt, dass tatsächlich auch die Schauspielerei immer mehr Einzug in den Fußball hält. Die Kunst, ein Foul herbeizuführen, und die Schauspielerei, es möglichst zu verdecken. Da hat die Geschicklichkeit schon zugenommen.

Slomka: Wobei es im Fußball immer schwieriger wird, diese Schauspielkunst zu vertuschen. Aber wenn Sie von Figuren sprechen: Diese Figuren werden tatsächlich gebraucht, auch deswegen, weil es die ganz starken Individualisten, die Alphatiere alter Schule – einen Maradona, Beckenbauer, Platini oder Pelé –, so nicht mehr gibt auf dem Platz. Es ist jetzt die gelungene Zusammenarbeit eines Kollektivs. Auch wenn es immer noch den Spieler des Jahres gibt.

Lux: Ob im Fußball oder am Theater: Das Beste ist doch, Alphatiere herauszubilden, die trotzdem Teamplayer sein können. Die Qualität, die uns hier am Haus besonders zugeschrieben wird, ist, dass wir ein herausragendes Ensemble haben. Und das kriegt man nicht mit mittelmäßigen Schauspielern hin. Alleine sehr gut zu sein reicht aber nicht. Sie müssen im Gefüge der Mannschaft funktionieren.

Ist genau das die große Herausforderung?

Lux: Nicht nur die Mannschaft will siegen, jeder will ja der Beste sein. Wie kann ich aber der Beste sein, wenn gleichzeitig gefordert wird, mich ins Team einzuordnen? Das ist die hohe Kunst.

Slomka: Absolut richtig. Haben Sie denn in Ihrem Team so etwas wie einen Kapitän, eine rechte Hand, einen wie bei mir Rafael van der Vaart?

Lux: Jein. Es gibt schon leading characters im Ensemble, aber deswegen sind die trotzdem nicht die Maradonas, die ungebremst von hinten nach vorn durchdribbeln, sondern Teamplayer. Mehrere.

In der Thalia-Theaterkantine käme es aber nicht gut an, wenn Sie einem Ensemble-Promi wie Jens Harzer für seine Rolle in Tschechows „Möwe“ eine Kapitänsbinde anlegen würden.

Lux: Das stimmt, es käme aber nicht nur da nicht gut an. Auch Jens Harzer selbst würde sagen: Ich will überhaupt keine Kapitänsbinde haben, sondern fürs Ganze arbeiten. Aber trotzdem wollen Schauspieler natürlich auch als Egos vorkommen.

Slomka: Alles total spannend. Es gibt aber meiner Meinung nach einen entscheidenden Unterschied zwischen Fußball spielen und Theater spielen: Beides macht irre viel Spaß, für alle Beteiligten. Und für alle gilt: Das Spiel ist toll, Siegen ist das Wundervollste, was es gibt. Allerdings: Wo ist beim Theater die Belohnung für das Ensemble?

Lux: Drei Tabellenpunkte gibt’s im Theater nach einer tollen Vorstellung nicht. Und eine ökonomische Prämie natürlich auch nicht. Die Belohnung sind der Applaus und der künstlerische Erfolg. Wobei die Zusammenhänge hier kompliziert sind.

Ein Sieg im Theater ist relativ?

Lux: Eine Aufführung kann ein Riesenerfolg sein, alle Kritiker jubeln, und trotzdem sitzt der Schauspieler hinterher unglücklich in seiner Garderobe, weil er für sich den künstlerischen Ausdruck, den er gesucht hat, an diesem Abend nicht gefunden hat. Und dann ist es für ihn fast schon eine Beleidigung, dass es niemand außer ihm gemerkt hat.

Slomka: Mindestens Sie müssten es merken. Würden Sie es denn auch sagen?

Lux: Ja klar. Wir lügen auch, bei einer Premiere ist alles toll (lacht). A la longue geht’s aber um die Wahrheit.

Slomka: Das wäre ja so, wenn wir 3:0 gewinnen und ich Rafael van der Vaart sage: Das war ja unterirdisch, was du gespielt hast.

Lux: So etwas würde ich nicht direkt nach der Aufführung sagen, wenn der Schweiß noch da ist, aber mit ein paar Tagen Abstand schon ...

Slomka: ... dafür haben wir die Videositzungen.

Lux: Bei uns werden nur gelegentlich Proben per Video ausgewertet, nicht Vorstellungen.

Uns fällt ein weiterer wichtiger Unterschied ein: Bei „Romeo und Julia“ weiß man schon vor Beginn, dass es kurz vor dem Abpfiff für die beiden ziemlich schlimm enden wird. Fußballspiele sind grundsätzlich erst einmal offen.

Lux: Es macht Riesenspaß, Fußball und Theater zu vergleichen. Aber es ist überhaupt nicht das Gleiche. Anämische Intellektuelle sagen ja gern, Theater müsse wie Fußball sein. Der Traum ist, dass es auf der Bühne so real zugeht wie auf dem Platz. Man soll also alle Verabredungen auf der Bühne vergessen machen, um total real zu wirken. Ein Amerikaner hat übrigens die Improvisationsgattung „Theatersport“ erfunden, wie Wrestling, halb geübt, halb improvisiert, mit den Mitteln des Theaters. Schon Brecht war übrigens ein unglaublicher Boxfan.

Und dann entscheiden die Zuschauer, wie es weitergeht?

Lux: Auch das ist möglich.

Wie wichtig ist die Beurteilung Ihrer Arbeit und ihrer Ensembles durch die Medien?

Lux: Wenn sie über lange Zeit sehr negativ ist, kann man sich nicht davon frei machen, das kratzt am Selbstbewusstsein. Dieses Schicksal ist uns hier in Hamburg weitgehend erspart geblieben. Aber schlechte Kritiken sind auch ein zusätzliche Korrektiv fürs eigene Denken. Wenn ein Kritiker Beobachtungen notiert, die uns entgangen waren, wächst unser Respekt vor ihm. Aber das passiert ehrlich gesagt nicht so super häufig ...

Wie ist das bei Ihnen, Herr Slomka? Lesen die Fußballer überhaupt die Haltungsnoten, die nach Spielende für jeden verteilt werden?

Slomka: Das Ergebnis an sich stellt ja schon eine gewisse Note dar. Ich bin sicher, dass sie in erster Linie auf meine Bewertung des Spiels Wert legen. Ich bin der wichtigste Spiegel für die Mannschaft, weil wir gewisse Vorgaben verabredet haben. Weil es für uns entscheidend ist, mit welchem Selbstvertrauen ein Spieler beim nächsten Spiel auf den Platz geht, können sich schlechte Noten allerdings manchmal störend auswirken, weil wir ihn beispielsweise gerade bewusst aufbauen wollen und wir wieder eine Hürde überwinden müssen. Das ist dann ärgerlich.

Lux: Es geht vor allem darum, ein gesundes Verhältnis zu den Medien zu bewahren. Man darf sich als Persönlichkeit nicht davon abhängig machen. Einmal haben wir im übertragenen Sinne vielleicht gewonnen und dann das nächste Mal verloren. Beides darf aber keine übermäßige Bedeutung bekommen. Wichtig ist für die Akteure, wie die innere Entwicklung verläuft. Das klingt möglicherweise kitschig, aber: Man muss bei sich bleiben.

Slomka: Korrekt. Man muss seine Stärke von innen heraus entwickeln. Im vergangenen halben Jahr war das natürlich etwas schwieriger, weil wir gehofft haben, dass die Stärke durch die Fans in die Mannschaft zurückkehrt. Jetzt haben wir die Chance, das umzudrehen. Das ist hier ja vielleicht auch ganz ähnlich: Läuft es auf der Bühne, springt der Funke über. Wie war denn Ihre letzte Spielzeit, Herr Lux? Wahrscheinlich etwas erfolgreicher als unsere ...

Lux: Unsere Spielzeit war wirklich erfolgreich, wobei, das ist wohl so schrecklich wie bei Ihnen. Die vorletzte Spielzeit war die erfolgreichste seit wahrscheinlich 35 Jahren. Da habe ich gedacht: Wie grauenhaft, das kann ich ja nie wieder toppen. Und jetzt ist diese Saison fast genauso erfolgreich.

Slomka: Liest man das an Abonnentenzahlen ab?

Lux: Auch, wobei die Dauerkarte seit Jahren eher rückläufig ist, was wir durch Spontanbesuche wettmachen müssen. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen auch so ist.

Slomka: Zum Glück sind unsere Zahlen bei den Dauerkarten stabil.

Herr Lux, finden Sie als Nicht-Fußballer, dass mitunter etwas zu viel Theater um Fußball gemacht wird?

Lux: Die Medien spiegeln ja auch nur den Markt, und das bedeutet in diesem Fall: die Nachfrage durch die Bevölkerung. Das finde ich völlig in Ordnung, damit habe ich kein Problem.

Auch nicht mit der ökonomischen Komponente, mit dem vielen Geld, das verdient und bezahlt wird?

Lux: Das ist etwas anderes. Was der HSV nur durch das private Sponsoring eines besonders großzügigen Hamburgers erhält, das haben wir fürs ganze Jahr, für den gesamten Betrieb. Das ist natürlich schon der Hammer. Aber im Prinzip bin ich frei von Neid. Mir ist das alles egal, die können so viel verdienen und ausgeben, wie sie wollen. Ich habe allerdings auch gehört, dass die Fußball-WM 2006 in Deutschland letztlich vom Steuerzahler finanziert wurde. Und beim Theater sagt man immer: Warum werden staatliche Gelder dafür ausgeben, warum trägt sich das nicht allein?

Würden Sie sich denn einen so großen Fan und Investor wie den Logistik-Milliardär Kühne fürs Thalia wünschen?

Lux: Ja klar, selbstverständlich. Wir haben immer wieder Finanzierungsschwierigkeiten nicht geringer Art. Natürlich würden wir uns wünschen, dass privates Engagement für die Kultur der Stadt öfter greift als bisher.

Herr Slomka, Sie sind ja selbst Profiteur des Systems, aber denken Sie selbst manchmal: Ist noch gesund, was da im Fußball passiert?

Slomka: Das öffentliche Interesse ist schon irre hoch, zuletzt auch bei der WM. Beim Theater ist das möglicherweise nicht ganz so, weil es nicht so viele Menschen interessiert und nicht jeder mitreden kann. Fußball ist quasi ...

Lux: ... Massensport.

Slomka: Genau, auch Begeisterung, vielmehr noch dieses Thema Brot und Spiele. Ich kann mich mitfreuen, leiden, ganz anders verhalten als an meinem Arbeitsplatz.

Ist das unterschiedliche Interesse auch eine Frage einer Schwellenangst? Dabei verstehe ich als Fußball-Neuling ein 7:1 gegen Brasilien doch genauso direkt wie die tragischen Tode von Romeo und Julia bei Shakespeare, obwohl ich vielleicht noch nie zuvor in einer Theatervorstellung war.

Slomka: Aber ist es nicht auch die große Kunst, ein bekanntes Theaterstück immer wieder neu für sich zu entdecken und neu zu inszenieren? Ich habe mal gelesen, dass Herr Lux seine Arbeit mit der eines Kochs verglichen hat. Im Fußball gilt das gleichermaßen. Ich kann den Sport nicht neu erfinden, es gibt nur Rezepte, die überwiegend funktionieren. Aber das Salz in der Suppe ist etwas, das ich selbst entwickle. Diese Nuancen sind das eigentlich Spannende: bei uns die taktischen Inszenierungen auf dem Platz, dort die Inszenierungen auf der Bühne.

Lux: Der große Reiz entsteht im Leben, im Theater, im Fußball aber erst durch die Rollenübertretung. Das erklärt auch die Begeisterung für Manuel Neuer. Dass dieser Torwart sagt, ich bin zwar nur Torwart, wie im Barocktheater der Bischof nur Bischof ist oder der Bürgermeister nur Bürgermeister oder der Kaufmann nur Kaufmann, aber ich übertrete das jetzt und bin eigentlich auch Libero der Abwehr. Da fängt der wahre Kitzel an. Und das ist im Theater genauso: Wenn wir hier unsere Rollen übertreten im Verhältnis zum Publikum, sind die Zuschauer besonders interessiert.

Das Publikumsinteresse kann auch durch Rivalitäten befeuert werden, und zwar im Fußball und im Theater. Ein ordentlicher FC-St.-Pauli-Fan würde sich lieber einen Fuß abhacken, bevor er damit die Imtech Arena betritt. Bei den Konkurrenten Thalia und Schauspielhaus ist es nicht ganz so drastisch, aber dennoch: Wie gehen Sie damit um, dass Sie jeweils einen so deutlichen Widersacher in der Stadt haben?

Lux: Es gibt immer den Wettkampf, wer besser ist, erfolgreicher, mehr und besser in den Medien vorkommt. Früher galt das Thalia meist als unterhaltender und gesetzter, das Schauspielhaus als avantgardistischer. Aber auch das stimmt heute so nicht mehr.

Das Thalia ist also wie der HSV und St. Pauli wie das Schauspielhaus?

Lux: So würde ich das nicht analogisieren.

Slomka: Wahrscheinlich sind die Häuser so grundverschieden in der Führung wie HSV und St. Pauli. Unabhängig davon, was besser oder schlechter ist, das ist ja nicht messbar.

Lux: Genau. Da gibt es viele Unterschiede: Das Schauspielhaus hat mehr Geld, das Thalia mehr Zuschauer. Das Schauspielhaus hat viele Intendantenwechsel, so wie der HSV mit seinen permanenten Trainerwechseln.

Slomka: Die gibt’s bei St. Pauli auch ...

Lux: Ich bin beim Thalia seit dem Zweiten Weltkrieg vielleicht der siebte, achte Intendant, beim Schauspielhaus sind’s gefühlt über 20.

Slomka: Vielleicht darf ich kurz anmerken, wie begeistert ich war, als uns in der ganz kritischen Phase der vergangenen Saison auch etliche St.-Pauli-Fans unterstützt haben und sagten: Wir haben es zwar nicht geschafft, aufzusteigen, aber der HSV muss drinbleiben. Die Stadt braucht einen Erstligisten. Die Grundrivalität besteht natürlich, aber am Ende hält man doch in der Stadt zusammen.

Lux: Eben! Letztlich siegt das gemeinsame Interesse an Fußball beziehungsweise Theater. Hamburgs Kulturbürger wünschen beiden Theatern das Beste. Und die Schauspieler beider Häuser gehen auch zusammen in die Kneipe ...

Ist das Thalia auch deutschlandweit Erste Liga?

Lux: Ja, es entspricht einem Europa-League-Platz. Das ist seit Jahrzehnten so, auch unabhängig von den jeweiligen Intendanten.

Im Fußball gibt es letztlich nur Gewinner oder Verlierer, Schwarz und Weiß. Ärgert Sie das?

Slomka: Für mich gehört das dazu, das ist Teil des Spiels. Bei uns ist es ganz schlicht, ganz anders als im Theater. Es reicht im Theater nicht, nur im letzten Akt gut zu sein.

Lux: Bei uns wird aber auch oft erst im fünften Akt das Tor geschossen. Da heißt es dann: Wie konntet ihr den vierten Akt so vergeigen, wie furchtbar... Und dann kriegt das am Schluss so einen Sog, und die Schauspieler fliegen und ackern nicht nur ,und es ist ein riesiger Jubel. Wenn wir im dritten Akt super spielen und im letzten sozusagen vier Gegentore kriegen, dann war das am Ende ein Flop.

Wenn bei Ihnen eine Inszenierung schiefgegangen ist, haben Sie das Stück dennoch einige Male im Spielplan und müssen da wieder und wieder durch als Ensemble. Der HSV spielt seine krachenden Bundesliga-Niederlagen kein zweites bis achtes Mal wieder durch.

Slomka: Ich habe auch noch einen anderen Vorteil: Ich kann auswechseln. Das kann man bei Schauspielern nicht. Da gibt es ja wohl noch nicht mal eine Transferperiode.

Lux: Jedenfalls nicht so. Aber was das angeht: Ich überlege mir gemeinsam mit dem Regisseur, wie man das Ensemble für ein Projekt am besten komponiert. Dann arbeiten die Künstler zwei Monate daran. Herr Slomka macht zu Hause die gleiche Arbeit, überlegt Taktiken, Strategien, Personaltableaus. Aber dann wechselt der eine nach Marseille, der andere nach Amsterdam, und der dritte verletzt sich. Wo soll er dann noch hindenken?

Theater ist also planbarer?

Lux: Es wirkt auf mich so. Wir wollen zwar auch das Unplanbare planen, aber dann doch immerhin planen.

Haben Sie schon mal Ablöse für einen Schauspieler bezahlt, Herr Lux?

Lux: Nein.

Würden Sie?

Lux: Nein.

Aber Ihnen fehlt ja auch eh das nötige Geld für solche Aktionen.

Slomka: Wie bekommt man einen Schauspieler dann ans Haus? Gut zureden? Mit der Attraktivität der Stadt Hamburg locken?

Lux: Manchmal ist es eine Aufstiegschance, meistens aber geht es um künstlerisch-stimmige Konstellationen. Dass Schauspieler sagen: Dieses Team, mit dem will ich arbeiten, mit diesen Kollegen will ich auf der Bühne stehen. Daraus ernährt sich das. Der Rest ist Pflege, das ist dann mein Job, die Karrieren gleichmäßig und gerecht und sinnvoll zu fördern und da auch transparent zu sein. Da muss ich auch mal jemandem sagen: Du spielst im nächsten Stück eine kleine Rolle. Das ist dann aber keine Strafe, sondern hat mit der Arithmetik des Ensembles zu tun..

Slomka: Also ist es nicht so, dass Sie sich sagen: Mensch, da ist jemand beispielsweise in Hannover, den hätte ich gern für mein Ensemble?

Lux: Doch. Absolut. Das machen wir. In der übernächsten Spielzeit kommen beispielsweise mehrere Kollegen von den Münchner Kammerspielen fest und neu zu uns.

Slomka: Gibt es auch so etwas wie Talentförderung?

Lux: Leider nicht so, wie Sie das machen, mit eigener Jugendabteilung etc. Aber ich engagiere regelmäßig neue junge Schauspieler, die hier Entwicklungschancen bekommen. Wenn wir denen vertrauen und auch größere Rollen geben, wächst das Selbstvertrauen und damit auch die Qualität. Das ist wie bei Ihnen.

Wenn ein Regisseur oder ein Intendant von Haus A ans Haus B wechselt, nimmt er gern vertraute Gesichter mit. Das ist bei Ihnen im Fußball oft nicht so, da geht man gern dorthin, wo das Gehalt am höchsten ist. Treue ist da nicht so angesagt?

Slomka: Mit Geld hat das eigentlich gar nichts zu tun, wenn ich als Trainer mit meinem Team weiterarbeiten möchte. Bei mir es eher so: Ich arbeite beispielsweise gern mit einem Athletiktrainer, von dem ich weiß, dass er meine Philosophie teilt. Aber ich nehme ungern Spieler mit. Das würde heißen, ich hätte ein festgefahrenes Bild von einem guten Spieler. Doch ich möchte mich ja auch öffnen für neue, gute Spieler, für eine neue Systematik. Wenn ich ein Regisseur an einem Theater wäre, würde ich mir die Schauspieler dort ansehen, ob die richtig gut sind, und wenn das nicht passt, muss man vielleicht einen Wechsel anstreben.

Wir vermuten jetzt mal, dass Sie Herrn Lux darum beneiden, dass er einen mehrjährigen Vertrag für das Thalia hat und dieses Theater dann auch prägen kann ...

Slomka: Seit fünf Jahren, und Vertragsverlängerung bis 2019 – sensationell ..!

Herr Lux, stellen Sie sich mal vor, es wäre in Ihrer Branche wie bei Herrn Slomka. Es gäbe eine Intendantenrauswurfliste, und Sie ständen da auf Platz eins, obwohl das erste Stück der neuen Saison noch gar nicht gespielt ist. Ist das absurdes Theater?

Lux: Ich finde das unsinnig, ökonomisch und fachlich. Zum einen wird durch dieses permanente Auszahlen unfassbar viel Geld verbrannt. Zum anderen finde ich die Hysterie des Marktes katastrophal. Ich glaube an die Lust auf Neubegegnung, so wie Sie auch. Klar. Aber ich glaube vor allem an die gemeinsame Entwicklung von Menschen mit Menschen. Und dazu gehört auch, dass man gemeinsam durch Höhen und Tiefen geht. Daraus entsteht Qualität. Und das führt auch zu einer stärkeren Bindung mit dem Publikum, gibt dem HSV oder dem Thalia ein Gesicht. Das ist bei der Methode hire and fire unmöglich – da hat der HSV in der Vergangenheit übertrieben. Ich habe in den vergangenen fünf Jahren bei 100 Inszenierungen zweimal den „Trainer“, sprich den Regisseur gewechselt, öfter nicht.

Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Es ist ja menschenverachtend, wenn man darauf wetten kann, dass Sie Ihren Trainerjob verlieren.

Slomka: Einerseits ist es Teil des Geschäfts. Die Aussagen von Herrn Kühne und anderen haben dazu geführt, dass man mich auf diese Spitzenposition der zu entlassenden Trainer gesetzt hat. Aber für mich ist das eine weitere Motivation, meine Arbeit noch besser zu machen. Ich habe mit Hamburg viel vor. Was ich aus unserem Club heraus spüre, ist totales Vertrauen. Die Mannschaft steht zu mir und will diesen Weg mit mir gehen.

Würden Sie es gut finden, wenn Fußballer öfter ins Theater gingen? Wären gebildetere Menschen womöglich bessere Fußballer?

Slomka: Grundsätzlich kann man sagen, dass der Fußball komplexer geworden ist. Es gibt fließende Organisationsformen, offenere Spielsysteme und ein sehr dynamisches Spiel. Deswegen gehört auch eine gewisse Grundintelligenz dazu, um die Komplexität dieses Spiels zu verstehen und auszutragen. Aber dennoch: Alle können Fußball spielen. Ich würde mir wünschen, wenn die Spieler neben dem Sport noch etwas anderes sehen, ob das ein Studium ist, ein Theater- oder Opernbesuch: Wichtig ist, sich über den Tag nicht nur mit dem Fußball zu beschäftigen, außer natürlich rund um die Spiele.

Wie gefällt Ihnen das Ausmaß an Pathos, mit dem Fußball neuerdings inszeniert wird? Bei den letzten Spielen der WM wurden die Spieler von der Bildregie wie Gladiatoren ins Bild gesetzt, bevor das Spiel begann. Ist Ihnen das zu viel?

Lux: Nein, ich finde das klasse. Pathos muss erlaubt sein. Der Fußball hat eine andere Riesenschwäche – dass er meist komplett humorfrei ist im Gegensatz zum Theater. Aber für mich ist dieses Pathos natürlich auch Trash. Wenn die mit diesen großen Gesten durch die Gegend marschieren, werfe ich mich weg vor Vergnügen. Damit hab ich kein Problem. Studio Braun hat bei uns im Thalia mit „Fraktus“ eine Inszenierung gemacht, in der der Fahrradhelm als Symbol für die Mittelmäßigkeit unserer Gesellschaft vorkam, in der jedes Restrisiko ausgeschlossen wird. Da finde ich alle Dinge klasse, die Größe und Frechheit riskieren und Überraschungen bieten.

Slomka: Das fehlt dem Theater ein bisschen. Da passieren Dinge, die sind einfach ...

Lux: ... so zuverlässig.

Slomka: Deswegen ist Handball auch nicht so spannend wie Fußball. Beim Handball ist die Wahrscheinlichkeit viel größer als beim Fußball, dass ein Tor fällt, wenn jemand frei steht.

Ist im Fußball noch ein bisschen mehr Raum für Spaß, für Lustspiel?

Slomka: Ohne Freude an der Arbeit, ohne Begeisterung am Job oder ein Miteinander in der Kabine wird es nicht funktionieren. Beim Üben, Trainieren, unter der Dusche – da spiegelt sich das Leben wider. Ernst wird es, wenn es zur Sache geht.

Lux: Mir gefällt, dass das Fußballspiel trotz allem Geld immer noch vergleichsweise keusch und idealistisch ist. Man denkt ja gern, diese Jungs verdienen so unfassbar viele Millionen, dafür dürfen sie auch ruhig mal arbeiten …

Slomka: (lacht)

Lux: Aber in dem Moment, in dem sie den Ball bekommen und um das Tor kämpfen, machen sie es ja nicht wegen des Geldes. Dann sind sie unverdorben, einfach Jungs, die gewinnen wollen, und wenn sie keinen einzigen Euro dafür bekommen. Sie wollen den Ball trotzdem haben. Das gefällt mir..

Slomka: Jugendspiel.

Abschließend: Würden Sie gern mal die Rollen tauschen?

Lux: Ich glaube, das sollte man dem HSV ersparen. (lacht)

Slomka: Zu viel Theater ...