Der Regisseur, RTL-Mitbegründer und Sohn des „Lili Marleen“-Komponisten, brauchte sich nie um einen Job zu bewerben. Jan Haarmeyer über einen Tausendsassa, der sich alles zutraute – und meist gewann.

Als Norbert Schultze jr. 21 Jahre alt ist, weiß er auf einmal ganz genau, was er werden will: Regisseur. 50 Jahre später sitzt der Hamburger Regisseur im Café Funk-Eck an der Rothenbaumchaussee und erinnert sich amüsiert an seine plötzliche Erkenntnis aus dem Jahr 1963. „Wissen Sie“, sagt er, „damals wurde mir auf einmal schlagartig klar, dass es vier Gründe gibt, warum der Regisseur den tollsten Job im gesamten Filmgeschäft hat. Erstens: Er bekommt immer einen Kaffee. Zweitens: Er hat immer einen Stuhl und drittens immer einen Assistenten. Und viertens: Er kommt als Letzter zur Arbeit und darf als Erster wieder gehen.“

Die wegweisende Einsicht war ihm in London gekommen. Dort hatte Norbert Schultze jr. eine Ausbildung als Filmtechniker absolviert, als ihn der Schauspieler Ferdy Mayne fragte, ob er nicht zweiter Aufnahmeleiter für eine internationale Produktion werden wolle. „Sie kennen doch Ferdy Mayne“, sagt Norbert Schultze jr. „Na, den Graf von Krolock aus Roman Polanskis ,Tanz der Vampir‘’.“ Und die internationale Produktion? „Das war der erste James-Bond-Film: ,007 jagt Dr. No‘.“ Ein Teil der Dreharbeiten für den Film, mit dem Sean Connery und Ursula Andress ihren internationalen Durchbruch schafften, fand auf Jamaika statt. Und der junge Norbert Schultze inspizierte zuvor auf der Karibikinsel Drehorte, buchte Hotels und organisierte den Transport der Schauspieler.

Ein Gespräch mit Norbert Schultze jr. ist wie ein rasanter Ritt durch die Film- und Fernsehgeschichte des vergangenen halben Jahrhunderts.

Als junger Mann hat er einmal den berühmten Regisseur Helmut Käutner, einen Freund seines Vaters, gefragt, was man als Regisseur können muss. „Von allem ein bisschen, Norbert“, hat Käutner gesagt, „und nichts perfekt.“

Standfotos, Requisite, Organisation, Drehbuch, Dramaturgie, Kameraführung, Licht, Produktion – es gibt tausend Betätigungsfelder beim Film. „Wenn bei den Besprechungen in die Runde gefragt wurde, wer kann das jetzt mal machen“, sagt Norbert Schultze jr., „habe ich mich immer gemeldet.“ Er hat sich immer alles zugetraut. „Auch auf die Gefahr hin einzubrechen.“ Einmal hat er bei einer Filmproduktion in Freiburg abends um zehn Uhr innerhalb von zwei Stunden noch einen Hubschrauber samt Flug- und Landegenehmigung organisiert. Zum Erstaunen der gesamten Crew.

Müsste man den Werdegang des Norbert Schultze jr. in 1:30 Minuten unterbringen, ginge das in etwa so. 1968 schrieb ihn der Sender Freies Berlin an und fragte, ob er Leiter des neuen Dritten Programms werden wolle. „Ich habe zugesagt, weil mich das Medium Fernsehen gereizt hat.“ 1981 holte ihn Gyula Trebitsch zum Studio Hamburg. „Als Geschäftsführer bei Allmedia saß ich plötzlich nur noch hinter dem Schreibtisch, das war furchtbar.“ Er wollte wieder ins Studio. Er inszenierte jahrelang die „Aktuelle Schaubude“ und zeigte in der „Sesamstraße“ Samson, Tiffy und Lilo Pulver, wo es langging.

Er machte "Rote Rosen", "Alphateam" und "Erkennen Sie die Melodie?"

Er gehörte zum Gründerteam von RTL und hob als Regisseur und Producer „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ aus der Taufe. „Ich wollte wissen, ob das geht: fünf Folgen in fünf Tagen. Wie müssen dafür die Abläufe organisiert sein?“ Es ging. Anfangs waren die Quoten schlecht, doch RTL-Chef Helmut Thoma sagte immer nur: „Norbert, Sie müssen Geduld haben.“

Als er eines Tages sah, dass die Kassetten mit den ersten Sendungen des Privatsenders in alten Kisten dümpelten, sagte er: „Leute, was ist das? Ihr müsst die Sachen archivieren, das ist ein Stück Fernsehgeschichte.“ Noch heute funktioniere das RTL-Archiv nach seinen Vorschlägen von damals. „S“ für Sport, „P“ für Politik, „U“ für Unterhaltung, „K“ für Kultur. Die geraden Nummern auf den Kassetten stehen für Eigen-, die ungeraden für Fremdproduktionen.

Er war Regisseur der Serien „Rote Rosen“ und „Alphateam – Lebensretter in Not“. Er hat das SAT.1-Regionalfernsehen in Hamburg mit aufgebaut. Und lieferte mit „Erkennen Sie die Melodie?“ große Unterhaltung für das ZDF. „Ich habe mich nie um Jobs bemüht, sondern bin immer gefragt worden, ob ich mir das vorstellen könne.“ Er wollte auch nie eine Festanstellung. „Als Freier muss man sich ständig dem Wettbewerb aussetzen, das finde ich wichtig.“

Irgendwann kam dann eine Anfrage aus Bad Segeberg: „Haben Sie früher Karl-May-Bücher gelesen, Herr Schultze? Wenn nicht, dann machen Sie das mal schnell.“ So wurde Norbert Schultze jr. Regisseur bei den Karl-May-Festspielen. Vor zwei Wochen begann seine 14. Saison als Regisseur auf dem Kalkberg. Noch bis zum 7. September läuft seine Inszenierung von „Unter Geiern – der Geist des Llano Estacado“. Aus dem einst eher provinziellen Theater, sagt er, sei längst ein hochprofessioneller und lukrativer Betrieb geworden. 4,5 Millionen Euro lassen sich die Macher die Produktion kosten, die schwarze Zahlen schreibt und im vergangenen Sommer mit 322.424 Zuschauern die beste Besucherzahl in der Geschichte der Karl-May-Festspiele verzeichnete.

„Wir sind inzwischen ein Star-Theater. Und ein Familientheater im besten Sinne.“ Was heißt das? „Die Kinder sollen sich nicht ängstigen, die Erwachsenen sich nicht langweilen.“

Norbert Schultze jr. gilt als Experte für eindrucksvolle Massenszenen, für punktgenaue Komik und mitreißende Musikuntermalung. „Wir überzeichnen den Bösen so extrem, dass man ihm gerne zuschaut.“ Und wenn bei Action-Szenen 40 Schüsse gefallen sind, dann bräuchten die Kinder erst mal wieder Ruhe. Wie das geht? „Indem ein Darsteller laut ruft: ‚Halt, aufhören, ich muss erst einmal nachladen‘.“ Die Folge: ein befreiendes Lachen bei den kleinen und auch den großen Zuschauern. Es gebe auch keine Toten zu sehen, sagt er. Trotz der wilden Schießereien, Explosionen und Kampfszenen.

Norbert Schultze ist 71 Jahre alt und immer noch Junior. Das „jr.“ bleibt ihm ein Leben lang auch als Erinnerung an seinen berühmten Vater: Norbert Schultze, der deutsche Komponist und Dirigent, dessen bekannteste Melodie die des Liedes „Lili Marleen“ war. Und der auch „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“ geschrieben hat.

In seiner zweiten Heimat Kapstadt hat er ein Deutsches Theater gegründet

Ein liebevoller Vater sei er gewesen, sagt der Junior. Genau wie seine Mutter, die mit 18 Jahren ganz alleine aus Bulgarien nach Deutschland gekommen ist. Sie sprach kein Wort Deutsch, wollte unbedingt Schauspielerin werden und klapperte in Berlin sämtliche Filmstudios ab. „Ich gut, ich Schauspielerin, ich brauche Rolle.“ Irgendwann bekam sie eine Rolle und machte als Iwa Wanja Karriere in der Stummfilmzeit.

„Meine Eltern waren, als sie sich über den Weg liefen, beide verheiratet, mein Vater hatte vier Kinder. Dann verliebte er sich in meine Mutter und verfolgte sie regelrecht“, sagt Norbert Schultze jr. Er bat sie, ihn zu heiraten. Niemals, sagte sie. „Wenn du mich nicht heiratest, geht ein großer Künstler zu Grunde“, drohte sein Vater. 1943 war die Hochzeit. Norbert hat noch einen jüngeren Bruder. Kristian, Komponist und Keyboarder bei Klaus Doldingers Band Passport, ist im November 2011 an einem Herzinfarkt gestorben.

Sein Vater war auch „ein von den Nazis hofierter Künstler“, sagt Norbert Schultze jr. Vertonte im Auftrag von Joseph Goebbels Stücke wie „Von Finnland bis zum Schwarzen Meer“ oder „Bomben auf England“. In einem Interview hat er der „Braunschweiger Zeitung“ gesagt: „Wissen Sie, ich war damals im besten Soldatenalter. So um die 30. Für mich war die Alternative: komponieren oder krepieren. Da habe ich mich für das Erstere entschieden.“

Nach dem Krieg wurden die musikalischen Verwertungsrechte an „Lili Marleen“ von den Alliierten beschlagnahmt und erst 1965 wieder freigegeben. „Bis dahin hatten sich 3,5 Millionen D-Mark angesammelt“, sagt Norbert Schultze jr. „Das Geld ging an den amerikanischen Kriegsveteranen-Fonds.“ In seinem Testament verfügte sein Vater, dass sämtliche Tantiemen seiner von 1933 bis 1945 entstandenen Werke dem Deutschen Roten Kreuz zufließen sollen.

Waren die Spuren, die sein Vater hinterlassen hat, manchmal zu groß? „Na ja, sein Name hat mir schon manche Türen geöffnet“, sagt Norbert Schultze jr., der eine Tochter hat, mit seiner dritten Frau die Hälfte des Jahres in Kapstadt lebt und dort, natürlich, vor drei Jahren das „Deutsche Theater am Kap“ gegründet hat. „Aber andererseits war die Erwartung an mich auch immer sehr hoch.“ Der Name war keine Last, sondern Antrieb.

Einmal, sagt er und lächelt wieder fröhlich, habe ihm sein Vater erzählt, dass er bei einer Veranstaltung gefragt worden sei: „Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich der Vater von dem Norbert Schultze junior?“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Norbert Schultze jr. bekam den Faden von Jan Hofer und gibt ihn an Maike Bollow weiter