Ulrike Schroeder ist Ärztin und Homöopathin zugleich. Sie lebt mit dem Widerstreit zwischen Alternativ- und Schulmedizin. Dogmen sind ihr fremd. Ein Porträt von Alexander Schuller

Diese Geschichte erzählt nicht zuletzt vom Reisen. Man könnte auch sagen, sie handelt von Odysseen, die so manche Menschen hinter sich haben, bevor sie zum ersten Mal vor der schweren Eingangstür des imposanten Backsteinbaus an der Heilwigstraße stehen, wo die Homöopathin Ulrike Schroeder im Erdgeschoss ihre Praxis hat. Wobei die zierliche blonde Frau, 57, verheiratet und Mutter eines 16-jährigen Sohnes, großen Wert darauf legt, weder als Spezialistin für hoffnungslose Fälle gesehen zu werden noch als Heilpraktikerin, die meint, ihren Patienten etwa per Irisdiagnose auf den Punkt genau sagen zu können, was Sache ist.

Schließlich ist die Arzttochter, die in Winterhude aufwuchs, Internistin, also Fachärztin für innere Medizin, und zwar im ganz klassischen Sinne. Davon zeugt unter anderem die Behandlungsliege nebst der üblichen Diagnose-Apparatur hinter einem grauen Vorhang im Sprechzimmer, das ansonsten von freundlichem Holzmobiliar und warmen Farben dominiert wird. An den Wänden hängen einige großformatige abstrakte Bilder, die meisten von ihnen haben Patienten gemalt.

Blutabnahme, Stethoskop und Reflexhammer können eine gründliche Anamnese nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen. „Wie und woran erkennt man eine Störung, und wie kann man sie heilen? Nur darum geht es mir in meinem Beruf“, sagt Ulrike Schroeder, „dass ich eben nicht nur Diagnosen stelle und Behandlungen nach Schema oder Mode mache, sondern dass ich den Patienten individuell kennenlerne und schließlich seine Krankheit dazu nutze, ihn heilen zu können.“

Solch ein Arzt-Patienten-Dialog dauert dann auch schon mal zwei Stunden und ist nicht selten eine Expedition in unbekannte Gefilde, manchmal auch in seelische Abgründe, die sich in körperlichem Leiden widerspiegeln können. Es reiche eben nicht aus, eine Krankheit bloß zu verwalten. „Chronische Schmerzen beispielsweise sind zumeist seelische Schmerzen“, sagt sie bestimmt, „deshalb bin ich in erster Linie auf die Informationen meiner Patienten angewiesen.“

Die erhält sie – gerade wenn es sich um Kinder handelt – durchaus auch mal in ungewöhnlicher Form: Sie schlägt die Patientenmappe eines Sechsjährigen auf und zeigt die krakeligen Gespensterzeichnungen eines Jungen, den sein Kinderarzt zunächst erfolgreich wegen seiner Neurodermitis behandelt hatte; der dann aber plötzlich an Asthma litt, das ihm auch nach jahrelanger Therapie schwer zu schaffen machte. Die Homöopathin fand in mehreren Sitzungen heraus, dass der Junge offenbar seine nächtlichen Albträume gezeichnet hatte – und dass an allen „seiner“ Gespenster merkwürdige Wassertropfen hingen, die „in der Sonne glitzerten“, und die sie sich zunächst nicht erklären konnte. „Schulmediziner fragen ja auch nur nach dem, was sie behandeln können“, sagt sie, „aber die Schulmedizin ist bei Newton stehen geblieben. Doch der menschliche Körper wird energetisch gesteuert, und darauf können wir homöopathisch einwirken.“

Hinzu komme das Zusammenspiel verschiedenster Elemente: „Was macht der Mond, was macht die Sonne, wie funktionieren die Organe zusammen? Die Veränderung eines Einzelteils wird immer auch eine Veränderung an anderer Stelle erzeugen“, sagt sie. Im Fall des sechsjährigen Asthmatikers erkannte sie schließlich eine Verbindung zu den Nektartröpfchen des Sonnentaus – und verschrieb Drosera (Sonnentau in potenzierter Form), was dem Kind dann auch tatsächlich half.

Für die Anhänger der homöopathischen Heilkunst sind dies die Geschichten, an denen man die Defizite der Schulmedizin festmachen kann. Für die anderen klingen solche Erfolgsstory nach Voodoo. Ulrike Schroeder lächelt. „Menschen sind geneigt, stets nur das zu glauben, was sie sehen und anfassen können. Bestimmte Informationen sind aber auch ohne Kabel übertragbar. Wir stehen energetisch mit unserer Umwelt in Verbindung“, sagt sie. Ihr selbst sei es anfangs schwergefallen, die Homöopathie zu verstehen, geschweige denn an die Homöopathie zu glauben. Und sie weiß natürlich auch, dass sie mit ihrer Methodik aneckt. Dass das homöopathische Weltbild seines deutschen „Erfinders“, des Arztes Samuel Hahnemann (1755–1843), durch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft inzwischen ergänzt wurde; dass ein guter Teil der Heilerfolge (wie übrigens auch in der Schulmedizin) auf den Placeboeffekt sowie die intensive Betreuung der Patienten durch den Homöopathen zurückgehen. An der Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel hat Ulrike Schroeder keinen Zweifel mehr.

Wenn letztlich dann auch noch die Krankheitssymptome gänzlich verschwinden, wächst das Vertrauen der Gesellschaft in die Homöopathie. Diese Effekte sind so stark, dass inzwischen sogar viele Apotheker und Ärzte an die Heilkraft der Homöopathie glauben, obwohl die Wirkungsmechanismen noch immer nicht vollständig geklärt sind. Ulrike Schroeder steht längst über dieser Diskussion, weil ja auch inzwischen rund 90 Prozent aller gesetzlichen Krankenkassen eine homöopathische Behandlung gesondert bezahlen. Mit ihrer Kollegin Christine Lauterbach hat sie überdies einen Bestseller geschrieben („Homöopathie für Kinder“, pocket, München 2011, 19,95 Euro, ISBN-10: 3898627276)

Dabei hatte sie sich als junge Medizinerin zunächst auf den üblichen Karriereweg gemacht. Nach ihrem Studium, das sie in Hamburg absolvierte, arbeitete sie zunächst als Anästhesistin im (damaligen) Allgemeinen Krankenhaus Wandsbek, machte ihren Facharzt für Innere Medizin und erlebte kurz darauf ihr persönliches Schlüsselerlebnis in Form einer Akupunkturnadel, die ihr ein befreundeter Arzt setzte, und die sie plötzlich Dinge spüren und körperliche Zusammenhänge und Verbindungen begreifen ließ, die sie vorher nicht gespürt und geahnt hatte. Was eine mehrmonatige Reise ins chinesische Nanking nach sich zog, ins Zentrum der traditionellen chinesischen Medizin, wo „ich die Naturheilverfahren richtig kennenlernen konnte“.

Als sie aus China zurückkehrte, arbeitete sie als Ärztin im Bergedorfer Bethesda-Krankenhaus, wo die Mediziner immerhin schon mal ein größeres Interesse für die alternativen Heilmethoden an den Tag legten. Nach einiger Zeit wechselte sie dann in die Augsburger Waldhaus-Klinik. Dies war eine der ersten Kliniken in Deutschland, die sich damals, Mitte der 90er- Jahre, der ganzheitlichen Medizin verschrieben hatte. Ulrike Schroeder begann, den schulmedizinisch-allopathischen Leitsatz („Contraria contrariis curantur – „Entgegengesetztes wird mit dem Entgegengesetzten behandelt“) für gewisse Krankheitsbilder infrage zu stellen. „Diese Maßnahmen wirken zwar im ersten Moment bessernd, behindern und schwächen aus der Sicht der Homöopathie jedoch auf Dauer die autonom wirkende Lebenskraft und die Selbstheilungskräfte im Menschen“, sagt sie, „durch das homöopathische Heilmittel wird dagegen eine Art kurzfristiger künstlicher Krankheitsimpuls erzeugt, welcher die natürliche Erkrankung im Patienten vorübergehend überlagert und ausgleichende Heilreaktionen der Lebenskraft in Gang setzt – das ist die Heilung nach dem Ähnlichkeitsgesetz.“

Nach ihrer Rückkehr – „ich hätte in Augsburg Chefärztin werden können!“ – entschied sie sich jedoch dafür, sich in ihrer Heimatstadt als praktizierende Ärztin mit Schwerpunkt Homöopathie niederzulassen. „Mein Mann hätte mich als selbstständiger Stadtplaner natürlich auch an einen anderen Ort begleitet. Aber Hamburg ist nun mal meine Heimat, und der norddeutschen Seele und dem Humor fühle ich mich einfach mehr verbunden.“ Darüber hinaus besitze sie auch eine natürliche Liebe zum Wasser: „Schon als Schülerin bin ich auf der Alster gesegelt. Leider ist mein Mann an Bord entschieden wagemutiger als ich...“

Ulrike Schroeder stellt sich lieber mit gesunder Vorsicht den Aufgaben, die das berufliche und private Leben für sie bereithalten. „Die Homöopathie hat dabei übrigens einen interessanten Nebeneffekt“, sagt sie, „denn ich helfe nicht nur anderen, sondern helfe mir auch selber. Man wird viel toleranter und geduldiger.“ Wenn etwa „ihre Männer“ ein Verhalten an den Tag legten, das ihr nicht passe, dann versuche sie stets, die Situation erst einmal zu verstehen und dann vor allem sich selbst zu verstehen. „Konflikte lassen sich zwar nicht immer vermeiden, aber es existiert auch immer eine Lösung.“ Die man natürlich erst einmal finden müsse.

Dabei hilft ihr neuerdings eine verfeinerte Diagnosetechnik, die sie vom indischen Heiler Dinesh Chauhan von einer ihrer Reisen auf den asiatischen Subkontinent mitgebracht hat. „Chauhan hat sich dabei von der Jagd der afrikanischen Buschmänner inspirieren lassen“, sagt sie, „im ersten Schritt untersucht der Jäger dabei die Spuren und entwickelt eine Vorstellung über das Verhalten des Tieres; beim zweiten Schritt geht er selbst der Spur nach und fühlt sich intensiv in das Tier ein und kann so im dritten Schritt dem Tier auch ohne Spuren folgen.“ So wisse der Heiler intuitiv, wo und in welchem Moment er das Tier (die Krankheit) erlegen kann. „Deshalb ist es so wichtig, den Patienten ihren Raum selbst gestalten zu lassen.“ Im Übrigen, und da sei sie sich mit klassischen Medizinern einig, habe derjenige, der heilt, recht. Und zwar immer.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Ulrike Schroeder bekam den Faden von Li Trieb und gibt ihn an Mario Rispo weiter.