Vor 50 Jahren erfand der Tüftler Bernhard Markwitz die Schwimmflügel. Oliver Schirg schildert, welch ein Notfall ihn angetrieben hatte und welch ein Glücksfall ihm zu Hilfe kam

Es müssen unangenehme Momente gewesen sein. Wenn Bernhard Markwitz Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre ins Ohlsdorfer Schwimmbad kam, erntete er oft befremdliche Blicke und Kopfschütteln: Er trug Gummischläuche mit Fahrradventilen an den Armen, was schon etwas merkwürdig aussah.

Markwitz aber war das egal. Zu sehr hatte ihn das Drama um seine Tochter im Sommer 1956 geprägt. Die dreijährige Annette spielte im Winterhuder Garten der Familie an einem Teich mit Goldfischen. Plötzlich sah Mutter Gisela, dass das Kind kopfüber in den Teich gefallen war, und rettete es in letzter Minute. Auch Bernhard Markwitz, der gerade von einem Fußballspiel zurückkam, packte mit an.

Der damals 36-Jährige hatte eigentlich ein gutes Verhältnis zum Wasser. Markwitz stammte aus Ostpreußen und war im Alter von 17 Jahren deutscher Meister in der „50-Meter-Kraul-Staffel“ geworden. Später arbeitete er als Schwimmlehrer und Rettungsschwimmer. Und nun musste er erleben, dass seine kleine Tochter beinahe in einem Goldfischteich ertrunken wäre.

„Mir wurde klar: Das Wasser soll der Freund des Menschen sein, nicht seine Todesfalle“, erzählte Markwitz später. „Damals habe ich mir geschworen, jedem Kleinkind so früh wie möglich Schwimmen beizubringen.“ Voraussetzung dafür war, dass die Kinder auch in tieferen Becken planschen konnten, ohne unterzugehen.

Acht Jahre tüftelte Markwitz an seiner Idee, mithilfe von „Schwimmflügeln“, die mit Luft gefüllt sind, für genügend Auftrieb zu sorgen. Bis dahin gab es Schwimmhilfen, die aus Kork bestanden. Die Schwimmer banden sie sich um den Bauch. Doch die Korkringe erfüllen nicht ihren Zweck. Zum einen ist der Auftrieb, den sie entwickeln, für einen menschlichen Körper zu gering. Zum anderen bestand die Gefahr, dass Kinder vornüberkippen und so ihr Kopf unter Wasser gerät.

Markwitz erkannte, dass eine sichere Lösung des Drehpunkt-Problems die Voraussetzung für den Erfolg seiner Erfindung ist. Nichtschwimmer müssen in jeder Situation den Kopf und die Schultern über dem Wasser haben. Das, so fand Markwitz heraus, geht nur mit Schwimmhilfen an den Armen. Der Erfinder probierte es zunächst mit Fahrradschläuchen – das Kinderrad seiner Tochter hatte ihn auf diese Idee gebracht. Vom Prinzip her lag Markwitz richtig, aber auch bei den Fahrradgummischläuchen reichte der Auftrieb nicht aus.

„Mir wurde klar, dass die Schwimmhilfe eine Triangelform haben muss, dass da ein Steg zwischengeschweißt werden musste“, erzählte er später. „Mit abgeflachten Innenseiten entstanden die zwei Tüten Luft, die bis heute so geblieben sind.“ Die Lösung fand Markwitz im PVC. Schon in den 30er-Jahren war es gelungen, Folien aus dem Kunststoff herzustellen.

Für Markwitz’ Idee war PVC bestens geeignet. Er konnte damit so große Luftkammern herstellen, dass sie ausreichend Auftrieb erzeugten, um einen Menschen im Wasser nicht untergehen zu lassen. Nachdem der Erfinder das geeignete Material für seine Idee gefunden hatte, tüftelte er am „Komfort“ der Luftkissen: Sie durften auf der Haut nicht drücken, die Blutversorgung nicht beeinträchtigen, und auch wenn der Ventilstöpsel herausrutschte, durfte nicht sofort alle Luft entweichen.

Erste Tests in der eigenen Badewanne sind Erfolg versprechend. Weitere „öffentliche“ Tests folgen. Am 13. Juni 1964 ist es dann so weit: Markwitz stellt seine „Schwimmflügel“ – orangefarbene PVC-Tüten mit blauen Ventilen – im Schwimmbad Ohlsdorf der Öffentlichkeit vor. Seine Tochter, die die Erfindung testet, habe ihn an einen Engel mit Flügeln erinnert, begründet er später die Namensgebung.

So einleuchtend die Idee für Bernhard Markwitz ist, so wenig Anklang findet sie zunächst in der Öffentlichkeit. Vor allem die Ablehnung bei Sportartikelherstellern bereitet ihm Sorgen. Es hagelt Absagen. Niemand glaubt, dass „zwei Tüten Luft“ einen Menschen über Wasser halten können. Da verhilft ein Lottogewinn von 253.000 Mark Markwitz zum nötigen Startkapital. 1964 meldet er das Patent an, gründet die Firma BEMA (BErnhard MArkwitz) und kümmert sich selbst um die Produktion. 7,95 Mark kosten die Flügel seinerzeit.

Markwitz ist in den Anfangsjahren der beste Vertreter seiner Erfindung. Um ihre Wirkungsweise vorzuführen, hat er immer ein Paar Schwimmflügel dabei. Auf Urlaubsreisen verteilt er sie unter den Mitreisenden. Der Erfolg kommt mit der Zeit und macht Markwitz zu einem wohlhabenden Mann. Weit mehr als 150 Millionen Stück sind bis heute verkauft worden. In Amerika muss das Wort „Schwimmflügel“ nicht übersetzen werden.

Bernhard Markwitz stirbt im Februar 2000 im Alter von 80 Jahren. Für Millionen Kleinkinder gehören Schwimmflügel zum Schwimmunterricht dazu. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) hatte frühzeitig den Wert der Erfindung des Hamburger Tüftlers erkannt und ließ schon Ende des Jahres 1969 auf den markwitzschen Schwimmflügeln das Logo DLRG drucken.