Sie stammen aus fünf Nationen, leben in Hamburg und trafen sich auf Einladung des Abendblattes zum ersten Mal. Sind sie Hamburger? Deutsche? Europäer? Wie stellen sie sich die EU im Jahre 2030 vor? Jens Meyer-Odewald und Bertold Fabricius (Fotos) begleiteten eine muntere Runde, die auch Ecken und Kanten zeigte, sich aber in einem völlig einig war: Sie gehen alle am Sonntag zur Wahl

Europa kann so spannend sein. Europa kann sich sehr nahekommen. Und Europa kann enorm viel Spaß machen. Beim Stammtisch des Hamburger Abendblatts unmittelbar vor der Wahl demonstrieren fünf ausgewählte Gäste aus fünf Ländern aber auch, dass Europa Herz hat. Trotz vieler Unterschiede wie Herkunft, Alter, Beruf oder politische Einstellung ist die Meinung dieser Runde einhellig: Unser Kontinent – und vor allem seine Menschen – haben eine Riesenchance. Tenor: Vielleicht ist es eine einmalige Gelegenheit, etwas Sinnvolles und Stabiles für die Zukunft zu bauen.

Dies schon mal vorweg.

Das Quintett trifft sich zum ersten Mal; keiner kennt den anderen. Dennoch bedarf es keines Anlaufs, um kraftvoll zur Sache zu kommen. Im Nu ist man per Du – und mittenmang. Das Lokal Kick & Company im Zentrum von Ottensen bietet den passenden Rahmen: Viele Einheimische, aber auch Gäste aus aller Welt nutzen die unkomplizierte Schankwirtschaft zu Klönschnack und mehr. Es geht auch rund, wenn der Ball nicht rollt und auf den Monitoren übertragen wird. Die Speisekarte ist international. Es herrscht eine fröhliche, unterhaltsame Atmosphäre.

„Es ist ein Glück und ein Privileg, in Freiheit ein Parlament wählen zu können“, eröffnet Rosi Chankova die ungewöhnliche Runde. Die 18-jährige Abiturientin des Gymnasiums Hochrad in Othmarschen besitzt zwei Staatsbürgerschaften: die ihres Geburtslandes Bulgarien und die ihrer Wahlheimat Deutschland.

„Das stimmt“, sagt Anne Hainsoo, geboren in Estland und seit 16 Jahren in Hamburg, noch nicht ganz die Hälfte ihres Lebens also. „Für jeden Menschen ist es eine tolle Sache, Europas Regierung mitgestalten zu können.“ Dieses positive Gefühl dürfe erhebliche Probleme nicht übertünchen. Kopfnicken am Tisch. Ein Beispiel, fährt Anne fort, sei die Aufteilung der Abgeordneten im Europäischen Parlament. So stelle Estland mit 1,3 Millionen Einwohnern nur sechs der künftig 751 Abgeordneten. „Die kleinen Länder bleiben also klar in der Minderheit.“

Diese Aussage ruft Pedro Lopes auf den Plan. Der Portugiese lebt erst seit eineinhalb Jahren in Hamburg und spricht dafür erstaunlich gut Deutsch. Das liegt an seinem Talent, an den Kontakten in seinem Café am Winterhuder Weg, aber gewiss auch an seiner Hamburger Freundin. Er hat sie in seinem Hostel kennengelernt, einer kleinen Pension mit vier Zimmern und 18 Betten, die er in Lissabon betrieb. Zuvor arbeitete er in einer Bibliothek in Grandola südlich der Hauptstadt. Später studierte er portugiesische und englische Literatur mit Diplom in London. Weilt er nicht in seinem Lokal, dessen Name Kaféka eine Melange aus Kaffee und Kafka ist, reist der junge Mann als Geschichtenerzähler durch Europa.

„Letztlich haben die Großen das Sagen“, meint Pedro. So sei Portugal mit derzeit 22 Abgeordneten in Straßburg vertreten, Bulgarien mit 18, Deutschland aber mit 99. Daher ist seine Meinung klar: „Grundsätzlich sind freie Wahlen großartig, den Bürgern aller Länder aber wurde noch nicht klargemacht, warum sie eigentlich wählen sollen.“ Konkret spüre man zwar Europa, aber nicht die europäische Politik.

Dem stimmt Gastronom Vito Convertino, mit 59 Jahren Senior des unorthodoxen Stammtisches, grundsätzlich zu. „Die Einheit unseres Kontinents ist auf gutem Wege“, sagt er, „auch wenn verschiedene Mentalitäten natürlich Probleme bereiten.“ Während sein Heimatland Italien ebenso wie Portugal, Spanien oder Griechenland krisengeschüttelt sei, „wird Deutschland einfach vernünftiger und besser regiert“. Dennoch sei es ein Irrtum, dass die Bundesrepublik die Schulden der wirtschaftlich schwächeren Staaten zahle.

Apropos Geld und Wirtschaft. Bisher hat Wilbert Hirsch den Gästen die ersten Sätze gegönnt, jetzt meldet er sich zu Wort. Mit der Vorbemerkung, dass es vor ein paar Jahrzehnten noch nicht einmal zu träumen gewesen wäre, in Europa frei und unabhängig wählen zu dürfen. „Viele Menschen halten Europa nach wie vor überwiegend für eine Wirtschaftsunion“, fährt er fort. Und in der Tat sei Deutschland wahrlich nicht nur Partner, der einen Großteil der Zeche zahle, sondern profitiere erheblich vom Zusammenwachsen: „Im Außenhandel nützt uns die kontinentale Einheit sehr.“

Unternehmer Hirsch, der viel in der Welt herumkommt, spüre das Gefühl der Bürger Europas: „Eine solche Einigung muss auch Herzenssache sein, die jedoch leider noch nicht überall angekommen ist.“ Auch hierzulande nicht unbedingt. „Man muss Geduld haben“, entgegnet Vito. „Europa ist noch zu jung, um Wunder zu erwarten.“ Man müsse weiter energisch an der Entwicklung feilen. Eines späteren Jahres, so hofft er, könne sich Europa so eins fühlen wie die USA. Dies jedoch werde dauern.

„Auf jeden Fall ist der Einigungsprozess eine spannende Sache“, sagt Anne unter allgemeiner Zustimmung. „Freier Handel, Freizügigkeit, Demokratie und letztlich auch der Euro sind Zeichen eines erfreulichen Trends.“ Europa sei einzigartig und beinhalte so viele verschiedene Länder und Kulturen, dass es eine Menge Mühe bereite, eine Gemeinschaft auf solidem Fundament zu bilden. Und dann sagt sie einen weiteren wichtigen Satz: „Trotz aller noch zu meisternden Schwierigkeiten ist es ein schönes Gefühl, sich als Europäerin fühlen zu können.“

Rosi nickt, trinkt noch einen Schluck Cola light, betont gleichfalls den einzigartigen Charakter der Union. Die Facetten seien der Reiz. „Europa macht die Tore auf“, sagt auch Pedro. Es sei ein wunderbares Gefühl, problemlos und ohne Visa nach Deutschland kommen zu können. Dass man noch nicht mal Geld zu wechseln habe, steigere diese Einstellung wahrhaftiger Nähe, die mit Kilometern nichts zu tun habe.

Und woran spürt man ganz konkret, dass Europa lebt? Was muss passieren, dass der Funke spürbarer überspringt und deutlich mehr Menschen als bisher beseelt?

Rosi: „Ich spüre Europa persönlich durch die vielen Förderprogramme, die man nutzen kann. So wird der Europäische Freiwilligendienst EFD, mit dem ich ab August nach England gehe, von der EU unterstützt. Generell muss die Einsicht zunehmen, dass ökonomische, ökologische und soziale Probleme nicht national, sondern nur gemeinsam gelöst werden können. Das Konzept einer Union ist die einzige Möglichkeit, dies zu schaffen.“

Vito, der vor seinem Umzug aus Fasano in Apulien nach Hamburg auch Philosophie studierte: „Ich bin Europäer mit Leib und Seele. Trotzdem gibt es auch negative Tendenzen. So erleben Geschäftsleute wie ich Europa leider auch als sehr bürokratisch und statisch. Neue Gesetze, die eine Menge weiterer Bescheinigungen mit sich bringen, machen das Ganze komplizierter. Nicht hasenfüßige, technokratische Politiker sind gefragt, sondern Visionäre, die Weichen stellen. Es wäre schade, wenn eine halbe Milliarde Menschen in den 28 Mitgliedstaaten Europa hauptsächlich mit einer Verordnungsflut und Paragrafenbergen verbinden.“

Pedro: „Die Bürger verschiedener Länder sind sich schon viel nähergekommen, als man denkt. Denn das Schöne ist ja, dass man eben nicht ständig daran denkt. Alles ist recht normal. Ich treffe in Hamburg so viele Leute unterschiedlicher Nationalität. Große Gedanken macht sich niemand darüber. Dieser internationale Geist ist in einer Weltstadt wie Hamburg stärker ausgeprägt als in ländlichen Regionen, bei den Jüngeren meist intensiver als bei den Älteren. Folglich spricht auch die Zeit für Europas Weg unter ein großzügiges Dach. Es wird immer selbstverständlicher, dass wir zusammenrücken. Voraussetzung für Fortschritt ist allerdings eine flexiblere Politik.“

Anne: „Ich arbeite in einer Software-Firma. Der Kontakt zu allen möglichen Kollegen aus allen möglichen Ländern ist absolut normal, freundschaftlich und erfrischend. Solche Umstände, die politisch nicht dirigiert sind, betrachte ich als gelebtes Europa. Unter anderem handelt es sich um Engländer, Franzosen, Spanier, jedoch auch um Russen. Wir sollten keinesfalls vergessen, dass Länder wie Russland Teil unseres Kontinents sind. Diese auszugrenzen könnte sich als Fehler erweisen. Was die Organisation Europas betrifft, brauchen wir weniger Regulierung.“

Wilbert: „Korrekt. Unsere Einheit ist verbunden mit einem enormen bürokratischen Aufwand. Zu viel ist aufgebläht und nicht transparent. Es gibt Regelungen und Amtssprachen zuhauf. Wir dürfen keine Glühbirnen mehr kaufen, Bananen oder Gurken müssen eine bestimmte Krümmung haben. Das alles ist zu viel des Guten und schreckt ab. Ein weiterer Hinkefuß ist die schwer durchschaubare Lobbyarbeit. Andererseits sind Erleichterungen so alltäglich geworden, dass es an Wertschätzung dafür mangelt. Beispielsweise fällt das Reisen in der Euro-Zone deutlich entspannter aus. Ob ich heute von Hamburg nach München oder Madrid fliege, macht kaum einen Unterschied. Das ist erstklassig.“

Wirtin Sibylle bringt eine weitere Runde Getränke. Wie andere Besucher auch, freut sie sich über die unterschiedlichen Wimpel auf dem Stammtisch. Diese fünf kleinen Flaggen stehen auf einer großen Europafahne, die quasi als Tischdecke fungiert. Es sieht gut aus, hat aber auch symbolische Bedeutung.

Sibylle hat ihr Lokal sehr gerne in den Dienst der sinnvollen Sache gestellt. Seit gut 20 Jahren ist das Kick & Company in der Klausstraße1/Ecke Bahrenfelder Straße als gewinnende Mischung aus Sportbar, Restaurant und Kneipe in Ottensen angesagt. Nach Nationalität oder Herkunft fragt hier keiner. Man versteht sich. So und so.

Zurück zum Thema. Welche Rolle spielt Hamburg in Europa? Handelt es sich wirklich um eine Weltstadt mit internationalem Charakter und aufgeschlossenen Einwohnern, um das Tor zu Europa und zur Welt? Wer kann das besser beurteilen als jene, die vor Ort ein neues Zuhause fanden.

Fühlen Sie sich herzlich und gut aufgenommen, also willkommen? Oder glucken die Hamburger lieber zusammen unter Ihresgleichen?

Vito: „In der Tat ist die Hansestadt schnell meine zweite Heimat geworden. Es ist eine offene, von Toleranz geprägte Stadt mit einem Flair, den nur wenige Metropolen haben. Es war und ist eine Freude, wie einem die Hände und Herzen gereicht werden. Ich habe mich auf Anhieb wohlgefühlt – vom Wetter mal abgesehen. Zur geglückten Integration trägt das Beherrschen der Sprache im Gastland bei. Sonst steht man am Rande. Ein dreimonatiger Intensivkurs baute mir stabile Brücken.

Anne: „Ich bin ja erst seit 1998 hier, kam mit 21 Jahren, im Februar bei entsprechendem Wetter. Es gibt immer und überall Menschen, die Vorurteile haben und sich über meinen Akzent mokierten. Ich spüre aber eine positive Entwicklung. Hamburg wird von Jahr zu Jahr internationaler. Dieser Geist inspiriert. Ich fühle mich sehr wohl hier, weiß aber noch nicht genau, wohin mich die Reise meines Lebens noch führt.“

Wilbert: „Als gebürtiger Hamburger sehe ich das logischerweise aus anderen Augen. Und ich kenne viele Leute aus anderen Ländern, die hier vorübergehend oder für immer leben. Fast alle sind sehr gerne hier, eben weil Hamburg seinem Nimbus als Freie Hansestadt alle Ehre macht. Wir sind traditionell eine Gemeinschaft der Händler und Kaufleute, was ja auch der Freihafen beweist. Andere Kulturen und Menschen prägen Hamburgs DNA von jeher.“

Pedro: „Wer erst seit Dezember 2012 hier wohnt, kann keine großen Vergleiche ziehen. Insgesamt bin ich erstklassig aufgenommen worden, was auch an meiner hiesigen Freundin liegt. Es gibt immer solche und solche, unter dem Strich fühle ich mich gut aufgenommen. Ich habe mehr Verbindungen zu Deutschen und Spaniern und anderen Nationalitäten als zu Portugiesen. Aus meinem Heimatland gibt es zwei Generationen hier. Zu der im Portugiesenviertel an den Landungsbrücken habe ich wenig Draht, zu den Jüngeren schon. Durch meinen Beruf als Geschichtenerzähler habe ich Kontakt zur Portugiesisch-Hanseatischen Gesellschaft. Sie wurde 1996 gegründet und umfasst aktuell mehr als 300 Mitglieder. Es gibt viele Aktivitäten, zum Beispiel demnächst wieder Aktionen über 50 Jahre portugiesische Migration in Hamburg, eine Fotoausstellung oder am 20. September ein Fado-Konzert im Museum für Völkerkunde.“

Rosi: „Als ich hierherkam, begann mein Hamburger Leben in der dritten Klasse auf der Grundschule Klein Flottbeker Weg. Natürlich musste ich die Sprache erst erlernen. Und nicht nur in der Schule kamen anfangs immer wieder komische Kommentare über meinen Akzent und über Bulgarien. Im ersten Moment war ich dann ein bisschen traurig, habe das Problem aber im Kopf klargemacht und bin selbstbewusst aufgetreten. Die schönen Erlebnisse überwiegen klar. Ich habe Bekannte und gute Freunde aus Bulgarien, auch am Gymnasium Hochrad, aus China, Indonesien und der Türkei, der Großteil meines Umfeldes ist deutsch. Ich fühle mich wohl hier und zu Hause.

Negative Erlebnisse sind fast vergessen. Ein Jahr nach unserem Umzug von Sofia nach Hamburg im August 2004 gab es erhebliche Schwierigkeiten. Mein Vater, ein Ingenieur mit Professorentitel, arbeitete bei Airbus in Finkenwerder, erkrankte aber plötzlich an Krebs und verstarb 2005. Ein Albtraum. Das Visum für unsere Familie hatte er, meine Mutter nicht. Sie, meine Schwestern und ich sollten ausgewiesen werden, es stand auf Messers Schneide. Mit Bulgariens Beitritt zur EU 2007 war alles gut. Mein persönliches Fazit: Bürokraten können Schicksale bestimmen. Diese Erfahrung war ein Grund, die Arbeitsgruppe Amnesty International an meiner Schule zu leiten.“

Die ohnehin lebhafte Diskussion gewinnt noch einmal an Fahrt – je nach individuellem Temperament lautstark und heftig gestikulierend oder aus gesetzter Position ruhig. Viel gelacht und gescherzt wird von allen Seiten.

Nicht nur Anne beweist, dass sich Humor und ein scharfer Verstand fabelhaft ergänzen können. Bei ihrer Meinung schwingt ein Leitsatz mit, der allgemeine Zustimmung erntet: „Wer Europas Zukunft baut, muss kritisch hinterfragen, sauber analysieren und Schlüsse ziehen. Die europäische Idee favorisieren alle an diesem Tisch, der Weg ist umstritten. Ein Punkt unter vielen:

Sollte es eine Ost-Süd-Erweiterung geben? Oder ist bei 28 Mitgliedstaaten momentan das Ende der Fahnenstange erreicht?

Pedro: „Das macht keinen Unterschied. Ich bin für die Integration weiterer Länder.“

Rosi: „Ich bin geteilter Meinung und habe nichts gegen neue Mitglieder, wenn beide Seiten Vorteile davon haben. Derzeit verlassen viele erstklassig ausgebildete Bulgaren ihr Land Richtung Deutschland, eben weil es hier mehr zu verdienen gibt. Das ist nicht gesund, weil es zum Nachteil Bulgariens und zum Vorteil Deutschlands geschieht. Grundsätzlich gilt: Europas Grenzen sollten nicht nur geografisch gezogen werden.“

Vito: „Die akut bestehenden Probleme müssen von jenen Staaten gelöst werden, die jetzt schon in der Gemeinschaft sind. Zu viel auf einmal geht nicht gut. Ist diese Integration wirklich abgeschlossen, kann neu gedacht werden.“

Wilbert: „Langfristig plädiere ich für ein Europa aller, die Aufnahme neuer Mitglieder allerdings verlief zuletzt zu schnell. Dadurch ergaben sich Probleme wie in der Finanzpolitik, die nicht gelöst sind und die die Entwicklung bremsen. Das Ergebnis ist ein riesiges wirtschaftliches Gefälle. Das ist nicht ausgereift und schadet im Prinzip der guten Sache.“

Anne: „Du hast recht. Unter den jetzigen Bedingungen ist es eher schwierig, neue Mitgliedstaaten aufzunehmen.“

Womit die Runde bei den Visionen eines Europas in 20 oder 30 Jahren ist. Unter dem Strich herrscht Einigkeit: Die Chance ist einmalig, der Weg kompliziert, weit, aber lohnend. Kurze Pause. Luftholen. Neue Drinks. Und nun die Mutter aller Fragen an diesem langen Abend, Wilbert Hirsch als Einheimischen ausgeklammert:

Wo fühlen Sie sich heimisch, in Ihrem Geburtsland oder in Ihrer Wahlheimat?

Rosi: „Eigentlich bemühe ich mich, international zu denken. Fahre ich zu Verwandten nach Bulgarien, fühle ich mich auch dort zu Hause. Jüngst war ich im Rahmen eines Schulprojekts drei Wochen in Tansania – und hatte plötzlich Heimweh nach Hamburg. Ich spüre immer mehr: Europa ist etwas Großes, für das es sich zu kämpfen lohnt.“

Pedro: „Mein Heimatgefühl ist mobil. Ich kann mich in vielen Ländern heimisch fühlen, das hängt von den Menschen in meiner Umgebung ab.“

Anne: „Ich bin ja in Estland geboren, aber aktuell in Hamburg zu Hause. Ich bin da nicht festgelegt.“

Vito: „Italien ist meine Heimat, Deutschland ebenso. Das passt wunderbar und bereichert mein Leben. Wenn ich mich eines Tages beruflich zur Ruhe setze, möchte ich mal hier, mal dort wohnen. Wenn es in Hamburg regnet, ist Italien schöner. Fazit: Ich fühle mich als Hamburger Europäer.“

Beim Stichwort Vision mischt sich Wilbert Hirsch wieder ein. „Hoffentlich wird es eines ferneren Tages ein starkes, einiges Europa geben“, sagt er. „Ich glaube aber an ein internationaleres, vielschichtigeres Europa, als es die Vereinigen Staaten von Amerika sind – allein schon wegen der verschiedenen Sprachen.“ Dann fügt er einen Gedanken hinzu, der Kopfnicken erntet: „Der Aspekt eines gemeinsamen Gefühls für Frieden und Sicherheit auf unserem Erdteil ist weit ausgeprägter, als wenn wir viele Nationalstaaten hätten. Dieser Pluspunkt wiegt schwer.“

Erneut geht es hin und her. Nur über einen Punkt wird überhaupt nicht debattiert: Das Quintett geht an diesem Sonntag Europa wählen. Selbstverständlich. Besonders wichtig ist ihnen allen, dass den Extremen von links und rechts Einhalt geboten wird. Jede freie demokratische Wahl ist ein Glücksfall. Darüber gibt es keine Diskussion.

Längst ist die ursprünglich vereinbarte Gesprächszeit abgelaufen. Egal, weiter geht’s. In einem Lokal wie dem Kick & Company darf der Fußball nicht im Abseits stehen: Wem drücken die fünf bei der WM die Daumen?

Erstmals bei diesem Termin hält sich Anne bedeckt: „Fußball ist nicht so mein Ding. Ab Halbfinale aber bin ich dabei. Eine Mannschaft meines Herzens habe ich nicht.“ Pedro hält zu Portugal und Spanien, Vito zu Italien und Brasilien, Wilbert zu Deutschland. „Auch ich bin ganz klar für Deutschland“, ergänzt die gebürtige Bulgarin Rosi. „Die WM ist etwas Besonderes, natürlich bin ich auch beim Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld dabei.“

Plötzlich sorgt Vito für Begeisterung in der lebhaften Runde: „Leute, wir verstehen uns, wir sollten uns wiedersehen!“ Spontan lädt er die anderen zum Essen in sein Restaurant ein. Und warum soll man auf Gutes lange warten? Als Termin wird dieser Sonntag vereinbart. Wenn in Deutschland die Wahllokale schließen, ist bei Vito der Tisch gedeckt. Dann geht die Diskussion weiter.