Dorothea Koch, Kuratorin der Organisation Frappant, sorgt dafür, dass Künstler bezahlbaren Raum zum Arbeiten finden. Am meisten liebt sie Projekte mit ungewissem Ausgang.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Dorothea Koch bekam den Faden von Rolf Weilert und gibt ihn an Magnus Kersting weiter

Kunst ist für sie eine Frage des Überlebens. Der sichere Ort in stürmischen Zeiten. Ein Anker, nach dem sie immer greifen kann. Aufladestation quasi, wenn der Akku leer ist, die Arbeit aber nicht abreißt. Dann geht sie ins Programmkino 3001 ins Schanzenviertel. Schaut manchmal drei Filme hintereinander an. Sie schlendert durch eine Galerie. Oder horcht selbst in sich hinein und macht eigene Projekte. Gründet ein Künstlerkollektiv, entwickelt eine Ausstellung, organisiert Symposien, stellt sich in der Großen Bergstraße hin und baut Straßenschilder auf, die nach Ikea-Produkten benannt sind. Das ist ihre Art zu demonstrieren. Die Dinge auf den Punkt zu bringen. Ihr gefällt die Idee von einem Möbelhaus auf dem ehemaligen Frappant-Gelände im Zentrum von Altona nicht. Zum einen, weil so etwas nicht dort hingehört, findet sie. Zum anderen, weil sie ganz unmittelbar von der Entwicklung betroffen ist. Dorothea Koch, die alle nur Dorle rufen, ist eine von jenen Künstlern, die im Frappant ihr Atelier hatten. Die nicht ausziehen wollte, als die Verträge gekündigt wurden. Und die erfahren musste, dass Kapital stärker ist als die Kunst.

Es war eine Niederlage auf der einen Seite. Und es war ein Neustart auf der anderen. Maßgeblich getragen auch von ihr, die als Kuratorin im Verein Frappant e.V. mitwirkt. Der wurde im April 2009 von Mitgliedern des Forums Altona gegründet. Künstler, Architekten, Filmemacher zogen damals wegen der geplanten Sanierung des Gebäudes in den leer stehenden Frappant-Komplex, der als Brennpunkt der Großen Bergstraße galt. Mithilfe des Vereins wollten sie ihre Interessen vertreten. An der Spitze dabei war Dorle.

Sie ist geblieben. Auch – oder gerade – als klar war, dass die Künstler weiterziehen und ein neues Gebäude hermusste. Weil sie eine Frau ist, die gern Projekte initiiert, sich engagiert für eine Sache, so lange, bis sie am Ziel ist. Die Herausforderung macht für sie den Reiz der Sache aus. „Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas gesettelt ist, steige ich aus“, sagt sie. Jetzt aber steckt sie mittendrin. 150 Mitglieder hat der Verein: Designer, freie Künstler, Fotografen, Stadtplaner, Filme- und Modemacher, Illustratoren, Architekten und Medienkünstler. Sie haben ihre Räume und Ateliers in der alten Viktoria-Kaserne am Zeiseweg 9. Es ist ihr neues „Frappant“. Und diesmal wollen sie sich nicht vertreiben lassen. Ihr Ziel ist klar: Sie wollen das Gebäude von der Stadt kaufen und im Rahmen bestehender Denkmalschutzbestimmungen sanieren.

„Auf diese Weise soll auf Dauer spekulationsfreier Gewerberaum entstehen“, sagt Dorle Koch. Raum für die Menschen und ihre Kunst, für Inhalte und Ideen. Für etwas, das nicht immer Unmengen an Geld einbringt, aber Spaß macht, manchmal unterhält, irritiert, anregt oder einfach guttut. Raum für Kreativität, die sich nicht dem Kommerz unterwirft.

So etwas geht nur gemeinsam. Wenn viele, die weniger haben, zusammenlegen. Dann kann etwas Großes entstehen, da ist sich die Kuratorin sicher. Also verhandelt sie. Mit der Stadt, mit dem Denkmalschutzamt, der Bank. Sie hat darin Erfahrung. Sowohl was Kollektive angeht, als auch was die Entwicklung und Nutzung von alten Gebäuden betrifft. Angst hat sie nicht. Im Gegenteil, es reizt sie, die Dinge anzupacken. Das war schon immer so. Die Frau, die irgendwie zeitlos ist und irgendwo in den Anfängen der 50er steckt, mischt gern bei Projekten mit, deren Ausgang ungewiss ist. Sie mag kollektive Zusammenhänge, wenn Menschen sich zusammentun, um gemeinsam etwas zu erreichen. Und lässt sich treiben von der Sehnsucht nach einer Gemeinschaft, in der sie aufgehoben ist.

Aufgewachsen in Berlin als Einzelkind, habe sie davon geträumt, irgendwann eine große Familie zu haben und mindestens sieben Kinder, sagt sie. Mit 20 bekommt sie ihren ersten Sohn, Florian. Da lebt sie mit ihrem Freund in einer 20er-WG in Kreuzberg. Anfang der 80er-Jahre zieht die Familie nach Hamburg. Zwei weitere Söhne werden geboren. Es sind Jahre, die Dorle Koch den Kindern widmet. Stundenlang treibt sie sich mit den Jungs auf Bauspielplätzen herum, besucht Spielgruppen, knüpft Kontakte. Mit zwei anderen Müttern eröffnet sie schließlich ein kleines Café in der Oelkersallee. Im vorderen Zimmer wird Kuchen serviert, im Hinterzimmer werden Filme gezeigt. Der große Garten wird zum Treffpunkt für die Familien aus dem Stadtteil. Dorle Koch hätte zufrieden sein können. Das Projekt lief. Doch gerade weil das so war, musste sie weiterziehen.

Anfang der 90er steckt sie im nächsten Projekt. Sie möchte ein Hotel eröffnen. Gemeinsam mit fünf Gleichgesinnten geht sie die Idee an. Sie suchen eine Immobilie, nehmen einen Kredit auf und eröffnen nach umfangreicher Sanierung schließlich das Hotel Schanzenstern in der ehemaligen Füllhalterfabrik von Montblanc an der Bartelsstraße. Es gibt vier Geschäftsführerinnen. Eine davon ist sie. Die Idee des Hauses: gute Leistung, aber schlicht. Alles öko, gute Betten, kein Fernseher. Und niedrige Preise. Das kommt an. Das Hotel läuft. Da weiß Dorle Koch, dass es Zeit ist zu gehen.

Sie will sich einen Jugendtraum erfüllen. Verstehen, was Kunst ist. Also beginnt sie, die schon ein Studium der Pädagogik und Kunstgeschichte absolviert hat, ein zweites Studium der Bildenden Kunst bei Rolf Thiele. Sie pendelt zwischen Hamburg, der Hochschule für Künste Bremen und der Académie Galan in Frankreich. Abwechselnd mit ihrem Mann managt sie den Haushalt und die Kinder. Wenn das Geld knapp wird, kocht sie für andere. Das hat sie schon immer gern gemacht.

Sie arbeitet als freiberufliche Künstlerin, Kulturarbeiterin, als Kuratorin und Ausstellungsmacherin. Im Rahmen des Modellprogramms Kulturagenten für kreative Schulen geht sie in die Klassen und führt die Kinder an die Bildende Kunst heran. Sie gründet das Künstlerkollektiv Mehrzweckzwirn Radikaler Handarbeitszirkel, in dem zunächst nur zusammen gehandarbeitet wird. Inzwischen arbeiten die Mitglieder zielgerichteter. Eines ihrer großen Projekte war die Ikea-Straßenschilder-Aktion in der Großen Bergstraße. An drei Tagen in der Woche ist sie außerdem im Museum für Völkerkunde unterwegs, macht Führungen, leitet Schulgespräche und betreut Kindergeburtstage.

Zum Frappant kommt sie im September 2009. Als ihr Atelier abgerissen werden soll, bietet ihr eine Freundin an, einen Raum im Komplex zu mieten. Sie mag das Gebäude, die kreative Atmosphäre, die große Künstler-Gemeinschaft. Seit 2010 ist sie im Vorstand von Frappant e.V. Sie ist aktiv, als es um die Suche nach einem neuen Gebäude für diesen „Produktionsort an den Schnittstellen von Kunst und Kultur, frei und angewandt mit Schaffenden aus unterschiedlichen Disziplinen“, wie sie es nennt, geht: der Viktoria-Kaserne. Gemeinsam mit Lux&Konsorten, deren Ziel es ist, günstigen Gewerberaum selbst zu schaffen, hat der Verein vor Kurzem die Genossenschaft fux eG gegründet. „Wir wollen Signale für Hamburg setzen“, sagt Dorle Koch.

Noch stehen sie am Anfang der Verhandlungen mit der Stadt. Die Kuratorin weiß, dass viele Hürden zu nehmen sind. Und dass die Interessen von 150 Vereinsmitgliedern nicht immer unter einen Hut zu kriegen sind. Sie hat Enttäuschungen genauso erlebt wie die positive Erfahrung vom Engagement Einzelner und dem Wunsch vieler, zusammen etwas zu gestalten.

Sie ist die Richtige für so etwas. Weil gerade Stolpersteine sie herausfordern. Und sie keine Angst hat zu fallen. Sie hat im Leben doch am Ende immer Glück gehabt. Große Brüche, nein, die habe es nicht gegeben, sagt sie. Vielleicht die Trennung von ihrem Mann, ja, die sei schmerzhaft gewesen. Aber sonst? Keine Verluste, keine ausgelassenen Träume, keine von Zweifeln getriebenen Rückzieher. Alles läuft nach Plan. Vielleicht auch, weil sie manchmal auf eben jenen verzichtet. Einfach tut, was dran ist. Jetzt ist es der Kauf der Viktoria-Kaserne. Allein der Name spricht dafür. Er bedeutet Sieg.