Hans Redlefsen, Spross der einstigen Fleisch-Dynastie, ist heute erfolgreich in der Modebranche. Welchen Umweg er nahm und wie weit Freundschaft in der Unternehmensführung gehen kann, schildert Alexander Schuller.

Für seine Eltern, sagt Hans Redlefsen verschmitzt, vor allem für seinen Vater, sei es wohl ein schwerer Schlag gewesen, als er ihnen 1998 eröffnete, in die Modebranche zu wechseln. Aus dem altehrwürdigen Bankhaus Lampe zunächst als Finanzvorstand, seit 2004 dann als geschäftsführender Gesellschafter in den Vorstand des Hamburger Modelabels Closed. Andererseits sei er schon immer gern mit kreativen Leuten zusammen gewesen, und vom „Würstchen mit dem Reißverschluss“ zur Hose sei es sowieso bloß ein kleiner Schritt gewesen, scherzt der 44-Jährige. Und dann gebe es ja auch noch „diese Freundschaft“.

In diesem Fall eine Männerfreundschaft dreier Gleichgesinnter aus verschiedenen Berufen, die sich während ihres Studiums in London kennengelernt hatten und einen gemeinsamen Hintergrund besaßen: Denn Gordon Giers, Sohn des Closed-Gründers Günther Giers, Til Nadler (Nadler Feinkost in Bottrop) und eben auch Hans Redlefsen (Redlefsen Fleischwarenfabrik im schleswig-holsteinischen Satrup) stammen aus klassischen Familienunternehmen, „in denen man noch die innere Kultur der Zusammengehörigkeit findet“, sagt Hans Redlefsen, „den Chef, der durch sein Unternehmen geht und genau weiß, was seine Angestellten machen, wie sie ticken oder welche Probleme sie mit sich herumschleppen, wenn sie denn welche haben.“ Den Patriarchen also, der einen Angestellten auch mal mit durchziehe, weil er hinter der Leistung stets den Menschen sieht.

Familie ist ihm das Wichtigste, und familiär geht’s auch in der Firma zu

Diese Aufmerksamkeit kriege man dann zurück: „Neulich fragte mich mal jemand aus der Marketingabteilung: ‚Mensch Hans: Geht es uns wirklich so schlecht? Du pfeifst gar nicht mehr, wenn du in der Firma unterwegs bist!’“ Er habe – zum Glück – antworten können, dass „das Schlimmste der Krise wohl überstanden sei“. Closed habe zwar auch sparen, jedoch niemanden entlassen müssen. Bis auf die Kreativen („Da reichen zwei Einstellungsgespräche einfach nicht für eine langfristige Beurteilung“) erhielten Mitarbeiter stets unbefristete Verträge, auch die Fluktuation sei sehr gering.

„Dabei wurde meine Generation doch eigentlich zu erfolgsorientierten Investmentbankern gedrillt“, sagt Redlefsen. „Es ging dann darum, wer zuerst den Porsche fährt.“ Fast hört es sich so an, als wundere sich der Bauernsohn noch immer darüber, dass er es durch seinen Wechsel in die Welt der (lässigen) Mode vermieden hat, so zu werden. Obwohl er im Nadelstreifenanzug und korrekt gebundener Krawatte neben einem Kleiderständer voller ausgeblichener Jeansjacken wie ein klassischer Banker wirkt, der sich verlaufen hat. „Nein, nein“, wiegelt er ab, „normalerweise sitze ich auch bloß im Hemd mit offenem Kragen an meinem Schreibtisch. Aber jetzt ist die Zeit der Weihnachtsessen mit den Bankern. Mein Job in unserer Firma ist nun mal das Geld, und Geld ist kein Witz, sondern was Faszinierendes, was Seriöses und auch was Gefährliches.“

Letzten Endes aber sei Geld nicht so entscheidend. Das habe sein Vater ihm und seinen drei Geschwistern jedenfalls immer wieder eingetrichtert: „‚Ich kann euch kein Vermögen vererben, sondern euch nur eine gute Erziehung und eine gute Ausbildung ermöglichen‘, lautete sein Credo“, erzählt Hans Redlefsen, und auch, wie er vorübergehend zwei Jahre in Chile lebte, wo der Senior („Im Herzen war er immer ein Landwirt“) inzwischen einen Milchhof betrieb. „Ein wunderschönes Land mit einem tollen Klima, in dem alles funktioniert – nur eben etwas langsamer, was aber nicht unbedingt schlecht ist“, sagt er, der jedoch niemandem rät, nach Chile zu fahren: „Denn die wenigsten wollen von dort wieder weg.“

Er selbst ging zurück nach Europa und machte sein Abitur auf einem Internat in Holzminden: „Das waren herrliche drei Jahre, in denen ich vollkommen sorgen- und verantwortungsfrei leben konnte“, schwärmt er und deutet augenzwinkernd an, dass er wohl eine orkanartige Sturm- und Drangzeit genießen durfte.

Dann Wirtschaftsstudium auf der European Business School in London, wo er auch seine Freunde traf, die Mode (Gordon) und Marketing (Til) studierten. „Ehrlich gesagt, war das ein ziemlich lockeres Studium“, gibt er zu, „aber natürlich haben wir nicht nur Skat gekloppt und Party gemacht, sondern nebenbei auch was mitgenommen.“ Hans Redlefsen spielt mit seinem Ehering, während er spricht. Er hat zwei kleine Töchter, ist mit einer recht viel jüngeren Frau verheiratet. Seine Familie, meint er, sei sein höchstes Gut, die gehe niemanden was an, höchstens seine Freunde.

Die waren nach dem Studium zunächst eigene Wege gegangen: Gordon Giers arbeitete als Kreativer für Gucci, Til Nadler als Marketingexpertin für Prada, und er selbst fand im besagten Bankhaus Lampe seinen Arbeitsplatz. Aber als Gordon Giers vor nunmehr 15 Jahren das Unternehmen seiner Eltern übernahm und um konstruktive Hilfe rief, waren die beiden Freunde zur Stelle. 2009 konnten sich „die Jungs“ mit dem Titel „Hamburger Unternehmer des Jahres“ schmücken, der ihnen von den Verbänden Die Familienunternehmer (ASU) und Die jungen Unternehmer (BJU) verliehen wurde, da sie ihr Unternehmen wie einen traditionellen Familienbetrieb führen. „Viele Firmen schreiben sich das inzwischen wieder auf die Fahnen, machen es aber nicht richtig“, weiß Hans Redlefsen, „denn das muss man wirklich wollen ...“

Heute können sie behaupten, dass sie es wohl endgültig geschafft haben, nicht zuletzt wegen der ungewöhnlich vertrauensvollen Zusammenarbeit: „Jeder von uns besitzt uneingeschränkte Vollmachten. Ich kann also im Prinzip alles machen, außer die Ehen meiner Freunde zu scheiden. Wenn einer von uns was entscheidet, dann ist es entschieden, allerdings habe ich noch eine Vetokarte – wenn wir etwas nicht bezahlen könnten. Aber jeder von uns darf immer für alle sprechen.“ Verschiedene Ansichten ja, Streit nein – auch nicht auf dem Golfplatz, „wo wir dem unaffektierten Golf der 70er-Jahre hemmungslos frönen“. Ansonsten führen die Familien auch schon mal gemeinsam in Urlaub. „Wobei die Freundschaftsbande zwischen uns Männern wohl dicker sind als diejenigen unserer Frauen.“

Closed hat die Stonewashed-Jeans erfunden; die Hose, die schon beim Kauf so aussieht, als hätte sie einen Tausend-Meilen-Ritt hinter sich; die aufgrund ihres besonderen Schnitts ihre Trägerinnen immer knackig aussehen lässt (nicht viel später kamen auch Männer in diesen Genuss). Es war das erste Mal, dass eine Jeans zum teuren, weil exklusiven Designerobjekt erklärt wurde, dass Jeanshemden kontrastreiche Manschetten und Button-Down-Kragen verpasst wurden und dass in Hamburg-Billbrook ein inzwischen legendärer Outlet-Verkauf ins Leben gerufen wurde, bei dem sich gut situierte Damen aus den feineren hamburgischen Stadtvierteln handfeste Scharmützel um die Schnäppchen lieferten.

„Man muss nicht jedem Trend folgen, sondern das machen, was man gern tut"

Das Unternehmen residiert heute in einem großen, modernen, geklinkerten Flachdachbau am Stadtbahnring in Eppendorf. Die kühle, streng-funktionale Betonarchitektur innen wird immer wieder durch warme, persönliche Accessoires unterbrochen; vor allem bei der goldgelb glitzernden Weihnachtsdekoration im Eingang haben sich die Modeleute große Mühe gegeben. Die Belegschaft ist jung, der Ton locker, das „Du“ selbstverständlich. 150 Menschen arbeiten hier, sorgen für zurzeit rund 80 Millionen Euro Umsatz, kreieren vier Frauen- und Männer- sowie zwei Kinderkollektionen pro Jahr. Die werden ausschließlich in europäischen Ländern gefertigt, vor allem in Italien, was für Qualität und Nachhaltigkeit steht.

Dieses Markenleitbild des Labels ist für die Unternehmer wichtiger, als in Billiglohnländern produzieren zu lassen. „Außerdem haben wir dazu einfach keine Lust“, sagt er und erklärt diese Unlust für sich mit seinen beiden wesentlichen Charakterzügen „Faulheit“ und „Angst“: „Zum einen gehe ich gern den einfachsten und kürzesten Weg, was ebenfalls nicht immer schlecht ist. Und Angst ist für mich ein Zeichen von Intelligenz, denn sie warnt mich vor unkalkulierbaren Risiken.“ Außerdem werde Closed ja bereits an über 1200 Standorten weltweit angeboten, doch vor allem der Verkauf übers Internet „sei zurzeit ein Kuchen, der immer größer werde, leider zum Nachteil des Standortverkaufs. Deshalb wunderten sich manche in der Branche, warum Closed jetzt nicht mithilfe von Investoren zu einem Global Player aufsteigen wolle, auch zum persönlichen finanziellen Vorteil der Inhaber.

Hans Redlefsen schüttelt den Kopf. „Man sollte immer das machen, was man gerne macht“, sagt er bestimmt. „Man sollte sich jeden Tag auf seine Arbeit freuen können. Und deshalb muss man auch nicht jedem Trend folgen, sondern ab und zu mal Gas rausnehmen. Ich will mein eigener Herr sein. Und überhaupt muss man doch erst einmal definieren, was ,genug Geld‘ eigentlich heißt.“ Der letzte Satz stamme zwar von seinem Freund Gordon, aber das dürfe er sagen, sie sprächen ja eh immer bloß mit einer Stimme.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Hans Redlefsen bekam den Faden von René Adler und gibt ihn an Benedikt Holtappels weiter