Mehr als 20 Jahre baute und testete Hamburg ein Röhrensystem, das Milliarden Briefe zwischen den Postämtern befördern sollte. Vor 35 Jahren wurde der Versuch abgebrochen. Oliver Schirg erzählt, warum

Es war ein „wenig erfreuliches Erbe“, das Eva Leithäuser, die neue Chefin der Hamburger Postdirektion, im Herbst 1975 antrat. „Das ‚Ding‘ einzustellen und damit einen Verlust von schätzungsweise 20 Millionen Mark abzusegnen“, schrieb das Hamburger Abendblatt am 30. Oktober 1975. Gemeint war das Aus der Großrohrpost, das letztlich im Herbst 1978 besiegelt wurde.

Angefangen hatte alles in den 50er-Jahren. Die Post fürchtete, dass wegen der Zunahme des Autoverkehrs die Postautos es nicht mehr pünktlich zu den Postämtern schaffen würden. Außerdem hatte sich zwischen 1950 und 1960 im Westen Deutschlands das jährliche Aufkommen an Briefsendungen von vier auf acht Milliarden verdoppelt. In Hamburg waren 35 Prozent aller Briefsendungen Ortssendungen.

„Zwischen 1957 und 1959 entwickelte die Hamburger Post zentral das Konzept einer Großrohrpost, die in allen Städten des Bundesgebietes mit einer Einwohnerzahl über 100.000 eingesetzt werden sollte“, schreibt Ulrich Alexis Christiansen in seinem Buch „Hamburgs dunkle Welten – Der geheimnisvolle Untergrund der Hansestadt“. Im Dezember 1960 ging es los. Auf einer Länge von 600 Metern wurde zwischen dem Postamt 1 am Hühnerposten und dem Postamt 11 unweit des Rödingsmarktes eine Versuchsstrecke in Betrieb genommen.

Man hatte sich für Rohre aus Asbest-Zement (Eternit) mit einem Innendurchmesser von 45 Zentimetern entschieden. Als Transportbehältnis verwendete man Büchsen aus Aluminium. „Die ersten, 0,85 Meter langen Büchsen fassten jeweils rund 1000 Briefe“, schreibt Christiansen. Außen waren an jeder Seite vier Gummiräder angebracht, um die Reibung zwischen Behälter und Tunnelwand zu verringern. Die Büchsen rasten – angetrieben durch Druck- und Saugluft – mit zehn Metern pro Sekunde durch die Rohre.

„Bei Kurven durfte der Radius nicht enger als neun Meter sein, damit später auch der Einsatz von Langbüchsen möglich wurde“, schreibt Christiansen. Diese waren 1,60 Meter lang und konnten bis zu 2000 Briefe befördern. Die Experten der Post gingen von bis zu 150 Büchsen pro Stunde aus, „was einer Gesamtleistung von 300.000 Standardbriefen in der Stunde entsprach“.

Am 8. Februar 1962, um 14.30 Uhr, war es so weit. Auf einer Strecke von 1,8 Kilometern wurde der Normalbetrieb zwischen den Postämtern 1 und 11 aufgenommen. Bundespostminister Richard Stücklen war angereist. „Er schickte die letzte technische Testbüchse auf die vier Minuten lange Reise zum Hühnerposten, danach begann der reguläre Betrieb“, schreibt Christiansen.

Doch die Freude währte nur wenige Tage. Durch die Sturmflutkatastrophe vom 17. Februar 1962 wurden die elektronische Steuerung der Anlage und die Elektromotoren zerstört. Die Keller der beiden Postämter standen unter Wasser. Um herauszufinden, ob die Rohre innen beschädigt waren, startete Oberpostdirektor Georg Heck ein riskantes Manöver. Er ließ sich auf einer Palette liegend mithilfe eines Taus durch das unter dem Alten Wall liegende Rohr ziehen.

Schon damals war den Verantwortlichen klar, dass eine „eingleisige“ Strecke im täglichen Betrieb nicht ausreichen würde. Das Problem: Da Hamburgs Untergrund vor allem im Stadtzentrum bereits dicht verbaut war, reichte der Platz kaum aus. „Man traf auf Betonklötze und unbekannte Bunker, alte Festungswälle und Kaimauern“, berichtete der Autor eines internen Papiers der Post.

An einem Bahndamm stießen die Bauarbeiter auf ein vergessenes altes Abwassersiel. Als man die Mauern abbrach, ergoss „dessen gewaltiger Inhalt sich scheußlich stinkend in die Baugrube und Rohrleitung“. Oft verliefen die Rohrleitungen in einem geringen Abstand zu vorhandenen Bauten. „An einer Stelle blieben zwischen U-Bahn-Tunneldecke und Unterkante der Straßenbahnschiene nur 60 Zentimeter für diese Großrohrpost“, heißt es in dem Post-Papier weiter.

Im Herbst des Jahres 1962 ging es richtig los. Immer im Abstand von 20 Sekunden rasten die Büchsen mit Tempo 40 durch das Rohr. Die ersten Erfahrungen schienen der Rohrpostidee recht zu geben. „Keine Stockung in überlasteten Innenstadtstraßen verzögert mehr die Briefzustellung“, schrieb das Abendblatt. Ein Ausbau des Systems scheiterte aber am Bundespostministerium, das die Finanzierung verweigerte. Letztlich baute Hamburg nur eine „Gegenlinie“ zur Versuchsstrecke. Nach deren Fertigstellung wurden zwischen dem Postscheckamt am Rödingsmarkt und dem Postamt am Hauptbahnhof täglich bis zu 17 Stunden Briefsendungen erfolgreich transportiert.

Mit der Zeit traten jedoch vermehrt Verschleißerscheinungen zutage. Zudem machten Erschütterungen durch U- und Straßenbahnen sowie durch den Autoverkehr dem System zu schaffen. Immer wieder verschoben sich die Rohre. Im Herbst 1978 beerdigte die Post das Projekt in aller Stille. „Diese Rohrpost war ein Versuch“, erklärte das Unternehmen. „Und Versuche können eben auch mal fehlschlagen.“