Das Passage war das erste Lichtspielhaus der Stadt. Volker Behrens schildert, warum Startenor Caruso sich bei „Richard Wagner“ die Ohren zuhielt und wie die Institution bis heute überleben konnte.

Für sein Alter sieht es eigentlich noch ganz gut aus. Das Passage Kino, an der Mönckebergstraße gegenüber Karstadt gelegen, ist der Dino unter den Lichtspielhäusern in Hamburg. Am Freitag ist es 100 Jahre alt geworden.

Und es hatte gerade wieder einen seiner vielen Starauftritte: Beim Hamburger Filmfest präsentierte Hauptdarstellerin Emmanuelle Seigner dort den Film „Venus im Pelz“ ihres Ehemanns Roman Polanski. Aber auch Siegfried Lenz, Bürgermeister Olaf Scholz, Jürgen Vogel, Til Schweiger und Dieter Hallervorden waren in den vergangenen Wochen zu Gast.

Als das Kino eröffnet wurde, war das Medium Film aus heutiger Sicht gerade mal volljährig geworden. 1895 hatten kurz nacheinander die Brüderpaare Skladanowsky in Berlin und Lumière in Paris die Bilder zum Laufen gebracht. 1913 stand die Welt kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Gorch Fock schrieb seinen Hochseefischer-Roman „Seefahrt ist not!“, Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ erschien erstmals im Einzeldruck. In den Autofabriken von Henry Ford wurde das Förderband zur Montage eingesetzt. In den USA kam mit „The Vampire“ außerdem der erste Blutsaugerfilm in die Kinos, und Charlie Chaplin ging endgültig vom Varieté zum Film.

Am Eröffnungsabend lief der Monumentalfilm „Richard Wagner“

In einem der neuen Kontorhäuser wurde im November desselben Jahres das Passage eröffnet. Der Kollege vom „Hamburger Fremdenblatt“ schrieb begeistert und beeindruckt: „Sehr üppig ist der Vorraum mit seinem breiten Treppenaufgang zum Balkon. Er strotzt von Marmor und echten Hölzern, von Perserteppichen und Lichtluxus.“

Aber so reibungslos sollte es am Eröffnungsabend nicht weitergehen. Gezeigt wurde der Monumentalfilm „Richard Wagner“. Noch stumm natürlich, der Tonfilm kam erst 14 Jahre später. Dazu spielte das Hausorchester, das vor der Leinwand einen eigenen Orchestergraben hatte. Im Publikum saß der berühmte italienische Opernsänger Enrico Caruso. Was er vom Orchester hörte, machte ihm offenbar schwer zu schaffen. „Er rief, nicht eben leise, ‚Bääh!‘, trommelte mit dem dunstroten Achatknopf seines Stockes auf dem Zylinder herum und hielt sich dann mit beiden Händen die Ohren zu, bis die Gefahr vorüber war.

Aber sonst war’s sehr nett“, schrieb der Berichterstatter. Ausgegraben haben diese Anekdote Michael Töteberg und Volker Reißmann in „Mach dir ein paar schöne Stunden. Das Hamburger Kinobuch“.

Schon vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 liefen im Passage überwiegend patriotische Filme. 1934 hatte man extra für den ersten NS-Gauparteitag die Premiere der Propagandaschnulze „Hans Westmar – Einer von vielen“ anberaumt. Abends gab es einen Fackelzug vor dem Kino.

Der Film hatte generell im Freizeitverhalten – es gab noch kein Fernsehen – damals einen anderen Stellenwert als heute. 1942 ging jeder Hamburger statistisch gesehen 20-mal pro Jahr ins Kino – es gab davon 117 im Großraum der Hansestadt. Ein Jahr später waren es nach den verheerenden Luftangriffen nur noch 21. Auch das Passage wurde von mehreren Bomben getroffen, die allerdings nicht alle detonierten. Im Mai 1945 beschlagnahmten die britischen Besatzer das Kino und gaben es erst 1951 zurück.

1974 wurde das Passage in zwei Kinos geteilt. Kurz darauf übernahm „Schachtelkinokönig“ Heinz Riech die Geschäfte und teilte noch einmal das Passage 3 ab. 1988 sicherte sich überraschend Hans-Joachim Flebbe das Haus. Der Hannoveraner hatte zuvor in einem Interview noch geschimpft: „Die Medienstadt Hamburg hat, im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten, das mieseste Kinoniveau.“

Flebbe, der vorübergehend mit der Cinemaxx AG eine Art deutscher Kinokönig wurde und heute in Hamburg noch das Savoy am Steindamm betreibt, setzte einiges in Bewegung, um das zu ändern. Das Passage wurde für fünf Millionen Mark umgebaut. Zur Eröffnung spielte Ulrich Tukur. Gezeigt wurde „Der Mann im Hintergrund“ von Ridley Scott.

Ein Bäcker aus Baden-Württemberg ließ die drei Säle im Art-déco-Stil umbauen

Als Flebbe die Cinemaxx verließ, blieb das Passage beim Konzern, aber nur bis 2009. In dem Jahr wurde das Kino geschlossen, weil man sich mit dem Inhaber nicht über die Miete einigen konnte. Es sah damals so aus, als ob das Passage seinen 100. Geburtstag nicht erleben würde, bis ein unerwarteter Retter in den Ring trat. Heinz Lochmann, Kinobetreiber, Bäcker und Hobbymoster aus Baden-Württemberg, übernahm das Traditionshaus und gliederte es in sein acht Kinos umfassendes Imperium ein. Er steht auf Wohlfühlkinos und ließ das Passage für 1,7 Millionen Euro im gediegenen Art-déco-Stil umbauen, bevor es 2010 wieder eröffnet wurde.

Heute hat das Passage drei Säle mit 400, 220 und 40 Plätzen. „Unser Programm ist eine besondere Mischung ambitionierter Filmunterhaltung. Wir bezeichnen es als Boulevard: Von der kleinen Arthouse-Filmperle bis zum Kassenschlager wie James Bond spielen wir einfach gute Filme mit Anspruch“, sagt Theaterleiterin Svantje Höfler. Das Passage-Publikum ist nach ihren Angaben besonders treu. „Manchmal kommen Besucher auf mich zu und sagen: Ich habe hier schon vor 60 Jahren die Karten abgerissen.“

Eine besondere Feier war für den Jubiläumstag, den 1. November, nicht vorgesehen. „Die Lochmann Kino Gruppe betreibt das Passage Kino erst seit dreieinhalb Jahren. Wir sind zwar sehr stolz auf die Geschichte dieses Kinos, ruhen uns aber nicht auf den 100 Jahren aus“, sagt Svantje Höfler. „Wir feiern jeden einzelnen Gast an jedem Tag.“