In den Knicks des Nordens kann die Ernte beginnen. Wie die Sträucher überhaupt dorthin kamen und was man aus ihren Früchten alles machen kann, verrät Irene Jung.

Zuerst die schlechte Nachricht: Wo mein Lieblingsknick liegt, verrate ich nicht. Sonst ist womöglich meine diesjährige Holunderernte in Gefahr. Jetzt die gute Nachricht: Es gibt allein in Schleswig-Holstein – darunter auch im Hamburger Umland – genügend andere Knicks mit einer Gesamtlänge von 45.000 Kilometern, auf denen Sie nach Brombeeren, Vogelbeeren, Schlehen und anderen Herbstfrüchten stöbern können.

Aus einem Heißluftballon betrachtet sind Knicks Norddeutschlands grünes Raster, das Felder, Wiesen und Wälder sauber aufteilt. Am Boden bilden Knicks einen netzartigen Lebensraum für rund 7000 Tierarten – von Igeln und Haselmäusen über Eidechsen und viele Vogelarten bis hin zu Insekten. Klassische Knickgehölze sind Haselsträucher, Schlehdorn, Hundsrose, Brombeerbüsche, Pfaffenhütchen, Weißdorn, Ebereschen und Sanddorn. Ihre Früchte machen Knicks im Herbst zur Wintervorratskammer der tierischen Bewohner.

Dänenkönig Christian VII. hatte zwischen 1766 und 1770 den wichtigsten Anstoß zur Knicklandschaft gegeben, als er verordnete, die Felder überall in Schleswig-Holstein zu „verkoppeln“, das heißt mit Wallhecken zu umschließen. Die Bauern nutzten als Basis oft Feldsteine, die sie aus den Äckern sammelten, bedeckten sie mit Grassoden und bepflanzten die neuen Wälle zum Schutz gegen Viehverbiss mit einheimischen Dornensträuchern. Im Laufe der Zeit kamen Gehölze wie Holunder, Hainbuchen, Stieleichen, Birken und Weiden dazu, die Brennholz und billiges Material für Holzwerkzeuge lieferten, und dazu natürlich viele Wildkräuter.

Knicks sind lebendige grüne Wände, bis heute Grenzmarkierungen und Erosionsschutz. Aber würde man sie einfach wuchern lassen, bildeten sich viele blattarme Wassertriebe, und die Gehölze würden „auskahlen“. Der Name „Knick“ leitet sich aus dem regelmäßigen „Knicken“ ab: Alle zehn bis 15 Jahre werden die Gehölze abgeschnitten („auf den Stock gesetzt“), um einen starken Neuaustrieb zu fördern. Nur einzelne größere Bäume lässt man in der Regel stehen.

Ein auf den Stock gesetzter Knick ist ein fürchterlicher, geradezu deprimierender Anblick. Vor allem wenn keine Motorsägen oder Knickscheren, sondern grobe Schleglermaschinen benutzt wurden. Die Knick-Flora wird auch geschädigt, wenn Landwirte die äußeren Zweige im August und September zurückschneiden – dann gehen viele Früchte als Winternahrung für Tiere verloren – oder Düngemittel und Pestizide bis unmittelbar an den Knickfuß versprühen. Nach Schätzungen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch mehr als 80.000 Kilometer Knicks im nördlichsten Bundesland. Durch neue Siedlungen und die Erweiterung von Agrarflächen sind davon heute nur etwas mehr als die Hälfte geblieben.

Um den Schutz der Knicks als „landschaftsbestimmendes Merkmal“ gab es deshalb immer wieder Streit zwischen Bauernverbänden und Naturschützern, die den Landwirten vorwarfen, die Knickschutzverordnung aufzuweichen. Unter dem grünen Umweltminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Robert Habeck werden Schleswig-Holsteins Knicks seit 2012 wieder konsequenter geschützt. Landwirte müssen beim Pflügen jetzt einen 50 Zentimeter breiten Schutzsaum am Knickrand lassen. Die Gehölze dürfen alle drei Jahre nur schräg nach oben auslaufend beschnitten werden. Und nur noch in Ausnahmefällen darf man einen Knick verlegen. Als Ausgleich dafür muss anderswo ein neuer Knick oder ein Redder (von zwei Knicks gesäumter Weg) angelegt werden.

Im Moment leuchten die Knicks bunt: Schwarze Holunderbeeren, gelber Sanddorn, knallrote Hagebutten und Vogelbeeren – die Früchte der Eberesche – sind jetzt reif. Vogelbeeren enthalten viel Vitamin C, dürfen aber wie Holunderbeeren nur in gekochtem Zustand gegessen werden. Für Vogelbeeren und die dunkelblauen Schlehen, die erst im Oktober und November reifen, gilt außerdem: Sie werden erst nach dem ersten Frost süßer und genießbar.

Natürlich finden Sie Brombeeren auch an Bahngleisen oder im Altonaer Volkspark, Schlehen und Ebereschen an Landstraßen. Aber wer herbstliche Beeren ernten möchte, findet auf Knicks alle. Bitte lassen Sie den Knickbewohnern etwas übrig, den Rotkehlchen, Buchfinken, Goldammern, Rebhühnern, Igeln und Haselmäusen. Ihnen sichern Knicks das Überleben.