Ob die Energienetze in öffentlicher oder privater Hand sein sollen, hat Hamburg schon vor mehr als 100 Jahren diskutiert. Oliver Schirg erinnert an die Anfänge und den rasanten Ausbau der Stromversorgung.

Es ist eine Umwälzung, die eher schleichend daherkommt. Im Jahr 1879 installieren Hamburger Reeder auf den Dampfschiffen „Theben“ und „Kosmos“ elektrische Beleuchtungen. Da auch eine erste Kaianlage elektrische Bogenlampen erhält, können Frachter jetzt bei Tag und Nacht be- und entladen werden. Eine Produktivitätssteigerung ohnegleichen.

So richtig ins Bewusstsein der Hamburger gelangt der Nutzen elektrischer Energie aber erst 1880. Der Gartenbauverein für Hamburg, Altona und Umgebung überrascht bei seiner jährlichen Frühjahrsausstellung die 40.000 Besucher mit einer elektrischen Illumination aus 18 Lichtbogenlampen.

Die Begeisterung der Hamburger für Elektrizität ist groß. So findet das Dritte Deutsche Sängerbundfest 1882 in der elektrisch beleuchteten Festhalle auf der Moorweide statt. Ein Augenzeuge: „Infolge ihrer eigentümlichen Glasconstruction und ihrer durchsichtigen Wände erhielt sie dadurch ein nahezu märchenhaftes Aussehen.“

Auch Geschäftsleute entdecken rasch die Vorteile der neuen Technik. Die Juweliere Brahmfeld & Gutruf am Jungfernstieg und das Hotel St. Petersburg erhellen ihre Räumlichkeiten. Der Optiker Krüß an der Adolphsbrücke sorgt für Aufsehen, weil er im Schaufenster eine elektrisch betriebene Eisenbahn fahren lässt.

1881 stellt der Ingenieur Huber an den Senat einen Antrag, wonach „einer am hiesigen Platz zu constituierenden Gesellschaft die Concession zu erteilen“ sei, um mit Hilfe dieser „die zur Leitung des electrischen Stromes erforderlichen Drähte in entsprechender Weise und ähnlich wie die Rohre der Gas- und Wasserwerke in den Straßen legen zu dürfen“.

Bereits zu jener Zeit diskutieren die Stadtoberen, ob die Versorgung mit Strom eine öffentliche Aufgabe sein oder in private Hände gegeben werden sollte. Im Senat erkennt man zwar die geschäftlichen Möglichkeiten, die ein Monopol bei der Stromversorgung mit sich bringen würde, schließlich muss ein allgemeines Stromnetz öffentlichen Grund nutzen.

Allerdings trauen die Stadtoberen den Verheißungen nicht, zumal es keine Erfahrungen aus anderen Städten gibt. Um das Risiko zu minimieren, entscheiden sie, zunächst mehrere kleinere Versuchsanlagen zu mieten und in der Regie der Stadt zu betreiben. Im Februar 1882 werden für öffentliche Probebeleuchtungen unter anderem am Rathausmarkt, in der Ratsstube, im Sitzungssaal der Bürgerschaft und am Kaiserkai 40.000 Mark bewilligt. Über die erste Probebeleuchtung in der Bürgerschaft berichtete der „Hamburgische Correspondent“: „Man konnte bei gutem Auge die Mitglieder und Gäste des Hauses deutlich erkennen, was früher nicht der Fall war.“ Am 8. Dezember 1882 werden am Rathausmarkt 75 Gaslaternen durch 16 Lichtbogenlampen ersetzt. Hamburg ist nach Nürnberg und Berlin die dritte deutsche Stadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung.

1884 kauft die Stadt die bis dahin gemieteten Anlagen, 1888 nimmt sie das erste reguläre Kraftwerk in Betrieb. „In dem großen Maschinenraume der ersten electrischen Centralstation versammelten sich gegen 8 Uhr abends eine Anzahl von Herren auf Einladung des Herrn Director Haase, um der Inbetriebnahme der ersten Maschinenanlage und dem ersten Aufflammen des durch sie erzeugten electrischen Lichtes beizuwohnen“, berichtete der „Hamburgische Correspondent“. Der Raum ist festlich geschmückt, als die Maschinen ihre Arbeit aufnehmen. „Rascher und rascher begannen die Kolben der mächtigen Dampfmaschine sich zu regen, das pfeifende Geräusch des gepressten Dampfes hörte auf und an den Leitungsbürsten der Dynamomaschine zeigten bläuliche Funken, dass die Strombildung begonnen habe.“ Eine Minute vergeht, „und plötzlich erstrahlte der Raum in taghellem Glanz“.

Der Präses der Finanzdeputation, Johann Georg Mönckeberg, wird wenig später beauftragt, „in Erwägung zu nehmen, ob es nicht an der Zeit sei, die elektrische Beleuchtung, sei es direct in Regie, sei es durch Übereinkunft mit einer leistungsfähigen Gesellschaft … staatsseitig in die Hand zu nehmen“.

Die im August 1891 von der Finanzdeputation veröffentlichte Ausschreibung für Hamburgs Stromversorgung versucht denn auch einen Spagat. Es sei eine öffentliche Aufgabe, rund 553.000 Hamburgern – das sind zu dem Zeitpunkt 86,5 Prozent der Bevölkerung – Zugang zu Strom zu ermöglichen. Allerdings scheut man im Rathaus weiter das unternehmerische Risiko, zumal hohe Investitionen notwendig sind. 1892 geht der Zuschlag an das Nürnberger Unternehmen Siegmund Schuckert & Co. Dessen Besitzer versprechen der Stadt neben einer 20-prozentigen Produktionsabgabe eine Gewinnbeteiligung von 25 Prozent. Gut zwei Jahre später – am 30. März 1894 – wird die Aktiengesellschaft Hamburgische Electricitäts-Werke in das Handelsregister eingetragen. 85 Prozent des Grundkapitals von rund sechs Millionen Mark stellt die Schuckert & Co. AG zur Verfügung.

In den darauf folgenden Jahrzehnten entwickelt sich Hamburg nach Berlin zur zweitgrößten Industriestadt im Deutschen Reich. Beim Bau der Speicherstadt wird 1888 das erste Hafenkraftwerk errichtet. Dabei geht es nicht nur um die Beleuchtung der Hafenanlagen. Vielmehr erleichtert die Elektrizität auch den Transport der Güter innerhalb des Hafens. 1888 setzt die Werft Blohm & Voss die ersten Elektrokräne ein, 1891 zieht der Hafen mit solchen Geräten nach. 1898 werden am O’Swald- und am Amerikakai 58 elektrische Kräne installiert.

1910 knackt Hamburgs Bevölkerungszahl die Millionenmarke. Dem Senat ist daran gelegen, dass die HEW ihr Monopol über die Stromversorgung behalten, damit sie weiterhin hohe Preise realisieren können. Der 1. April 1912 markiert einen Wendepunkt, beschließt die Bürgerschaft doch, die Verhältnisse bei den HEW grundsätzlich neu zu regeln. Elektrizität ist inzwischen für die Entwicklung der Stadt zu wichtig und zu profitabel geworden, um die Versorgung damit allein privaten Unternehmen zu überlassen. Am 15. Juli 1914 beteiligt Hamburg sich an den HEW mit 50 Prozent. Das Aktienkapital wird von 22 auf 44 Millionen Mark verdoppelt. Hamburg stellt fünf der zehn Aufsichtsratsmitglieder, der Senat hat in strittigen Fragen das letzte Wort.

Die 20er-Jahre sind von einem weiteren zügigen Ausbau der Stromversorgung geprägt. Neue Kraftwerke entstehen. Das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 schlägt neben Harburg und Altona auch viele Gemeinden des Umlandes Hamburg zu – und mit ihnen deren Elektrizitätsunternehmen. Das Absatzgebiet der HEW verdoppelt sich.

Im Jahr 1999 erwirbt Vattenfall 25,1 Prozent der HEW-Unternehmensanteile von der Freien und Hansestadt Hamburg, im Mai 2001 wird der schwedische Konzern zum Mehrheitsaktionär. Anfang des Jahres 2003 kauft Vattenfall auch den letzen 25-Prozent-Anteil der Stadt.