Marietta Andreae bringt Wirtschaft, Kultur und Öffentlichkeit zusammen. Für ihre PR-Agentur und für sich selbst pflegt sie 20.000 Kontakte. Ein Porträt von Hans-Juergen Fink

Wenn alles gut läuft, ist Marietta Andreae fast unsichtbar. Führt im Hintergrund eines Events Regie. Stellt dem Gastgeber dezent die Gäste vor, die sie für ihn eingeladen hat. Bringt Menschen zusammen. Sammelt Visitenkarten, knüpft neue Fäden, registriert unverhoffte Verbindungen. Marietta Andreae ist PR-Unternehmerin, Büro am Neuen Wall.

„Ich bin leidenschaftlich gern Mittlerin zwischen Marken, Produkten, Künstlern auf der einen Seite und der Öffentlichkeit auf der anderen. Ich nutze Synergien aus meinem nicht unerheblichen Netzwerk.“ Unternehmen und Menschen kommen zu ihr, wenn sie eine Botschaft ganz gezielt bei Multiplikatoren und Medien unterbringen wollen.

Da geht es um noble Mode, edle Uhren oder eine neue Schmucklinie, um die Eröffnung eines neuen Ladens, die Präsentation eines Immobilienprojekts oder eine besondere Kunstausstellung, um eine neue Sportart oder ein Symphonieorchester. Marietta Andreae kümmert sich darum, dass positiv über das Ereignis gesprochen wird, dass die Medien berichten, und dass alles zum Auftraggeber passt – von der Einladungskarte über die Gästeliste und den Veranstaltungsort bis zum Catering. Gerade erst hat sie beim Galopp-Derby die VIP-Lounge für den Hamburger Renn-Club organisiert mit dem Ziel, das Derby in Horn auch wieder zum gesellschaftlichen Ereignis zu machen. Mehr als 500 Gäste kamen auf ihre Einladung hin.

Zu Pferden hat sie eine besondere Beziehung. Ihr Vater war der Offizier und Springreiter Hans-Joachim Andreae, hat einmal sogar in Hamburg das Deutsche Springderby gewonnen. Zur Welt gekommen ist sie im bayerischen Rosenheim. Wann das war? Nonchalant überhört sie die indezente Frage.

Von Bayern über Australien und Düsseldorf zu Chanel nach Hamburg

Aufgewachsen ist sie auf dem Land bei München und bei den Großeltern in Baden-Württemberg. Die Frau, die in Hamburg feinstes Hochdeutsch spricht, kann auch fließend Bayerisch und Schwäbisch. Beides hat sie auf dem katholischen Internat Kloster Wald gelernt, wo sie, selbst evangelisch, die vier Jahre bis zum Abitur lebte. Aus der Internatszeit stammen auch die ältesten Einträge ihrer Adressenliste.

Nach dem Abitur geht sie als Au-pair-Mädchen nach England und besucht eine Sprachenschule. Danach Paris und wieder München, wo sie auf der Städtischen Sprachenschule zur Dolmetscherin Deutsch/Englisch ausgebildet wird. Sie unterrichtet sitzen gebliebene Kinder, „langweilig“.

Eine Tante, die dort wohnt, lockt sie 1971 nach Australien. Ein Kontinent voller Chancen. Marietta Andreae bekommt einen Job bei einer Kosmetik-Tochter von Hoechst Australien. Durchläuft alle Abteilungen, auch Marketing und Public Relations. Bewirbt sich damit in Deutschland bei Marbert. Wieder München, dann Düsseldorf. Sie bildet Mitarbeiter im Vertrieb aus, hält Seminare über Parfüm – und die Ohren offen. 1976 ruft Chanel. Sie geht liebend gern nach Hamburg, wo sie und ihre Eltern viele Freunde haben. Es wird ein Job für fast 25 Jahre, eine kleine Ewigkeit im quirligen PR-Business. Jetzt professionalisiert sie ihre Adressenliste: sammelt Visitenkarten, überträgt sie, archiviert. Dazu das Wo, Wann und Wie eines Treffens, die Vorlieben eines Menschen – ihr Kapital im PR-Business.

Sie sammelt Menschen, mit großer Freude. Die meisten kennt sie auch sehr gut. „Ein großes Netz bringt ja wenig, wenn Sie keinen Bezug zu den Personen haben und die nicht zu Ihnen. Die, die man anspricht, sind sehr anspruchsvoll, und werden mit Einladungen zugeschüttet. Also wählen sie genau aus, wo sie hingehen und wo nicht.“ Da zählt die PR-Persönlichkeit, die einen anregenden Abend und gute, vielleicht sogar nützliche Verbindungen garantieren kann. Und dass die Einladungen auf ein wirkliches Interesse des potenziellen Gastes treffen. Wer für Sport schwärmt, wird sich bei einem Kunst-Event selten wohlfühlen und umgekehrt.

Wie groß ist ihre legendäre Namensliste? Aus dem Stand kann Marietta Andreae das gar nicht sagen, „das ist ja nicht nur Hamburg, sondern auch national und international“. Einen Tag später hat sie nachgeschaut: So um die 20.000 handgepflegte Kontakte seien es, Privatpersonen und Journalisten.

Die Weltmarke Chanel ist „der absolute Traum“. Kaum ein Segment im Luxusbereich, das Chanel nicht abdeckt. Haute Couture, Prêt-à-porter, Accessoires, Parfüms, Kosmetik, echter Schmuck, Uhren. Da ist Marietta Andreae voll in ihrem Element, Teil eines ganz großen Netzes, sie informiert über Neuheiten, kümmert sich um die Wünsche der Journalisten, „um ihnen die Arbeit zu erleichtern“, sorgt für gute Plätze bei den Modeschauen in Paris. Vermittelt Zugang zu Karl Lagerfeld und den anderen Chanel-Größen. Und ist überzeugt: „Das ist ein Austausch, wir sitzen alle in einem Boot.“

Sie organisiert die Eröffnung von neuen Chanel-Boutiquen in Frankfurt, Hamburg, München oder Wien. Lässt Modeschauen in einem Museum für moderne Kunst stattfinden, mit Model-Stars wie Claudia Schiffer, Helena Christensen. Wer sie nach Erlebnissen, nach Anekdoten fragt, erlebt eine ihrer wichtigsten Eigenschaften: absolute Diskretion. Sie vermeidet eisern jedes Namedropping und alle Geschichten über ihre Kunden und Gäste sowie über Drängeleien und Dreistigkeiten.

Erinnert lieber an gelungene Inszenierungen, mal mit 80, mal mit 1000 handverlesenen Gästen. Und erzählt von den 500 handgeschriebenen, persönlich gehaltenen Weihnachtskarten, die sie verschickt, um sich bei Journalisten, Freunden, Kunden zu bedanken. „Manche Leute haben die gesammelt.“ Kein Wunder, früher hatte sie meistens Karl Lagerfeld entworfen.

Überhaupt: Lagerfeld. 1983 hat sie ihn kennengelernt, bei der zweiten Show, die er für Chanel machte. Damals wurde sie gerade Director Public Relations. Sie bekam schnell den Draht zu dem genialen Modemacher. „Es wurde eine wunderbare, sehr enge Zusammenarbeit.“

Sie schwärmt noch heute. „Seine unendliche Kreativität. Er ist eines der wenigen Universalgenies unserer Zeit, kann fantastisch zeichnen, erspürt Strömungen, ist extrem belesen, interessiert, ohne Vorurteile, der großzügigste und liebenswürdigste Mensch, den man sich denken kann.“

Sie hat ihn oft begleitet, auch bei seiner ersten Besichtigung der legendären „Villa Jako“ am Baurs Park in Blankenese. Hat Mode-Shootings organisiert. Ihn auf vielen Reisen erlebt, hat die Idee zu seinen Fotoausstellungen entwickelt.

Mit Karl Lagerfeld entwickelte sie einen Steinway-Flügel in limitierter Auflage

War sie seine Muse, wie manchmal geschrieben wird? Das wäre übertrieben, findet sie. „Das wäre ja Inspiration, und die hat er selber. Nein. Nein. Nein. Wir haben viele Ideen ausgetauscht, wir standen uns sehr nahe.“

Bei Chanel ist sie 2000 ausgestiegen. „Das Kreative verschwand langsam aus dem Job, stattdessen wurden Veröffentlichungen in ihren Anzeigenwert umgerechnet.“ Sie macht sich selbstständig, behält Chanel als Kunden. Doch Aufträge von dort sind selten. Die Zusammenarbeit mit Lagerfeld geht weiter. Sie entwickelt mit ihm Projekte wie die Gestaltung eines Steinway-Flügels in limitierter Auflage oder die Fotoproduktion des VW Phaeton in der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Dazu wächst eine lange Liste neuer Kunden, manche kommen regelmäßig, andere in längeren Abständen, beste Namen aus dem Wirtschaftsleben sind dabei. „Vielleicht zwölf bis 14 große Events“ plant sie pro Jahr, dazu die klassische Pressearbeit. Sorgfältig ausgesucht, „ich muss mich mit den Kunden identifizieren können“.

Und eine ganze Reihe von Charity-Aktivitäten, in deren Dienst sie sich stellt: für die Hamburger Kunsthalle zum Beispiel, für die Hamburger Symphoniker, die Hamburgische Kulturstiftung, für „Innocence in danger“, für die Aktion Dunkelziffer, für Hamburg Leuchtfeuer.

Ist Pressearbeit schwieriger geworden? Marietta Andreae sagt: „Jein.“ Sicher, die Journalisten mancher Verlage lassen sich nicht mehr einladen, „Riesenhummer und Kaviar“ sind kaum noch zeitgemäß. Champagner? „Wenn das unbedingt jemand möchte. Es muss doch zum Anlass passen.“ Auch die Erwartungen potenzieller Auftraggeber ändern sich: „Wir machen ein Event, können Sie uns 50 Promis liefern?“ Das geht gegen ihre PR-Ehre, „ich werde meine Kontakte nicht vergraulen durch ein Event, bei dem ich nicht an der Planung beteiligt war und garantieren kann, dass es gelingt.“

Freizeit, das ist für sie, wenn sich die ruhigen Momente zwischen den Events mit dem Treffen von Freunden füllen, mit Kontakten, die gehalten werden. „Kulturelle Geschichten“, Kunstmessen und natürlich die Salzburger Festspiele, zu Ostern wie im Sommer, seit 25 Jahren. „Im Dirndl tagsüber, selbstverständlich, so wie auf der Wiesn“, dem Münchner Oktoberfest.

Ein wirkliche Trennung zwischen geschäftlich und privat scheint es bei ihr so wenig zu geben wie den Gedanken ans Aufhören. „Ich liebe, was ich tue. Solange es Kunden gibt, die mit mir zusammenarbeiten, werd ich weitermachen.“

Und immer wieder die Balance suchen zwischen der Regisseurin im Hintergrund und der Geschäftsfrau, die sich auch selbst im Gespräch halten muss. „Natürlich freu ich mich, wenn ich irgendwo selbst Gast bin und Fotografen und Journalisten einen kennen.“ Eigen-PR ist sowieso das Schwierigste, in der feinen Balance zwischen Diskretion, Dezenz, dem Akquirieren von Aufträgen und dem Sammeln neuer Kontakte. Und am allerbesten wäre es, wenn gar nicht auffällt, dass es ganz am Ende, nach all dem Vergnügen, doch immer ums Verkaufen geht.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Marietta Andreae bekam den Faden von Albert Darboven und gibt ihn an Daniel Kühnel weiter.