Im Juni 1953 eröffnete die Jugendherberge am Stintfang. Axel Tiedemann erinnert an den Kampf um die schöne Lage und eine Senatorin, die ihn gewann.

Die Aussicht ist wirklich grandios, „great“, „espectacular“, wie internationale Gäste auf der Facebookseite des Hauses begeistert notieren. Der Stintfang, hoch über den Landungsbrücken gelegen, könnte damit Lage des ersten Hauses am Platze sein. Doch hier kann man für 21,50 Euro die Nacht wohnen – in einem der drei Acht-Bett-Zimmer, wo junge Rucksacktouristen gern übernachten. Oder in Zwei- bis Sechs-Bettzimmern, preisgünstig, familienfreundlich – so wie es Jugendherbergen heute eben auch bieten. Dabei sollte dort ganz nahe am grimmig dreinschauenden Stein-Bismarck tatsächlich ursprünglich ein Luxushotel stehen. Nur einer beharrlichen Politikerin ist es zu verdanken, dass es anders kam: Im Juni 1953, vor jetzt 60 Jahren, konnte Hamburgs Jugendherberge am Stintfang eröffnet werden.

Es war ein Jahr, in dem vieles gebaut und aufgebaut wurde: die spätere Kennedybrücke zum Beispiel oder das Operettenhaus. Auch auf den Trümmern der zerstörten Deutschen Seewarte sollte wieder ein Neubau entstehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg liebäugelte Bürgermeister Max Brauer zunächst mit der Idee, dort an der Elbe ein Hotel zu bauen. Doch energisch trat seine Jugendsenatorin Paula Karpinski dagegen an.

Die Sozialdemokratin und erste Politikerin im Ministerrang einer deutschen Landesregierung war 1928 in die SPD eingetreten, in der NS-Zeit wurde sie mehrmals inhaftiert. Beharrlichkeit zeichnete sie aus. Nicht nur, dass sie nach dem Krieg die Anlage von Spielplätzen überall in der zerbombten Stadt vorantrieb, ebenso unermüdlich setzte sie sich gegen wirtschaftliche Interessen für den Bau einer großen Jugendherberge in so zentraler Lage ein. Wohl wissend, dass es wenige Jahre nach der Nazi-Diktatur kaum bessere Möglichkeiten für eine Stadt gab, sich wieder von einer friedvollen, gastlichen Seite zu zeigen. „Wir wollen dafür sorgen, dass der Geist des Friedens von hier in die Welt ausgeht“, sagte sie bei der Einweihung. Wochenschau-Filme aus jenen Tagen zeigen meist Jungen mit ordentlichem Scheitel, Rucksack und kurzer Hose, die die Treppen zu dem damaligen Neubau hochmarschierten. Sie kamen mit dem Fahrrad, wanderten oder trampten nach Hamburg.

Bereits gleich zu Beginn waren die Jugendherberge und ihre damals schon 350 Betten im Sommer häufig ausgebucht. 60 Pfennig kostete ein Bett die Nacht – streng getrennt waren die Zimmer nach Mädchen und Jungen. Abends spielte der Herbergsvater Schifferklavier, und man sang Volkslieder. Ein Ausflug zur nahe gelegenen sündigen Meile – das war undenkbar, jedenfalls nachts. Die Welt war noch anständig im Adenauer-Deutschland. Um 22 Uhr hieß es streng: Licht aus!

Heute zählt die Jugendherberge immer noch gut 357 Betten, etwa 102.200 Übernachtungen registrierte das Haus im vergangenen Jahr, nach Köln das zweitbeste Ergebnis unter den rund 500 deutschen Jugendherbergen. Und noch immer sind es neben Familien vor allem junge Reisende, die sich an der rund um die Uhr geöffneten Rezeption anmelden.

Und da ist auch schon der große Wandel zu erkennen, der nicht nur die Jugendherbergen, sondern auch die Lebenskultur schlechthin erfasst hat in Deutschland. Nachtruhe um 22 Uhr? Mitnichten. Heute hat die Jugendherberge am Stintfang sogar eine eigene Bar für die Gäste: Das Chicago Backpackers Bistro mit seiner Glasfront zum Hafen öffnet erst um 20 Uhr, Wein und Bier gibt es dort zu günstigen Preisen – während in den 1950er-Jahren Alkohol noch verpönt war. Mädchen und Jungen schlafen auch nicht mehr getrennt, der Umgang ist entspannt unter den Geschlechtern. Und wie in den meisten anderen Jugendherbergen auch hat sich das kulinarische Angebot ebenso verändert wie der Umgang mit einer etwas verspannten Moral: Statt Hagebuttentee und Graubrot gibt es morgens Biobrötchen, Obst und Müsli. „Hagebuttentee haben wir noch – aber auch 19 andere Sorten“, sagt Stintfang-Leiter Sven Seidler.

Geblieben ist aber der spektakuläre Blick aus den Zimmern, von der Terrasse und der Bar. Und das weckte immer wieder andere Begehrlichkeiten, zuletzt Ende der 1990er-Jahre, als es wieder einmal Pläne gab, das städtische Grundstück für einen Hotelbau zu nutzen. Noch einmal schaltete sich daher die seinerzeit hochbetagte Paula Karpinski ein und schrieb an Bürgermeister Henning Voscherau einen Brief: „Lasst die Finger vom Stintfang“, so die unmissverständliche Botschaft. Der Vertrag wurde jedenfalls dann in einen unbefristeten Pachtvertrag umgewandelt und das Gebäude für viele Millionen Euro modernisiert.

Die Frau, die zweimal dafür gesorgt hat, dass man in Hamburg für kleines Geld am Stintfang logieren kann, wo sonst das große Geld sich die spektakulären Lagen kauft, starb 2005 im 108. Lebensjahr. Seit Kurzem erinnert nicht nur die Jugendherberge selbst daran. Im 60. Jahr ihres Bestehens wurde vor wenigen Wochen der Platz davor in Paula-Karpinski-Platz benannt. Er ist, wenn man so will, auch so etwas wie ein Denkmal für eine Stadtentwicklungspolitik, die sich gegen starke Wirtschaftsinteressen hinwegzusetzen vermag.