Verkaufen ist für Jürgen Gosch nicht Beruf, sondern Berufung. Hans-Juergen Fink traf den Fischhändler, der mal auf dem Bau angefangen hat, in einer Sylter Tiefgarage.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Jürgen Gosch bekam den Faden von Elisabeth Korgiel vom Verein Verwaister Eltern und Geschwister und gibt ihn weiter an die Brüder Braun.

Nein. Viel Zeit hat Jürgen Gosch nicht für ein Gespräch. Und gegen Mittag auf gar keinen Fall, Hauptgeschäftszeit. Und sagt dann doch: "Kommen Sie einfach. Wenningstedt am Kliff, da schauen wir weiter."

14.30 Uhr, ein Freitag. Sein neuer Laden, 400 Plätze, mit Strandblick, der wie eine Düne schwungvoll mit begrüntem Dach knapp an der Kliffkante aufsteigt, ist brechend voll. Der Chef, der am Mittwoch seinen 72. Geburtstag feierte, steuert flink durchs Gedränge, die Blicke seiner Gäste erwarten ihn fast andächtig. Hier ein Scherz, dort lässt er sein Markenzeichen, einen roten Plüschhummer, über die Kochjacke krabbeln. Entspanntes Urlaubslachen folgt ihm, fast könnte man meinen: Erst wer ein paar Worte mit Jürgen Gosch gewechselt hat, ist wirklich auf Sylt angekommen. Zwischendrin dirigiert er mit den Augen einen Kellner zum Abräumen, schaut in der Küche nach dem Rechten, hebt eine heruntergeflatterte Serviette auf, arrangiert selbst ein Tablett frischer Fischbrötchen am Tresen.

Eine ruhige Ecke für unser Gespräch in diesem Trubel? "In der Tiefgarage", entscheidet Gosch. Da ist es kühl, aber tatsächlich ruhig. Durchatmen. Der Fischbrötchen-König schaut reserviert: Was soll ich bloß erzählen? Geboren 1941 in Tönning, ohne Vater groß geworden. Schule? "Hauptschule nur. In Rechtschreibung bin ich heute noch 'ne Pflaume." Dafür war er in Rechnen so fix wie der Lehrer. Der Junge, acht, neun Jahre alt, durchkämmt Schrottberge nach Eisen und Kupfer, um etwas Geld heimzubringen. Geld bringt auch das Krabbenpulen. Er kann es heute noch, sogar einhändig, war mal Weltmeister. Maurerlehre. Auftrag auf Sylt, als er 18 ist. Der Abend am Hafen in List, als er Urlauber bei den Krabbenfischern nach Aal fragen hört und es keinen gibt. Am nächsten Abend steht er da - mit einem Korb voller Aale. Und Brötchen? Morgen hat er welche. Bald erklärt er seinem Chef: "Ik bün gor keen Murmann, ik bün'n Handelsmann."

Stapft mit Fisch und Brötchen durch den tiefen Sand der Sylter Strände, fünf Jahre später hat er seine erste Fischbude in List. Der Rest ist Firmengeschichte. Aktueller Stand: elf Verkaufsstellen auf der Insel, 32 Franchise-Läden in der ganzen Republik. Auch die Kreuzfahrer der "Mein Schiff"-Flotte werden mit Gosch-Fisch beliefert. Dazu kommen ein Internetshop und eine Produktionsstätte in Enningstedt bei Schleswig, alles organisiert in GmbHs und einer Verwaltungs-GmbH. In Hamburg gibt's Gosch im Hauptbahnhof, am Flughafen, im Alster-Einkaufs-Zentrum und, ganz neu, im ehemaligen Café Keese an der Reeperbahn.

Der Mann hat es geschafft, nackten Männern und Frauen in die Taschen zu greifen, als er Fischbrötchen an der legendären FKK-Buhne 16 verkaufte. Immer einen Spruch auf den Lippen. "Wollen Sie einen männlichen oder einen weiblichen Aal?" Die interessierte Kundschaft klärte er über den Unterschied auf: "Die auf dem Rücken liegen, sind die Weibchen. Die männlichen liegen auf der Seite, die sind fertig mit der Welt." Kommunikation ist alles. Als ihm das Stapfen durch den Sand zu viel wird, kauft er sich eine Bimmel. Und jodelt dazu. Da stapfen die Kunden zu ihm.

Der Mann ist ein begnadeter Verkäufer. Er tut eine Menge dafür. Früh aufstehen zum Beispiel. Als er noch den Sperrmüll durchsuchte, war er morgens vor allen anderen unterwegs. "Wenn die dann kamen, war alles, wofür man Geld bekam, längst weg." "Schietbargkönig" nannten sie ihn; ehrlich verdienter Neid. Er freut sich heute noch darüber.

"Jeder Mensch hat irgendein Talent. Ich kann verkaufen - so ist das. Ich würd auch Stachelbeeren rasieren und als Trauben verkaufen, ich muss einfach immer was verkaufen." Erklären sei schwierig, "natürlich macht es mir Spaß, wenn die Kasse voll ist". Geld zu haben bedeutet ihm viel, zeigen muss er das nicht. Auch wenn er noch "ein anderes" Auto hat, fährt er über die Insel in seinem Golf, was soll man sonst denken vom Fischhändler? Geld - das ist für ihn vor allem "schöne Sicherheit für mein Leben. Ich könnte nicht von der Hand in den Mund leben." Da sitzen die Kindheitserinnerungen tief.

Geld verdient er bis heute gut. Sehr gut sogar. So gut, dass er auch die Versuchungen kennt, die Uli Hoeneß zum Verhängnis wurden. Denkt er manchmal noch an den eigenen Fall, 1997, 7,2 Millionen DM Schwarzgeld in Luxemburg? "Selbstverständlich. Ich sage immer: Was man verbrochen hat, das muss man büßen. Das war schon in der Schule so, da musste man draußen in der Ecke stehen. Das war für mich immer das Schlimmste, auf dem Flur stehen. Der Lehrer hätte mich lieber verprügeln können - da hab ich mich so geschämt, wenn jemand vorbeikam."

Und Hoeneß? "Der steht jetzt richtig auf dem Flur." Kennt er gut. "Wenn einer ehrlich seine Steuer bezahlt, der will so was ja nicht. Und sagt: 'Dem müssen se einen mitgeben.' Wir haben gleich die Selbstanzeige gemacht, alles offengelegt, war 'ne einfache Sache. Heute wird das viel ernster genommen." Er ist mit sich selbst wieder im Reinen: "Ich hab gebüßt, deshalb hab ich jetzt ein gutes Gefühl."

Gosch ist ein Macher. Freundlich und beharrlich. Doch möchte man ihn nicht zum Konkurrenten haben. Weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte, die nördlichste Fischbude Deutschlands zu haben, musste die verschwinden, die einen Hauch nördlicher stand. Er hat sie weggekauft. "Ich verfolg meine Ziele über lange Zeit." Von nichts kommt eben nichts.

Jürgen Gosch steht gern im Mittelpunkt. Wo sonst? Er ist stolz darauf, dass sein Unternehmen zu den zehn bekanntesten in Deutschland zählt. Jeden Tag steht er im Laden. Singt auch mal zum Sonnenuntergang ("Ein Matjes passt in jedes Portemonnaie"). "Ich verrat Ihnen mal was: Singen kann ich gar nicht, aber dafür kommt das einigermaßen an." Der Mann würde alles tun, um seine Gäste bei Laune zu halten. Er kann es kaum aushalten, wenn auf seine Frage "Schmeckt's?" einer mal im Essen stochert und ein gedehntes "Jaaaa" sagt. Dann ist Gute-Laune-Alarm, bis die Atmosphäre wieder im Lot ist.

Der Beobachter fragt sich: Mit wem ist der Mann eigentlich verheiratet? "Ich führ ein Doppelleben. Tagsüber beim Unternehmen, morgens und abends bei meiner Frau." Seine Frau Anna hat er - wo sonst? - vor 35 Jahren in List kennengelernt. Wie? "Sie machte Urlaub und kaufte ein Fischbrötchen. Und kam jeden Tag wieder. Irgendwann hab ich sie gefragt: 'Kommen Sie wegen der Brötchen oder wegen mir?' Da hat sie gar nichts gesagt. Und ich fragte sie, ob sie eben mal mit dem Transporter Ware nach Westerland fahren könne. Hat sie gemacht, und ich dachte: Die kannst du brauchen."

Der Sohn der beiden ist Meeresbiologe in Australien, und der Vater erzählt stolz: "Wenn alles gut geht, haben wir bald den ersten Doktor in der Familie." Björn erforscht ein neuartiges Fischfutter fürs Aquafarming - aus Algen. "Das wird heute aus Kleinstfischen gewonnen. Wenn wir die aber wegfangen, haben die Großen nichts mehr zu fressen. Und wenn die Großen wegsterben, können die keinen Nachwuchs in die Welt setzen. Also muss ein Fischfutter her, das die Zuchtfische auch mögen und durch das sie wachsen."

Ökologisches Denken ist angekommen bei Gosch, sagt er. Eine Diskussion mit seiner Tochter Anja hatte Folgen: Schillerlocken gibt es nicht mehr. Nichts vom Hai. Und wo er grad dabei ist, erzürnt sich der Mann, der Plattfische auf dem Teller über alles liebt: "Unverständlich, dass man jetzt, wo die Seezungen laichen, die abfängt."

Da denkt er langfristig. So wie in der Familie. Freut sich über den ersten Enkel: "Och, der kann hier auch noch von leben." Seiner Tochter und dem Schwiegersohn hat er die drei Läden in Westerland übergeben. Wann er ganz aufhören will? Den Spruch auf diese Frage hat er sicher schon oft gebracht: "Das Rentenalter hab ich längst überschritten, wenn ich ausscheide, dann nur aus Altersgründen." Er hat seine Auftritte in allen möglichen Fernsehshows reduziert. Ganz abschalten? "Jeden November, auf den Malediven." Da ist er dann der Mann, der ständig auf der Insel hin- und herspaziert, nix Schaukelstuhl auf der Veranda, das wäre für ihn stressiger als Arbeit: "Ich bin eben ein totaler Frontmann, immer in Bewegung. Was anderes kann ich gar nicht!"