Es ist vieles, nur nicht Zauberei, was den Erfolg des Carlsen Verlags seit seiner Gründung vor 60 Jahren ausmacht. Lutz Wendler über Pragmatismus, Erfindungsgeist und Spaß an der Arbeit für Kinder.

Als Vorhut schickten die Dänen "Rasmus Klump". Der unternehmungslustige Bär, stets mit blauer Pudelmütze und weiß gepunkteter roter Trägerhose bekleidet, war die Titelfigur einer Bilderbuchgeschichte des Ehepaars Carla und Vilhelm Hansen und wurde rasch zum erfolgreichen Exportartikel. In Deutschland bekam der Comic-Held den Namen Petzi, und seine Abenteuer wurden schon bald in 75 Tageszeitungen als Strips in Fortsetzung abgedruckt - das Abendblatt war als Nummer zwei einer der Pioniere. Von der Nachfrage ermutigt, gründete Per Carlsen, der Initiator des florierenden Lizenzhandels, am 25. April 1953 den Carlsen Verlag in Hamburg als deutsche Tochter des Illustrationsforlaget/IPB. Das erste Buch hatte den Titel "Petzi baut ein Schiff" - das erfindungsreiche Holzboot Marke Eigenbau hat sich als erstaunlich seetüchtig erwiesen.

Per Hjald Carlsen (1912-1994) war ein Mann mit Überzeugungen und festen Gewohnheiten wie dem regelmäßigen Mittagsschlaf und dem Genuss von Kaffee, Kirschsaft und von seiner Sekretärin vorgebrochener Schokoladentafel. Es heißt, dass der Verleger in den Anfangsjahren Bücher ab und zu spontan mit dem Fahrrad ausgeliefert habe.

Das mag eine Legende sein, doch es passt gut zum unkonventionellen Image eines Verlags, der sich in seinen 60 Jahren einige liebenswerte, vielleicht dänische Eigenschaften bewahrt hat - nämlich Unkompliziertheit, handfesten Pragmatismus, Erfindungsgeist und erkennbaren Spaß an der Arbeit für Kinder. Und das bis heute, obwohl Carlsen längst als einer der drei größten deutschen Kinder- und Jugendbuchverlage ein Big Player ist.

"Das Geniale an Carlsen ist, dass der Verlag kein eindeutiges, klares Profil hat, sondern eine riesige Wundertüte ist: Von den Programmen darf man Überraschungen erwarten", sagt Klaus Humann, der Carlsen in der bislang erfolgreichsten Phase, von 1997 bis 2012, leitete. Tatsächlich ist das Verlagshaus in Ottensen die Heimat von lauter guten Bekannten: von Pixi und Petzi, von Tim und Struppi, von Dragonball und Prinz Eisenherz, von Rico und Oskar, von Conni, dem Durchschnittsmädchen, das mit seinen Leserinnen wächst, von Bella Swan aus der Twilight-Saga und Lyra aus der Trilogie vom "Goldenen Kompass" - und nicht zuletzt auch das deutsche Zuhause des Zauberlehrlings Harry Potter.

Schon 1954 zeigte Per Carlsen, dass auch der groß rauskommen kann, der klein denkt. Er hatte Miniatur-Bilderbücher aus Kanada gesehen und sofort erkannt, dass sich mit diesem Format seine eigenen Wünsche verwirklichen ließen: Bücher für möglichst viele Kinder in guter Qualität zu einem niedrigen Preis zu machen.

Carlsen erwarb die Lizenz und startete am 29. April 1954 mit dem ersten Pixi-Buch "Miezekatzen" eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Bereits 1957 wurden erstmals eine Million Pixi-Bücher in einem Jahr verkauft - bis heute sind es mehr als 300 Millionen. In diesem Herbst erscheint der 2000. Einzeltitel der 24-seitigen Büchlein im rechtlich geschützten Format 10 mal 10 Zentimeter zum Preis von 99 Cent. Der Name Pixi spricht für sich - er ist eine Marke wie Tempo oder Tesa.

1967 erwarb der Verleger die Lizenz für deutschsprachige Ausgaben von Hergés Comic-Klassiker "Tim und Struppi". Die schön gemachten Carlsen-Alben halfen dabei, dass Comics in Deutschland als respektable Literatur wahrgenommen wurden - der Verlag profitiert bis heute nicht nur finanziell, sondern auch durch Imagegewinn.

1980 wurde der Verlag an die schwedische Gruppe Bonnier verkauft. Per Carlsen blieb bis 1985 Geschäftsführer. Seine Nachfolger setzten eigene Akzente und entwickelten Programm und Struktur weiter, doch all das fügte sich organisch in den vom Gründer nachhaltig geprägten Verlag. Viktor Niemann förderte das erzählende Programm, gründete eine verlagseigene Herstellung und bereitete damit künftiges Wachstum vor. Außerdem beschloss er, dass Carlsen, 24 Jahre lang in Reinbek ansässig, nach Hamburg zurückkehren und in einen Gewerbehof in Ottensen umziehen sollte. Seine Begründung: "Ein Verlag gehört dorthin, wo das Leben ist." Es hat sich längst bestätigt, dass dies eine richtige Entscheidung war, nicht zuletzt weil Carlsen in Altona auch kulturpolitisch wirkt, mit Bücherhallen und Kinderbuchhaus zusammenarbeitet und Leseförderprojekte wie Buchstart und Seiteneinsteiger unterstützt.

Den nächsten großen Schritt machte Carlsen mit dem Verleger Klaus Humann, der ein magisches Händchen zu haben schien, so viel glückte ihm in 15 Jahren. Unter seiner Leitung sicherte sich Carlsen die deutschsprachigen Rechte an Harry Potter und Stephenie Meyers "Bis(s)"-Reihe, und es wurden ebenso japanische Manga wie Graphic Novels in Deutschland etabliert. Carlsen hatte 35 Mitarbeiter, als Humann 1997 anfing, und 115, als im letzten Jahr Renate Herre das Ruder übernahm. Der Umsatz stieg in der gleichen Zeit auf das Vierfache, von 26 Millionen Mark 1997 auf 53,6 Millionen Euro im Jahr 2012. Der Verlag ist in dieser Zeit so sehr gewachsen, dass er zu den Großen im Lande gehört. Was nicht heißt, dass er von seinen Bestsellern leben und die Zukunftssicherung lässig aus der Potter-Kasse bezahlen könnte.

Renate Herre, die den Verlag seit einem Jahr leitet, hat die Aufgabe, Carlsen fit für die digitale Zukunft zu machen. "Der Verlag hat ein enormes Kapital, die Inhalte, die Texte, Geschichten und Bilder, die wir in neue Formen übersetzen können: in Apps, eBooks, digitale Soaps. Und schon jetzt sind wir in intensivem Austausch mit der Internet-Community, zum Beispiel über verschiedene Themen-Plattformen, auf denen wir Verlagsinhalte inszenieren. Die kommunikative Ebene wird immer wichtiger", sagt Renate Herre, die davon überzeugt ist, dass das Traditionshaus auch auf die künftigen Herausforderungen die richtigen Antworten findet: "Bei uns im Haus gibt es eine große Lust am Experiment und an der inhaltlichen Weiterentwicklung mit Kreativen. Wir werden auch bei der Digitalisierung wieder ganz vorn sein. Wichtig ist, dass ein so großes Schiff wie Carlsen wendig bleibt."