Architekt Stephen Williams sieht sich als Bühnenbildner “intelligenter Räume“. Hans-Juergen Fink über einen walisischen Hanseaten, der Exklusivität für eine misslungene Idee von gestern hält.

Mehr Understatement geht kaum. Wer den Architekten und Designer Stephen Williams auf der Fleetinsel besuchen will, muss suchen, selbst wenn er die Adresse "Admiralitästraße 71" kennt. Es gibt nur ein kleines Firmenschild im Hinterhof des alten Kontorhauses. Wer den Namen neben dem Klingelknopf gefunden hat, steigt hinauf in den vierten Stock, vorbei an etlichen Kunstgalerien. Oben öffnet sich "Stephen Williams Associates" auf einer weitläufigen Arbeitsfläche mit freundlichem New Yorker Loftcharakter, klar, lichtdurchflutet von beiden Seiten. 20 Mitarbeiter sind hier im Herzen von Hamburg mit Williams-Projekten auf der ganzen Welt beschäftigt.

Für Stephen Williams, dunkler Anzug, Hemdkragen und Manschetten kreativ offen, hat das dezente Versteckspiel Methode. "Wir machen keine PR, Interviews gebe ich nur selten. Unsere Kunden sind ein erweiterter Freundeskreis, wir sprechen uns herum." Für ihn die Garantie dafür, Aufträge von Menschen zu bekommen, die sich auf seine Ideen und seine Arbeitsmethode einlassen wollen. "Mit PR kriegt man die falschen Kunden - Leute mit Profilneurose, die große Namen suchen. Unsere Kunden haben eine ähnliche Ethik und Vision wie wir." Er will seine Ideen von Form und Raum und seinen Namen nicht den Auftraggebern überstülpen, sondern sie mit ihnen gemeinsam entwickeln.

"Form allein ist nicht alles und wird heute stark überschätzt. Form sollte nicht vor den Dingen rangieren, die die Gesellschaft langfristig besser machen." Ihm geht es um intelligente Räume, die bestimmte Emotionen hervorrufen, ohne gleich zu verraten, wie sie das tun. "Das geht nicht durch ein paar hineingestellte Design-Ideen." Williams spielt mit Raumsequenzen, mit Licht, mit Materialien und Oberflächen. Inszeniert einladende Möglichkeitsräume, die erst fertig sind, wenn sich Menschen darin bewegen, wenn sie miteinander kommunizieren. "Wir entwerfen das Unsichtbare, Spielflächen für Emotionen."

Demokratisch sollen seine Entwürfe sein, offen für alle, Menschen hineinziehen, sie sollen das Gegenteil von exklusiv sein. "Unsere Gesellschaft ist so sehr geprägt von Exklusivität. Dabei ist das gar nicht mehr zeitgemäß." Klares Statement eines Mannes, der immer am Besonderen arbeitet.

Williams kommt schnell zur Sache, dabei wollen wir etwas über ihn erfahren. Der starke Akzent im Deutschen verrät die Herkunft des Sprechers aus Großbritannien. Was der schlanke Mann mit den wachen Augen sofort korrigiert: "Geboren bin ich 1963 in Wales, also im keltischem Kulturraum, mehr verwandt den Iren und Schotten und den Leuten in der Bretagne." Er stammt aus Port Talbot, woher auch Richard Burton und Anthony Hopkins kommen. Schauspieler ist Williams nicht geworden, sondern - übersetzte man seine Tätigkeit in die Theaterwelt - Bühnenbildner und Kulissenbauer. So bekommt man vielleicht am ehesten seine vielen unterschiedlichen Projekte unter einen Hut.

Was hat die Kreativität in seinem Kopf aktiviert? Mit zehn, zwölf Jahren hat er sich ein Zeichenbrett gebastelt und Häuser entworfen, Bungalows im amerikanischen Stil. Gegenwelten zur unwirtlichen postindustriellen Landschaft mit Fabrikruinen, alten Docks und verrosteten Schiffen. "Kreativität kommt aus der Kindheit, wenn man etwas entdecken kann. Man ist vielleicht ein bisschen allein, man geht durch diese ruinierten Häuser und Fabriken. Ist neugierig, sieht weniger das Kaputte als die fantastischen Möglichkeiten."

Sein Vater ist Ingenieur, die Mutter Lehrerin. "Mein Vater", sagt Williams, "sah immer die technischen Aspekte und warum man etwas so machen muss, damit es funktioniert. Für das kreative Klima war meine Mutter zuständig." Der Junge studiert Architektur am Canterbury College of Art, Abschluss 1988. "Das war wunderbar, denn wir haben viel mit den Künstlern zusammen machen können, eine sehr offene Atmosphäre." In London arbeitet er dann mit seinem Lehrer Elia Zehngehlis und Rem Koolhaas in deren Office for Metropolitan Architecture, ehe er 1994 nach Deutschland geht.

Warum eigentlich? "Ich wurde Opfer der von John Major fortgesetzten Wirtschaftspolitik Margaret Thatchers. Die hielt die Zinsen hoch, das Baugewerbe lag am Boden." Erste Station in Deutschland: das Büro von Christoph Ingenhoven in Düsseldorf. Als die Texte für einen Wettbewerb in Hannover übersetzt werden müssen, hilft eine Freundin in Hamburg. Stephen Williams bleibt hier. 2006 lernt er in Hamburg seine Frau Silvia kennen, eine Argentinierin aus Buenos Aires und Moderedakteurin. Beim Fußball, bei der WM 2006, Argentinien gegen Schweden. Heute wohnen sie in Eppendorf. Hamburg wird seine Stadt.

Eines der ersten Projekte wächst aus Wurzeln, die in seine Jugend reichen. Musiker hatte er mal werden wollen, Gitarre gespielt in einer Punkrock-Band. In Hamburg trifft er Malcolm McLaren, ehemals Manager der Sex Pistols. Dazu Modemacher, Künstler, Musiker - eine Ikone, ein Gesamtkunstwerk. Man freundete sich an, und Williams darf für McLaren eine Ausstellung über diese lebende Legende machen: "Casino of Authenticity and Karaoke."

Mit Alsop & Störmer gewinnt er den Wettbewerb für das Side-Hotel, 2000 eröffnet er sein eigenes Büro. Aufträge aus der Musikbranche schließen sich an, 2003 kann Williams die neue Berliner Zentrale von Universal Music und 2005 die von Warner Music bauen. "Räume haben enormen Einfluss auf Menschen, ihr Leben und ihr Wohlbefinden, auf die Art, wie sie kommunizieren und handeln." Als Architekt, sagt Williams, hat man Chancen, die ein Politiker nicht hat. "Die müssen ja alle paar Jahre gewählt werden. Wir bauen ein Haus, das steht da vielleicht 50 oder 100 Jahre." Ein Weltverbesserer am Zeichenbrett? "Ich zeige, was möglich ist." Unabhängig von der Menge des Geldes, das er verplanen kann?

In der Autostadt Wolfsburg designt er als Masterplaner das Konzernforum und Pavillons auch für Premium-Marken wie Bugatti. Kommunikation pur. Bei dem Meininger Hostel in Berlin sind dagegen selbst Ikea-Möbel noch zu teuer. "Man arbeitet in diesen zwei Welten, gerade die Abwechselung ist doch spannend. Und wir wären unglücklich, wenn wir nur Bürohäuser bauen sollten, eines wie das andere."

Auch am eigenen Standort Hamburg hat Williams Design-Duftmarken gesetzt. zum Beispiel das Hotel 25hours an der Überseeallee in der HafenCity, das 2012 als "Hotelimmobilie des Jahres" ausgezeichnet wurde. "Bei Trip Advisor sagen die Gäste, es sei das einzige Designhotel, das funktioniert", sagt Williams - was für eine elegante Art, keine PR zu machen.

Er baut das Privathaus des Rockers Bela B. von den Ärzten in Hamburg. Hat das Interieur für den Dibbern-Store an den Hohen Bleichen entworfen - "ein Laden, in dem das Porzellan wirklich wichtiger ist als das Ladendesign". Und die "Weltbühne", das Restaurant im Thalia Theater, im klaren Retro-Caféhaus-Stil. Entwirft für die Werber von Jung von Matt Büros. Für hamburgunddesign baut er "design export" am Magdeburger Hafen, in den Elbarkaden. Das Hamburger Designzentrum, das öffentliche Schaufenster der Branche.

Masterplaner war sein Büro auch für das Quartier zwischen Stadthausbrücke und Bleichenhof für Quantum-Immobilien - "eine spannende Aufgabe, so eine zentrale Lage in der City neu zu beleben." Eine große dazu. Als Nächstes auf dem Programm: im Karoviertel die Jung-von-Matt-Academy. "Eine interessante Konstellation ist das dort im Quartier. Da passt eine akademische Nutzung wie die von uns geplante doch gut hinein."

"Kreativität", resümiert er, "ist nicht das Design, sondern unsere Antworten auf die Frage: Was können wir Menschen bieten? Was ist ihre Erwartung? Wir haben die Möglichkeit, mit Menschen zu arbeiten statt mit Malerei oder Fotos. Unser Kunstwerk sind die Menschen, die Intelligenz, das Leben selber." Vielleicht sind ihm deshalb einzelne Häuser eher unwichtig, "da geht es nur um diese 50 Zentimeter zwischen innen und außen. Wichtig sind mir Innenräume und Stadträume.

Er arbeitet für Menschen, die etwas Neues suchen und einen Unterschied machen. Hamburg, sagt er, ist dafür ein guter Standort. Denn hier gibt es viele davon, ohne dass sie großes Aufheben um sich machen. Er sucht nach Wörtern, findet "gediegen", "elegant", "diskret", "subtil". Leute, sagt er, die beeindruckend sind, weltläufig, Kenner, ohne Großsprecherei. Vergleichsmöglichkeiten hat er genug, wenn er in Sydney oder Hongkong arbeitet.

Die Frage nach einem Projekt, von dem er noch träumt, kann Williams cool kontern: Er habe viele Dinge verwirklicht, von denen er nicht mal geträumt habe. "Wir haben Hotels gebaut, wir haben fast alle Typen von Häusern gebaut." Eine Yacht entwerfen, wie ein Kollege das mal laut geträumt hat? Willliams würde es nicht sagen, er würde es tun, wenn es ihn interessierte. "Wenn man glaubt, man hat das Potenzial, etwas anders zu machen, dann muss man das tun.

Wenn man das nicht macht, ist das fast" - er überlegt einen Moment - "kriminell. Ich will weitergehen und nicht wissen, was kommt. Vielleicht klingelt gleich das Telefon, und die nächste Herausforderung ist da."

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Stephen Williams bekam den Faden von Sibilla Pavenstedt und gibt ihn an Brigitte Huber weiter.