Lebensmittel haben manchmal eine weite Reise hinter sich. Nina Paulsen und Oliver Schirg reisen sie an die Orte, an denen die 38 Produkte hergestellt wurden.

Auf jeden Frühstückstisch gehört Kaffee. Frisch aufgebrüht, heiß und duftend muss er sein, mit Milch und Zucker, je nach Geschmack. Weiteres morgendliches Grundnahrungsmittel: Brot oder Brötchen. Darauf schmieren wir vorzugsweise Butter, dazu Marmelade oder Nutella. Andere mögen es lieber herzhaft mit Käse oder Wurst. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich einen typischen Frühstückstisch vorzustellen. Und: Wir haben uns daran gewöhnt, diese Lebensmittel jederzeit und überall kaufen zu können.

Deutlich mehr Fantasie brauchen wir aber, wenn wir wissen wollen, wo unser Essen herkommt. Man hat zwar eine ungefähre Vorstellung davon, dass der Kaffee aus Südamerika stammt. Wir ahnen, dass die Kühe nicht unbedingt auf der saftig-grünen Almwiese grasen, wie es uns die Milchpackung glauben machen will. Fragen werden aber nur gestellt, wenn wir vor unserem Essen Angst bekommen. Wenn Rinder wahnsinnig werden, wenn Geflügel von Grippe befallen wird oder wenn Eier mit Dioxin verseucht sind.

Das Hamburger Abendblatt will es jetzt genau wissen. Wir haben für ein Wochenende rund 40 Produkte eingekauft. In den kommenden sechs bis acht Wochen werden wir an den Herkunftsort jedes dieser Produkte reisen. Wir werden aufschreiben, wie es dort aussieht, wo unsere Lebensmittel herkommen. Wir werden recherchieren, unter welchen Bedingungen sie produziert werden. Und wir werden herausfinden, wie viele Kilometer jedes Produkt zurücklegt, bevor es bei uns auf dem Tisch landet. Denn eines ist klar: Unser Essen ist internationaler als wir glauben.

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Ein berühmtes Beispiel sind die Krabben. Sie werden zwar aus der Nordsee gefischt. Zum Pulen karrt man sie allerdings bis nach Marokko und dann wieder zurück an die Nordsee, bevor sie an den Strandbuden im Verkauf landen. Tausende Kilometer halten wir mit einem Krabbenbrötchen in der Hand. Erdbeeren, die in deutscher Marmelade landen, sind ein weiteres Beispiel. Mitunter kommen sie aus China. Selbst Äpfel gibt es als Variante aus Italien oder Südamerika im Supermarkt. Irrwitzig scheint das, obwohl es vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen und Umweltbelangen Sinn machen kann. Was ist besser? Das Obst per Schiff von weit her nach Hamburg zu fahren oder hierzulande geerntete Äpfel monatelang in einem Kühlhaus aufzubewahren? Es sind auch solche Fragen, denen wir in unserem Projekt "Wo kommt unser Essen her?" nachgehen.

Ein Selbstläufer ist das Ganze nicht. Schließlich ist in Deutschland lediglich vorgeschrieben, dass bei unverarbeitetem Rindfleisch die Herkunft angegeben sein muss. Laxer geht es schon bei Schwein und Geflügel zu. Bei Eiern erfährt man durch einen gestempelten Zifferncode auf der Schale, woher die Ware kommt. Bei den allermeisten Obst- und Gemüsesorten muss nur das Herkunftsland angegeben werden.

So sind unsere ersten Rechercheerfahrungen auch zwiespältig. Manchmal steht es auf der Verpackung, woher die Produkte kommen. Die Kölln-Haferflocken beispielsweise werden in Elmshorn produziert, die Barilla-Spaghettini in Parma in Italien. Dass das "nordeuropäische" Nutella im hessischen Stadtallendorf hergestellt und die in Deutschland vertriebene Eiscreme von Ben & Jerry's im niederländischen Hellendoorn in die Becher gefüllt wird, erfahren wir im Gespräch mit den jeweiligen Pressesprecherinnen.

Die ersten Reaktionen auf die Idee unserer Geschichte reichen von "toll" bis "spannend". Bei der Bitte um einen konkreten Besuchstermin in der jeweiligen Produktionsstätte wird jedoch so mancher Gesprächspartner einsilbig. "Da muss ich erst mal im Unternehmen nachfragen" oder "Ich melde mich in den nächsten Tagen" lauten häufig die Antworten. Am lockersten gehen die kleineren "Produzenten" mit unserem Ansinnen um. Kurt Schultz, der im schleswig-holsteinischen Nessendorf einen Eierhof betreibt, meint: "Kommen Sie, wenn es Ihnen passt." Auch Bert Vogel, Chef des Farmbetriebs Hemo im niedersächsischen Emlichheim, - dort kommt die Hähnchenbrust her - hat keine Probleme mit einem Besuch.

Manchmal ist das Herausfinden des Produktionsstandorts wie eine Schnipseljagd. Beim Emmentaler Käse beispielsweise empfiehlt uns unser Lebensmittelhändler, bei seinem norddeutschen Lieferanten anzurufen. Dort bekommen wir die Telefonnummer eines Unternehmens aus Süddeutschland. Der Großhändler wiederum verweist uns an ein Schweizer Exportunternehmen. Dort ist die Bereitschaft, uns zu helfen, hoch. Wir müssten nur die vierstellige Nummer, die auf dem Etikett des Käses gedruckt sei, auf der Internetseite www.emmentaler.ch eingeben, heißt es. Und tatsächlich: Nach wenigen Klicks erfahren wir Telefonnummer und Adresse des Hofes, von dem unser Käse stammt.

Grundsätzlich wird im Laufe der Recherche klar, dass Lebensmittelunternehmen sensibel auf Anfragen von Journalisten reagieren. Bei allen verarbeiteten Produkten haben die Hersteller das gute Recht, über die Herkunft der einzelnen Zutaten zu schweigen - das tun sie zum Teil auch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es kann darum gehen, den guten Ruf nicht zu verlieren - oder darum, der Konkurrenz keinen Einblick die Herstellung zu geben.

Einzelheiten über Lieferketten und Quellen müssen die Produzenten den Behörden erst dann bekannt geben, wenn die Gesundheit der Verbraucher gefährdet ist. Seit dem 1. Mai 2008 gibt es das Verbraucherinformationsgesetz. Jeder Bürger kann bei Behörden fragen, was diese über ein bestimmtes Lebensmittel wissen. Die Krux: Auch die staatlichen Einrichtungen wissen nur, was die Produzenten ihnen mitteilen.

Der Weg zu mehr Transparenz ist steinig. Die Lebensmittellobby ist stark. Seit dem Pferdefleischskandal prüft die EU-Kommission immerhin, ob auch Lebensmittel, in denen Fleisch verarbeitet ist, eine Herkunftskennzeichnung tragen müssen. Die Bundesregierung unterstützt diese Richtung. "Mir geht es darum, dass wir eine verpflichtende und praktikable Herkunftskennzeichnung von Fleisch als Zutat einführen", sagt Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Die kommenden Monate werden zeigen, was wirklich durch- und umsetzbar ist.

Wir werden einzelne Berichte über unsere Recherchen in den kommenden sechs bis acht Wochen in loser Folge in der Zeitung veröffentlichen. Am Ende ist ein mehrseitiges Dossier geplant, in dem Reportagen von den Herkunftsorten aller von uns gekaufter Lebensmittel veröffentlicht werden. Bis dahin berichten wir im Internet in einem Blog - er ist unter www.abendblatt.de zu finden - so oft wie möglich über die einzelnen Schritte und Ergebnisse unserer Recherche.